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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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5.
DIE KÖNIGE VON ATHEN.


Die mythi-
schen kö-
nige.
Über die mythischen könige Athens bedarf es nur weniger worte.
auf ihre einordnung in eine liste kommt geschichtlich gar nichts an;
die füllfiguren der chronographen sind überhaupt nicht der rede wert.
Ogygos ist ein spätling aller orten, eponym der ogygischen, d. h. okea-
nischen flut, erwachsen aus dem adjectiv ogugios. Amphiktion ist auch
nicht von attischem ursprunge, setzt die zugehörigkeit Athens zu der
delphischen Amphiktionie voraus und entstammt der abstraction, wenn
auch nicht sehr junger.1) Kranaos ist aus dem adjectivum kranaos er-
wachsen, das in nachepischer zeit glossematisch war. Aristophanes nennt
Athen selbst nicht nur kranaa polis (Ach. 75), sondern geradezu Kra-
naai (Vög. 123). aber schon Aischylos sagt für Athenaioi paides Kra-
naou (Eum. 1011), Herodotos Kranaoi (8, 44). der so entstandene
Kranaos hatte ein grab in Lamptra (Paus. 1, 31, 3), und ein eponym,
der sonst keine gentilicische verbindung hatte, erhielt ihn zum vater,
Kranaou pais 'Raros bei Hesych. Aktaios oder Aktaion ist seinerseits
erst von der akte abgeleitet, und da die Athener mit akte nicht
ihr ganzes land, sondern die jetzt sog. Peiraieushalbinsel benennen,
Attika überhaupt als das 'vorgebirge' (das ist akte) nur von dem

1) Nach 445 hat die Amphiktionie die für die schaffung einer solchen figur
nötige bedeutung nicht mehr, aber zu Solons oder Kleisthenes zeiten lag der an-
schluss Athens an Delphi vor. Amphiktion ist mit der einführung des Dionysoscultes
verbunden, so erzählt Philochoros (Athen. 38c = 179e), und Pausanias erwähnt im
Kerameikos eine terracottagruppe, die Amphiktions theoxenia darstellte. eine le-
gende, gegen die Philochoros stillschweigend polemisirt, setzt in der tat für die
einführung des Dionysoscultes die intervention von Delphi in bewegung (schol. Ar.
Ach. 242), und sie ist nicht schlecht, da sie Eleutherai als landfremd fasst. der
cult des Eleuthereus geht die grossen Dionysien an, eine stiftung des Peisistratos:
dass diese ihren reflex in der königszeit fand und einen könig Amphiktion schuf, ist
sehr glaublich.
5.
DIE KÖNIGE VON ATHEN.


Die mythi-
schen kö-
nige.
Über die mythischen könige Athens bedarf es nur weniger worte.
auf ihre einordnung in eine liste kommt geschichtlich gar nichts an;
die füllfiguren der chronographen sind überhaupt nicht der rede wert.
Ogygos ist ein spätling aller orten, eponym der ogygischen, d. h. okea-
nischen flut, erwachsen aus dem adjectiv ὠγύγιος. Amphiktion ist auch
nicht von attischem ursprunge, setzt die zugehörigkeit Athens zu der
delphischen Amphiktionie voraus und entstammt der abstraction, wenn
auch nicht sehr junger.1) Kranaos ist aus dem adjectivum κϱαναός er-
wachsen, das in nachepischer zeit glossematisch war. Aristophanes nennt
Athen selbst nicht nur κϱαναὰ πόλις (Ach. 75), sondern geradezu Κϱα-
νααί (Vög. 123). aber schon Aischylos sagt für Ἀϑηναῖοι παῖδες Κϱα-
ναοῦ (Eum. 1011), Herodotos Κϱαναοί (8, 44). der so entstandene
Kranaos hatte ein grab in Lamptra (Paus. 1, 31, 3), und ein eponym,
der sonst keine gentilicische verbindung hatte, erhielt ihn zum vater,
Κϱαναοῦ παῖς ᾽Ρᾶϱος bei Hesych. Aktaios oder Aktaion ist seinerseits
erst von der ἀκτή abgeleitet, und da die Athener mit ἀκτή nicht
ihr ganzes land, sondern die jetzt sog. Peiraieushalbinsel benennen,
Attika überhaupt als das ‘vorgebirge’ (das ist ἀκτή) nur von dem

1) Nach 445 hat die Amphiktionie die für die schaffung einer solchen figur
nötige bedeutung nicht mehr, aber zu Solons oder Kleisthenes zeiten lag der an-
schluſs Athens an Delphi vor. Amphiktion ist mit der einführung des Dionysoscultes
verbunden, so erzählt Philochoros (Athen. 38c = 179e), und Pausanias erwähnt im
Kerameikos eine terracottagruppe, die Amphiktions ϑεοξένια darstellte. eine le-
gende, gegen die Philochoros stillschweigend polemisirt, setzt in der tat für die
einführung des Dionysoscultes die intervention von Delphi in bewegung (schol. Ar.
Ach. 242), und sie ist nicht schlecht, da sie Eleutherai als landfremd faſst. der
cult des Eleuthereus geht die groſsen Dionysien an, eine stiftung des Peisistratos:
daſs diese ihren reflex in der königszeit fand und einen könig Amphiktion schuf, ist
sehr glaublich.
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[[126]/0136] 5. DIE KÖNIGE VON ATHEN. Über die mythischen könige Athens bedarf es nur weniger worte. auf ihre einordnung in eine liste kommt geschichtlich gar nichts an; die füllfiguren der chronographen sind überhaupt nicht der rede wert. Ogygos ist ein spätling aller orten, eponym der ogygischen, d. h. okea- nischen flut, erwachsen aus dem adjectiv ὠγύγιος. Amphiktion ist auch nicht von attischem ursprunge, setzt die zugehörigkeit Athens zu der delphischen Amphiktionie voraus und entstammt der abstraction, wenn auch nicht sehr junger. 1) Kranaos ist aus dem adjectivum κϱαναός er- wachsen, das in nachepischer zeit glossematisch war. Aristophanes nennt Athen selbst nicht nur κϱαναὰ πόλις (Ach. 75), sondern geradezu Κϱα- νααί (Vög. 123). aber schon Aischylos sagt für Ἀϑηναῖοι παῖδες Κϱα- ναοῦ (Eum. 1011), Herodotos Κϱαναοί (8, 44). der so entstandene Kranaos hatte ein grab in Lamptra (Paus. 1, 31, 3), und ein eponym, der sonst keine gentilicische verbindung hatte, erhielt ihn zum vater, Κϱαναοῦ παῖς ᾽Ρᾶϱος bei Hesych. Aktaios oder Aktaion ist seinerseits erst von der ἀκτή abgeleitet, und da die Athener mit ἀκτή nicht ihr ganzes land, sondern die jetzt sog. Peiraieushalbinsel benennen, Attika überhaupt als das ‘vorgebirge’ (das ist ἀκτή) nur von dem Die mythi- schen kö- nige. 1) Nach 445 hat die Amphiktionie die für die schaffung einer solchen figur nötige bedeutung nicht mehr, aber zu Solons oder Kleisthenes zeiten lag der an- schluſs Athens an Delphi vor. Amphiktion ist mit der einführung des Dionysoscultes verbunden, so erzählt Philochoros (Athen. 38c = 179e), und Pausanias erwähnt im Kerameikos eine terracottagruppe, die Amphiktions ϑεοξένια darstellte. eine le- gende, gegen die Philochoros stillschweigend polemisirt, setzt in der tat für die einführung des Dionysoscultes die intervention von Delphi in bewegung (schol. Ar. Ach. 242), und sie ist nicht schlecht, da sie Eleutherai als landfremd faſst. der cult des Eleuthereus geht die groſsen Dionysien an, eine stiftung des Peisistratos: daſs diese ihren reflex in der königszeit fand und einen könig Amphiktion schuf, ist sehr glaublich.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. [126]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/136>, abgerufen am 19.04.2024.