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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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13.
PROKhEIROTONIA.


Die verteilung der geschäfte auf die vier volksversammlungen, die
es zu Aristoteles zeit gab, lässt deutlich erkennen, dass die solonische
ordnung nur eine regelmässige, die kuria, gekannt hat. wie viel es
damals im jahre waren, ist unbekannt, weil wir das analogon der prytanien
nicht kennen. seit Kleisthenes waren es zehn. zehnmal also kam die
souveräne bürgerschaft zusammen, bestätigte ihre beamten, wenn sie
mit ihnen zufrieden war, beriet die für die verpflegung und die sicher-
heit des landes zu treffenden massregeln, nahm die denuntiationen über
hochverrat und sonstige majestätsverbrechen entgegen, liess sich über
die veränderungen im besitzstande ihrer mitglieder unterrichten, welche
grundstücke durch confiscation dem souverän zugefallen waren, welche
durch todesfälle vacant geworden des rechtmässigen erben harrten und
entschied schliesslich über denuntiationen gegen bürger, die das ver-
trauen des souveräns verwirkt oder getäuscht hatten (43, 4--5). damit
ist erschöpft, was der souverän regelmässig zu erledigen hat. hinzu-
kommt die versammlung für die wahlen, für die dem rate ein terminus
ante quem non in der siebenten prytanie gesetzt ist; das nähere steht
bei diesem, weil ein günstiger tag für dieses wichtige geschäft gewählt
werden muss (44, 4). es hat ferner jeder bürger das recht, vor die
gesammtheit zu bringen, was er auf dem herzen hat; doch ist dafür
die form beliebt, dass er als bittflehender das gesuch stellt. diesem
muss innerhalb jeder prytanie einmal folge gegeben und dafür eine
besondere versammlung berufen werden, natürlich vom rate, der die
gesuche also gesammelt haben muss. darin liegt, dass diese versammlung
keine regelmässige ist, sondern nach bedürfnis ausgeschrieben wird.
das geschieht auch im übrigen, so oft stoff zu verhandlungen vorhanden
ist, insbesondere mitteilungen fremder staaten durch herolde oder ge-
sandte vom rate vor das volk gebracht werden müssen. das ist alles
nicht mit sicherheit im voraus zu übersehen.


13.
ΠΡΟΧΕΙΡΟΤΟΝΙΑ.


Die verteilung der geschäfte auf die vier volksversammlungen, die
es zu Aristoteles zeit gab, läſst deutlich erkennen, daſs die solonische
ordnung nur eine regelmäſsige, die κυϱία, gekannt hat. wie viel es
damals im jahre waren, ist unbekannt, weil wir das analogon der prytanien
nicht kennen. seit Kleisthenes waren es zehn. zehnmal also kam die
souveräne bürgerschaft zusammen, bestätigte ihre beamten, wenn sie
mit ihnen zufrieden war, beriet die für die verpflegung und die sicher-
heit des landes zu treffenden maſsregeln, nahm die denuntiationen über
hochverrat und sonstige majestätsverbrechen entgegen, lieſs sich über
die veränderungen im besitzstande ihrer mitglieder unterrichten, welche
grundstücke durch confiscation dem souverän zugefallen waren, welche
durch todesfälle vacant geworden des rechtmäſsigen erben harrten und
entschied schlieſslich über denuntiationen gegen bürger, die das ver-
trauen des souveräns verwirkt oder getäuscht hatten (43, 4—5). damit
ist erschöpft, was der souverän regelmäſsig zu erledigen hat. hinzu-
kommt die versammlung für die wahlen, für die dem rate ein terminus
ante quem non in der siebenten prytanie gesetzt ist; das nähere steht
bei diesem, weil ein günstiger tag für dieses wichtige geschäft gewählt
werden muſs (44, 4). es hat ferner jeder bürger das recht, vor die
gesammtheit zu bringen, was er auf dem herzen hat; doch ist dafür
die form beliebt, daſs er als bittflehender das gesuch stellt. diesem
muſs innerhalb jeder prytanie einmal folge gegeben und dafür eine
besondere versammlung berufen werden, natürlich vom rate, der die
gesuche also gesammelt haben muſs. darin liegt, daſs diese versammlung
keine regelmäſsige ist, sondern nach bedürfnis ausgeschrieben wird.
das geschieht auch im übrigen, so oft stoff zu verhandlungen vorhanden
ist, insbesondere mitteilungen fremder staaten durch herolde oder ge-
sandte vom rate vor das volk gebracht werden müssen. das ist alles
nicht mit sicherheit im voraus zu übersehen.


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[[252]/0262] 13. ΠΡΟΧΕΙΡΟΤΟΝΙΑ. Die verteilung der geschäfte auf die vier volksversammlungen, die es zu Aristoteles zeit gab, läſst deutlich erkennen, daſs die solonische ordnung nur eine regelmäſsige, die κυϱία, gekannt hat. wie viel es damals im jahre waren, ist unbekannt, weil wir das analogon der prytanien nicht kennen. seit Kleisthenes waren es zehn. zehnmal also kam die souveräne bürgerschaft zusammen, bestätigte ihre beamten, wenn sie mit ihnen zufrieden war, beriet die für die verpflegung und die sicher- heit des landes zu treffenden maſsregeln, nahm die denuntiationen über hochverrat und sonstige majestätsverbrechen entgegen, lieſs sich über die veränderungen im besitzstande ihrer mitglieder unterrichten, welche grundstücke durch confiscation dem souverän zugefallen waren, welche durch todesfälle vacant geworden des rechtmäſsigen erben harrten und entschied schlieſslich über denuntiationen gegen bürger, die das ver- trauen des souveräns verwirkt oder getäuscht hatten (43, 4—5). damit ist erschöpft, was der souverän regelmäſsig zu erledigen hat. hinzu- kommt die versammlung für die wahlen, für die dem rate ein terminus ante quem non in der siebenten prytanie gesetzt ist; das nähere steht bei diesem, weil ein günstiger tag für dieses wichtige geschäft gewählt werden muſs (44, 4). es hat ferner jeder bürger das recht, vor die gesammtheit zu bringen, was er auf dem herzen hat; doch ist dafür die form beliebt, daſs er als bittflehender das gesuch stellt. diesem muſs innerhalb jeder prytanie einmal folge gegeben und dafür eine besondere versammlung berufen werden, natürlich vom rate, der die gesuche also gesammelt haben muſs. darin liegt, daſs diese versammlung keine regelmäſsige ist, sondern nach bedürfnis ausgeschrieben wird. das geschieht auch im übrigen, so oft stoff zu verhandlungen vorhanden ist, insbesondere mitteilungen fremder staaten durch herolde oder ge- sandte vom rate vor das volk gebracht werden müssen. das ist alles nicht mit sicherheit im voraus zu übersehen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. [252]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/262>, abgerufen am 29.03.2024.