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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen.

Zu demselben resultate führt eine andere rechnung. Aristophanes
sagt selbst, dass die Andromeda des Euripides voriges jahr (perusin)
gegeben war (1060); schol. Frösch. 53 setzt sie in das achte jahr vor
diese, also unter Kleokritos, frühjahr 412. und später kann sie nicht
fallen, wenn wir den scholiasten glauben, wie wir müssen, dass der vers
Lysistr. 963 einen der Andromeda parodirt.

Wir sind demnach verbunden, die urkundliche datirung zum aus-
gangspunkte zu nehmen. was spricht nun dagegen? in wahrheit nur
eines. 808 fragt der chor all Euboules ton perusin tis bouleuton
estin ameinon paradous etero ten bouleian; ich gebe bereitwillig
zu, die beste beziehung ist vorhanden, wenn wir an den rat denken,
der am 14 thargelion des Kallias, mai 411, dem neuen rate der 400
platz machte. wenn der vers acht wochen vorher gesprochen ist, so hat
er sich seltsam an dem rate bewahrheitet, der ihn im theater vorsitzend
anhörte. aber der scholiast, der notirt to olon o ti bouletai ouk
esti saphes, hat an diesen für jeden, der den Thukydides kannte, nahe-
liegenden vorgang nicht gedacht, und umstossen kann diese deutung
eines verses, die wir machen, unmöglich eine urkundliche datirung. der
rat des jahres 413/12 hatte geduldet, dass über ihn die probulen gesetzt
wurden. darauf hat O. Müller den vers bezogen, und selbst R. Schöll
(Comm. Momms. 454) bestreitet die möglichkeit dieser beziehung nicht.
der rat, der zur zeit der Thesmophoriazusen im amte war, hatte die
probulen über sich, er hatte also auch keine autorität und hat sich zwei
monate nachher geduldig aufgelöst. auch damals schob man, wie die
bekannte anekdote von Sophokles zeigt, den probulen die hauptschuld
zu. es passt also wahrlich der vorwurf gegen den rat von 412 "ihr
habt die praerogative eurer körperschaft an eine andere behörde über-
gehen lassen", auch wenn der rat noch weiter existirte. wenn sich der
nächste rat zu gunsten eines anderen rates ein par wochen vor dem ge-
setzlichen paradidonai ten bouleian aufgelöst hat, würde der vers mit
veränderter bedeutung darauf noch besser passen? ich glaube es nicht,
denn jeder rat gibt wie dieser die bouleia an einen nachfolger ab,
etero passt meines erachtens besser auf eine andere behörde. aber
besser oder schlechter: das stösst keine didaskalie um.

Da sagt man aber weiter, wenn der rat zu gunsten der probulen
in den hintergrund getreten war, so sollte in den Thesmophoriazusen
ein probule auftreten wie in der Lysistrate, kein prytan. das ist eine
durchaus ungehörige anwendung der richtigen beobachtung, dass die
beiden repraesentanten der staatsgewalt dramatisch dieselbe rolle spielen.

III. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen.

Zu demselben resultate führt eine andere rechnung. Aristophanes
sagt selbst, daſs die Andromeda des Euripides voriges jahr (πέϱυσιν)
gegeben war (1060); schol. Frösch. 53 setzt sie in das achte jahr vor
diese, also unter Kleokritos, frühjahr 412. und später kann sie nicht
fallen, wenn wir den scholiasten glauben, wie wir müssen, daſs der vers
Lysistr. 963 einen der Andromeda parodirt.

Wir sind demnach verbunden, die urkundliche datirung zum aus-
gangspunkte zu nehmen. was spricht nun dagegen? in wahrheit nur
eines. 808 fragt der chor ἀλλ̕ Εὐβούλης τῶν πέϱυσιν τις βουλευτῶν
ἐστὶν ἀμείνων παϱαδοὺς ἑτέϱῳ τὴν βουλείαν; ich gebe bereitwillig
zu, die beste beziehung ist vorhanden, wenn wir an den rat denken,
der am 14 thargelion des Kallias, mai 411, dem neuen rate der 400
platz machte. wenn der vers acht wochen vorher gesprochen ist, so hat
er sich seltsam an dem rate bewahrheitet, der ihn im theater vorsitzend
anhörte. aber der scholiast, der notirt τὸ ὅλον ὅ τι βούλεται οὔκ
ἐστι σαφές, hat an diesen für jeden, der den Thukydides kannte, nahe-
liegenden vorgang nicht gedacht, und umstoſsen kann diese deutung
eines verses, die wir machen, unmöglich eine urkundliche datirung. der
rat des jahres 413/12 hatte geduldet, daſs über ihn die probulen gesetzt
wurden. darauf hat O. Müller den vers bezogen, und selbst R. Schöll
(Comm. Momms. 454) bestreitet die möglichkeit dieser beziehung nicht.
der rat, der zur zeit der Thesmophoriazusen im amte war, hatte die
probulen über sich, er hatte also auch keine autorität und hat sich zwei
monate nachher geduldig aufgelöst. auch damals schob man, wie die
bekannte anekdote von Sophokles zeigt, den probulen die hauptschuld
zu. es paſst also wahrlich der vorwurf gegen den rat von 412 “ihr
habt die praerogative eurer körperschaft an eine andere behörde über-
gehen lassen”, auch wenn der rat noch weiter existirte. wenn sich der
nächste rat zu gunsten eines anderen rates ein par wochen vor dem ge-
setzlichen παϱαδιδόναι τὴν βουλείαν aufgelöst hat, würde der vers mit
veränderter bedeutung darauf noch besser passen? ich glaube es nicht,
denn jeder rat gibt wie dieser die βουλεία an einen nachfolger ab,
ἑτέϱῳ paſst meines erachtens besser auf eine andere behörde. aber
besser oder schlechter: das stöſst keine didaskalie um.

Da sagt man aber weiter, wenn der rat zu gunsten der probulen
in den hintergrund getreten war, so sollte in den Thesmophoriazusen
ein probule auftreten wie in der Lysistrate, kein prytan. das ist eine
durchaus ungehörige anwendung der richtigen beobachtung, daſs die
beiden repraesentanten der staatsgewalt dramatisch dieselbe rolle spielen.

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[344/0354] III. 8. Die zeit der Thesmophoriazusen. Zu demselben resultate führt eine andere rechnung. Aristophanes sagt selbst, daſs die Andromeda des Euripides voriges jahr (πέϱυσιν) gegeben war (1060); schol. Frösch. 53 setzt sie in das achte jahr vor diese, also unter Kleokritos, frühjahr 412. und später kann sie nicht fallen, wenn wir den scholiasten glauben, wie wir müssen, daſs der vers Lysistr. 963 einen der Andromeda parodirt. Wir sind demnach verbunden, die urkundliche datirung zum aus- gangspunkte zu nehmen. was spricht nun dagegen? in wahrheit nur eines. 808 fragt der chor ἀλλ̕ Εὐβούλης τῶν πέϱυσιν τις βουλευτῶν ἐστὶν ἀμείνων παϱαδοὺς ἑτέϱῳ τὴν βουλείαν; ich gebe bereitwillig zu, die beste beziehung ist vorhanden, wenn wir an den rat denken, der am 14 thargelion des Kallias, mai 411, dem neuen rate der 400 platz machte. wenn der vers acht wochen vorher gesprochen ist, so hat er sich seltsam an dem rate bewahrheitet, der ihn im theater vorsitzend anhörte. aber der scholiast, der notirt τὸ ὅλον ὅ τι βούλεται οὔκ ἐστι σαφές, hat an diesen für jeden, der den Thukydides kannte, nahe- liegenden vorgang nicht gedacht, und umstoſsen kann diese deutung eines verses, die wir machen, unmöglich eine urkundliche datirung. der rat des jahres 413/12 hatte geduldet, daſs über ihn die probulen gesetzt wurden. darauf hat O. Müller den vers bezogen, und selbst R. Schöll (Comm. Momms. 454) bestreitet die möglichkeit dieser beziehung nicht. der rat, der zur zeit der Thesmophoriazusen im amte war, hatte die probulen über sich, er hatte also auch keine autorität und hat sich zwei monate nachher geduldig aufgelöst. auch damals schob man, wie die bekannte anekdote von Sophokles zeigt, den probulen die hauptschuld zu. es paſst also wahrlich der vorwurf gegen den rat von 412 “ihr habt die praerogative eurer körperschaft an eine andere behörde über- gehen lassen”, auch wenn der rat noch weiter existirte. wenn sich der nächste rat zu gunsten eines anderen rates ein par wochen vor dem ge- setzlichen παϱαδιδόναι τὴν βουλείαν aufgelöst hat, würde der vers mit veränderter bedeutung darauf noch besser passen? ich glaube es nicht, denn jeder rat gibt wie dieser die βουλεία an einen nachfolger ab, ἑτέϱῳ paſst meines erachtens besser auf eine andere behörde. aber besser oder schlechter: das stöſst keine didaskalie um. Da sagt man aber weiter, wenn der rat zu gunsten der probulen in den hintergrund getreten war, so sollte in den Thesmophoriazusen ein probule auftreten wie in der Lysistrate, kein prytan. das ist eine durchaus ungehörige anwendung der richtigen beobachtung, daſs die beiden repraesentanten der staatsgewalt dramatisch dieselbe rolle spielen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/354>, abgerufen am 28.03.2024.