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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 9. Die rede für Polystratos.
diese wiederum 100 ratsmänner, jeder von diesen drei weitere erwählte.
die cooptation von je dreien durch die 100 kataloges scheint mir für
den späteren zeitpunkt sehr glaublich.3) die 5 proedroi sind freilich
rechtlich und officiell eben so wenig vorhanden gewesen wie die 5
ephoroi 4044): tatsächlich mag ein actionscomite der clubbisten nicht
nur existirt, sondern die wahlen geleitet haben.

In Eretria hat Polystratos, der ratsherr von Athen, so lange als die
oligarchie sich hielt, das commando geführt, als phrourarkhos. die cumu-
lation der ämter, die sonst unglaublich wäre, befremdet nicht unter einem
regimente, das für normale verhältnisse die platzcommandanten wie alle
höheren beamten aus dem rate besetzen wollte (actenstück C a) und für
die übergangszeit die besetzung dieser stellen eben dem rate überlassen
hatte (C b). nach der tendenz der aristokraten, wie sie Peisandros bei
Thukydides verfolgt, mussten sie in den Reichstädten schleunigst einen
dem attischen analogen umsturz der verfassungen bewirken5); dazu brauch-
ten sie einflussreiche und zuverlässige leute, die sie am ehesten unter
sich fanden. Polystratos empfahl sich militärisch, da er im selben jahre
in Oropos commandirt hatte: er muss aber, obwol der redner es natür-
lich verschleiert, auch politisch den leitenden männern garantien für
seine gesinnung gegeben haben. in wahrheit waren wol die leute von
70 jahren, die einen durch den krieg entwerteten grundbesitz hatten
und im staatsdienste ergraut waren, alle für die beschränkung des demos
auf die 5000: das schloss den landesverrat des Antiphon oder die ganz
gemeine gesinnungslosigkeit der Peisandros und Phrynichos nicht in sich.
die rechenschaftsklage hat dann Polystratos für seinen commandanten-

3) Man sehe, wie viel schlagender § 2 nun wird. da wird Polystratos damit
entschuldigt, dass er von den phyleten gewählt ist. das zieht nicht, wenn alle 400
in gleichem falle waren; es ist ein kräftiger beweis, wenn es nur ein viertel war.
4) Lysias 12, 43. der advocat lässt gar keinen zweifel darüber, dass dieser
von den clubbisten eingesetzte wolfahrtsausschuss mit dem staate nichts zu schaffen
hatte. wie weit er von dem revolutionären treiben der clubbs unterrichtet war,
können wir nicht sagen; aber an sich ist der bericht nicht unglaubwürdig. höch-
stens möchte man bezweifeln, ob Eratosthenes von der partie war.
5) Thuk. 8, 69. vgl. die leider von seinen gesinnungsgenossen nicht beher-
zigte maxime des schriftstellers der Athenaion Politeia 3, 10, die zu Thukydides
stimmt. wenn Polystratos eine oligarchie in Eretria eingerichtet hat, so kann man
ihn von der mitschuld an dem verluste von Euboia nicht freisprechen; ich würde
ihn auch zu der geldbusse verurteilt haben. von den kleruchen auf Euboia ist mit
ausnahme der zu einer gemeinde zusammengeschlossenen in Oreos-Histiaia nicht
die rede: sie werden zum kleinsten teile auf ihren landlosen selbst gewohnt haben
und kamen in der vereinzelung nicht in betracht.

III. 9. Die rede für Polystratos.
diese wiederum 100 ratsmänner, jeder von diesen drei weitere erwählte.
die cooptation von je dreien durch die 100 καταλογῆς scheint mir für
den späteren zeitpunkt sehr glaublich.3) die 5 πϱόεδϱοι sind freilich
rechtlich und officiell eben so wenig vorhanden gewesen wie die 5
ἔφοϱοι 4044): tatsächlich mag ein actionscomité der clubbisten nicht
nur existirt, sondern die wahlen geleitet haben.

In Eretria hat Polystratos, der ratsherr von Athen, so lange als die
oligarchie sich hielt, das commando geführt, als φϱούϱαϱχος. die cumu-
lation der ämter, die sonst unglaublich wäre, befremdet nicht unter einem
regimente, das für normale verhältnisse die platzcommandanten wie alle
höheren beamten aus dem rate besetzen wollte (actenstück C a) und für
die übergangszeit die besetzung dieser stellen eben dem rate überlassen
hatte (C b). nach der tendenz der aristokraten, wie sie Peisandros bei
Thukydides verfolgt, muſsten sie in den Reichstädten schleunigst einen
dem attischen analogen umsturz der verfassungen bewirken5); dazu brauch-
ten sie einfluſsreiche und zuverlässige leute, die sie am ehesten unter
sich fanden. Polystratos empfahl sich militärisch, da er im selben jahre
in Oropos commandirt hatte: er muſs aber, obwol der redner es natür-
lich verschleiert, auch politisch den leitenden männern garantien für
seine gesinnung gegeben haben. in wahrheit waren wol die leute von
70 jahren, die einen durch den krieg entwerteten grundbesitz hatten
und im staatsdienste ergraut waren, alle für die beschränkung des demos
auf die 5000: das schloſs den landesverrat des Antiphon oder die ganz
gemeine gesinnungslosigkeit der Peisandros und Phrynichos nicht in sich.
die rechenschaftsklage hat dann Polystratos für seinen commandanten-

3) Man sehe, wie viel schlagender § 2 nun wird. da wird Polystratos damit
entschuldigt, daſs er von den phyleten gewählt ist. das zieht nicht, wenn alle 400
in gleichem falle waren; es ist ein kräftiger beweis, wenn es nur ein viertel war.
4) Lysias 12, 43. der advocat läſst gar keinen zweifel darüber, daſs dieser
von den clubbisten eingesetzte wolfahrtsausschuſs mit dem staate nichts zu schaffen
hatte. wie weit er von dem revolutionären treiben der clubbs unterrichtet war,
können wir nicht sagen; aber an sich ist der bericht nicht unglaubwürdig. höch-
stens möchte man bezweifeln, ob Eratosthenes von der partie war.
5) Thuk. 8, 69. vgl. die leider von seinen gesinnungsgenossen nicht beher-
zigte maxime des schriftstellers der Ἀϑηναίων Πολιτεία 3, 10, die zu Thukydides
stimmt. wenn Polystratos eine oligarchie in Eretria eingerichtet hat, so kann man
ihn von der mitschuld an dem verluste von Euboia nicht freisprechen; ich würde
ihn auch zu der geldbuſse verurteilt haben. von den kleruchen auf Euboia ist mit
ausnahme der zu einer gemeinde zusammengeschlossenen in Oreos-Histiaia nicht
die rede: sie werden zum kleinsten teile auf ihren landlosen selbst gewohnt haben
und kamen in der vereinzelung nicht in betracht.
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[358/0368] III. 9. Die rede für Polystratos. diese wiederum 100 ratsmänner, jeder von diesen drei weitere erwählte. die cooptation von je dreien durch die 100 καταλογῆς scheint mir für den späteren zeitpunkt sehr glaublich. 3) die 5 πϱόεδϱοι sind freilich rechtlich und officiell eben so wenig vorhanden gewesen wie die 5 ἔφοϱοι 404 4): tatsächlich mag ein actionscomité der clubbisten nicht nur existirt, sondern die wahlen geleitet haben. In Eretria hat Polystratos, der ratsherr von Athen, so lange als die oligarchie sich hielt, das commando geführt, als φϱούϱαϱχος. die cumu- lation der ämter, die sonst unglaublich wäre, befremdet nicht unter einem regimente, das für normale verhältnisse die platzcommandanten wie alle höheren beamten aus dem rate besetzen wollte (actenstück C a) und für die übergangszeit die besetzung dieser stellen eben dem rate überlassen hatte (C b). nach der tendenz der aristokraten, wie sie Peisandros bei Thukydides verfolgt, muſsten sie in den Reichstädten schleunigst einen dem attischen analogen umsturz der verfassungen bewirken 5); dazu brauch- ten sie einfluſsreiche und zuverlässige leute, die sie am ehesten unter sich fanden. Polystratos empfahl sich militärisch, da er im selben jahre in Oropos commandirt hatte: er muſs aber, obwol der redner es natür- lich verschleiert, auch politisch den leitenden männern garantien für seine gesinnung gegeben haben. in wahrheit waren wol die leute von 70 jahren, die einen durch den krieg entwerteten grundbesitz hatten und im staatsdienste ergraut waren, alle für die beschränkung des demos auf die 5000: das schloſs den landesverrat des Antiphon oder die ganz gemeine gesinnungslosigkeit der Peisandros und Phrynichos nicht in sich. die rechenschaftsklage hat dann Polystratos für seinen commandanten- 3) Man sehe, wie viel schlagender § 2 nun wird. da wird Polystratos damit entschuldigt, daſs er von den phyleten gewählt ist. das zieht nicht, wenn alle 400 in gleichem falle waren; es ist ein kräftiger beweis, wenn es nur ein viertel war. 4) Lysias 12, 43. der advocat läſst gar keinen zweifel darüber, daſs dieser von den clubbisten eingesetzte wolfahrtsausschuſs mit dem staate nichts zu schaffen hatte. wie weit er von dem revolutionären treiben der clubbs unterrichtet war, können wir nicht sagen; aber an sich ist der bericht nicht unglaubwürdig. höch- stens möchte man bezweifeln, ob Eratosthenes von der partie war. 5) Thuk. 8, 69. vgl. die leider von seinen gesinnungsgenossen nicht beher- zigte maxime des schriftstellers der Ἀϑηναίων Πολιτεία 3, 10, die zu Thukydides stimmt. wenn Polystratos eine oligarchie in Eretria eingerichtet hat, so kann man ihn von der mitschuld an dem verluste von Euboia nicht freisprechen; ich würde ihn auch zu der geldbuſse verurteilt haben. von den kleruchen auf Euboia ist mit ausnahme der zu einer gemeinde zusammengeschlossenen in Oreos-Histiaia nicht die rede: sie werden zum kleinsten teile auf ihren landlosen selbst gewohnt haben und kamen in der vereinzelung nicht in betracht.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/368>, abgerufen am 28.03.2024.