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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 10. Die paragraphe und Lysias gegen Pankleon.
in der Herodesrede innerhalb des hauptprocesses als ein verteidigungs-
grund nebenher vorgebracht und widerlegt wird, kommt in der rede des
Lysias wider Pankleon gelegentlich vor.

So ergibt sich ein, wie mich dünkt, eben so sicherer wie inter-
essanter einblick in die entwickelung des attischen rechtes. --

Da die Lysiasrede wenig verstanden und sogar athetirt ist, benutze
ich die gelegenheit, sie zu erläutern. das kann mit einer erzählung des
handels so kurz geleistet werden, wie die gute rede selbst ist.

Der kläger hatte, wir wissen nicht was für einen, handel mit einem
walker Pankleon, der in wahrheit ein weggelaufener sklave eines Pla-
taeers war, aber ein geriebener kerl, der es verstand sich in Athen
herumzudrücken, bald den Plataeer, also bürger, bald den metoeken
spielend, und der auch einen resoluten anhang von gesinnungsgenossen
hatte. der kläger kam mit den vom gesetz geforderten ladungszeugen
(kleteres) und verkündete dem Pankleon, dass er ihn als metoeken vor
den polemarchen citire. Pankleon gebrauchte die ausflucht, er wäre
Plataeer, also bürger, dem demos Dekeleia zugeschrieben. darauf repli-
cirte der kläger 'so lade ich dich auch vor die demenrichter'. er be-
hielt sich also die wahl des forums vor; die formalität der ladung war
in jedem falle erledigt. sich selbst darüber zu entscheiden, erkundigte
er sich bei den Dekeleern. sie kannten den Pankleon nicht als den
ihrigen; dagegen fanden sich praecedenzfälle, in denen Pankleon vor
dem polemarchen verklagt und verurteilt war.4) die leute, die so dessen
metoekenstand beweisen konnten, stellten ihr zeugnis dem kläger zur
verfügung. so belangte er also Pankleon vor dem polemarchen; jener
hielt jedoch die behauptung, er wäre Plataeer, aufrecht: daher diese vor-
verhandlung.

Um für sie material zu suchen, gieng der kläger die in Athen ein-
gebürgerter Plataeer an und hörte hier die überraschende tatsache, dass
Pankleon ein entlaufener sclave des Plataeers Nikomedes wäre. es
scheint, dass dieser von seinem verlornen besitze erst jetzt kunde erhielt;
jedenfalls benutzte er die gelegenheit, ohne zweifel im einverständnis

4) Wer da glaubt, dass die metoeken ohne materielle oder formelle interven-
tion eines patrons nicht rechtsfähig gewesen wären, möge gefälligst den patron des
Pankleon angeben oder erklären, wieso von dessen existenz oder nichtexistenz kein
wort fällt. dass er mit dem schwindel durchkam und sich oikon en Dekeleia (oder
wie er gerade log) vor dem polemarchen nennen konnte, liegt daran, dass die me-
toekenprocesse nicht nach phylen verteilt wurden (oben I 249). der polemarch und
die kläger hatten die behauptung auf treu und glauben angenommen.

III. 10. Die παϱαγϱαφὴ und Lysias gegen Pankleon.
in der Herodesrede innerhalb des hauptprocesses als ein verteidigungs-
grund nebenher vorgebracht und widerlegt wird, kommt in der rede des
Lysias wider Pankleon gelegentlich vor.

So ergibt sich ein, wie mich dünkt, eben so sicherer wie inter-
essanter einblick in die entwickelung des attischen rechtes. —

Da die Lysiasrede wenig verstanden und sogar athetirt ist, benutze
ich die gelegenheit, sie zu erläutern. das kann mit einer erzählung des
handels so kurz geleistet werden, wie die gute rede selbst ist.

Der kläger hatte, wir wissen nicht was für einen, handel mit einem
walker Pankleon, der in wahrheit ein weggelaufener sklave eines Pla-
taeers war, aber ein geriebener kerl, der es verstand sich in Athen
herumzudrücken, bald den Plataeer, also bürger, bald den metoeken
spielend, und der auch einen resoluten anhang von gesinnungsgenossen
hatte. der kläger kam mit den vom gesetz geforderten ladungszeugen
(κλητῆϱες) und verkündete dem Pankleon, daſs er ihn als metoeken vor
den polemarchen citire. Pankleon gebrauchte die ausflucht, er wäre
Plataeer, also bürger, dem demos Dekeleia zugeschrieben. darauf repli-
cirte der kläger ‘so lade ich dich auch vor die demenrichter’. er be-
hielt sich also die wahl des forums vor; die formalität der ladung war
in jedem falle erledigt. sich selbst darüber zu entscheiden, erkundigte
er sich bei den Dekeleern. sie kannten den Pankleon nicht als den
ihrigen; dagegen fanden sich praecedenzfälle, in denen Pankleon vor
dem polemarchen verklagt und verurteilt war.4) die leute, die so dessen
metoekenstand beweisen konnten, stellten ihr zeugnis dem kläger zur
verfügung. so belangte er also Pankleon vor dem polemarchen; jener
hielt jedoch die behauptung, er wäre Plataeer, aufrecht: daher diese vor-
verhandlung.

Um für sie material zu suchen, gieng der kläger die in Athen ein-
gebürgerter Plataeer an und hörte hier die überraschende tatsache, daſs
Pankleon ein entlaufener sclave des Plataeers Nikomedes wäre. es
scheint, daſs dieser von seinem verlornen besitze erst jetzt kunde erhielt;
jedenfalls benutzte er die gelegenheit, ohne zweifel im einverständnis

4) Wer da glaubt, daſs die metoeken ohne materielle oder formelle interven-
tion eines patrons nicht rechtsfähig gewesen wären, möge gefälligst den patron des
Pankleon angeben oder erklären, wieso von dessen existenz oder nichtexistenz kein
wort fällt. daſs er mit dem schwindel durchkam und sich οἰκῶν ἐν Δεκελείᾳ (oder
wie er gerade log) vor dem polemarchen nennen konnte, liegt daran, daſs die me-
toekenprocesse nicht nach phylen verteilt wurden (oben I 249). der polemarch und
die kläger hatten die behauptung auf treu und glauben angenommen.
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[370/0380] III. 10. Die παϱαγϱαφὴ und Lysias gegen Pankleon. in der Herodesrede innerhalb des hauptprocesses als ein verteidigungs- grund nebenher vorgebracht und widerlegt wird, kommt in der rede des Lysias wider Pankleon gelegentlich vor. So ergibt sich ein, wie mich dünkt, eben so sicherer wie inter- essanter einblick in die entwickelung des attischen rechtes. — Da die Lysiasrede wenig verstanden und sogar athetirt ist, benutze ich die gelegenheit, sie zu erläutern. das kann mit einer erzählung des handels so kurz geleistet werden, wie die gute rede selbst ist. Der kläger hatte, wir wissen nicht was für einen, handel mit einem walker Pankleon, der in wahrheit ein weggelaufener sklave eines Pla- taeers war, aber ein geriebener kerl, der es verstand sich in Athen herumzudrücken, bald den Plataeer, also bürger, bald den metoeken spielend, und der auch einen resoluten anhang von gesinnungsgenossen hatte. der kläger kam mit den vom gesetz geforderten ladungszeugen (κλητῆϱες) und verkündete dem Pankleon, daſs er ihn als metoeken vor den polemarchen citire. Pankleon gebrauchte die ausflucht, er wäre Plataeer, also bürger, dem demos Dekeleia zugeschrieben. darauf repli- cirte der kläger ‘so lade ich dich auch vor die demenrichter’. er be- hielt sich also die wahl des forums vor; die formalität der ladung war in jedem falle erledigt. sich selbst darüber zu entscheiden, erkundigte er sich bei den Dekeleern. sie kannten den Pankleon nicht als den ihrigen; dagegen fanden sich praecedenzfälle, in denen Pankleon vor dem polemarchen verklagt und verurteilt war. 4) die leute, die so dessen metoekenstand beweisen konnten, stellten ihr zeugnis dem kläger zur verfügung. so belangte er also Pankleon vor dem polemarchen; jener hielt jedoch die behauptung, er wäre Plataeer, aufrecht: daher diese vor- verhandlung. Um für sie material zu suchen, gieng der kläger die in Athen ein- gebürgerter Plataeer an und hörte hier die überraschende tatsache, daſs Pankleon ein entlaufener sclave des Plataeers Nikomedes wäre. es scheint, daſs dieser von seinem verlornen besitze erst jetzt kunde erhielt; jedenfalls benutzte er die gelegenheit, ohne zweifel im einverständnis 4) Wer da glaubt, daſs die metoeken ohne materielle oder formelle interven- tion eines patrons nicht rechtsfähig gewesen wären, möge gefälligst den patron des Pankleon angeben oder erklären, wieso von dessen existenz oder nichtexistenz kein wort fällt. daſs er mit dem schwindel durchkam und sich οἰκῶν ἐν Δεκελείᾳ (oder wie er gerade log) vor dem polemarchen nennen konnte, liegt daran, daſs die me- toekenprocesse nicht nach phylen verteilt wurden (oben I 249). der polemarch und die kläger hatten die behauptung auf treu und glauben angenommen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/380>, abgerufen am 28.03.2024.