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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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12.
ISOKRATES PANEGYRIKOS 100--114.


Zeit der
rede.
Ein panegyrikos ist für eine panegyris bestimmt: das liegt im
namen. Isokrates wollte den seinen freilich nicht selbst halten, aber er
tat doch so, und das buch sollte zu dem feste erscheinen, und der jahr-
markt gab die beste gelegenheit es unter die leute zu bringen. also
haben wir, wie für eine tragoedie ein Dionysosfest, so für einen pane-
gyrikos eine panegyris zu suchen, wenn wir ihn datiren wollen. mit
einer so einfachen überlegung ist die schönste rede des Isokrates auf
die hundertste olympiade, spätsommer 380, festgelegt. denn dass die
olympische panegyris gemeint ist, folgt daraus notwendig, dass diese rede
auf die olympischen reden des Gorgias und Lysias bezug nimmt, zu
ihnen in concurrenz tritt und sie überwindet. selbstverständlich ist ein
buch, das im august erscheinen soll, etliche monate vorher 'im manu-
script abgeschlossen', und ein mühsam arbeitender schriftsteller wird
ganze partien schon viel früher angelegt und ausgeführt haben, wenn
auch bei der schlussredaction alles eine gemeinsame politur erhielt. es
ist selbst bei den rasch gearbeiteten komoedien gut, solche notwendigen
umstände nicht zu vergessen, wenn man die einzelnen anspielungen mit
dem tage der aufführung zusammenhält: wie viel mehr gilt es hier.
die beabsichtigte wirkung ist dabei natürlich doch eine einheitliche,
und 380, auf der höhe seiner kraft, konnte Isokrates auch die uneben-
heiten ausgleichen, die er als greis ruhig stehn liess, als er mit der rede
nicht fertig wurde, die zu den panathenaeen 342 erscheinen sollte;
damals haspelte er den faden immer weiter; 338 mag die rede, wie sie
ist, auch ausgegeben sein, aber da war gerade so ungeheures teils ge-
schehen, teils im werke, dass sie am feste post festum kam.1)


1) Der Panathenaikos, der von den verwickelungen von 338 noch gar keine
spur zeigt, ist besonders belehrend: sollen wir etwa glauben, er wäre für die kleinen
panathenaeen 339 bestimmt gewesen? der steinalte mann schreibt da gewisser-
12.
ISOKRATES PANEGYRIKOS 100—114.


Zeit der
rede.
Ein panegyrikos ist für eine panegyris bestimmt: das liegt im
namen. Isokrates wollte den seinen freilich nicht selbst halten, aber er
tat doch so, und das buch sollte zu dem feste erscheinen, und der jahr-
markt gab die beste gelegenheit es unter die leute zu bringen. also
haben wir, wie für eine tragoedie ein Dionysosfest, so für einen pane-
gyrikos eine panegyris zu suchen, wenn wir ihn datiren wollen. mit
einer so einfachen überlegung ist die schönste rede des Isokrates auf
die hundertste olympiade, spätsommer 380, festgelegt. denn daſs die
olympische panegyris gemeint ist, folgt daraus notwendig, daſs diese rede
auf die olympischen reden des Gorgias und Lysias bezug nimmt, zu
ihnen in concurrenz tritt und sie überwindet. selbstverständlich ist ein
buch, das im august erscheinen soll, etliche monate vorher ‘im manu-
script abgeschlossen’, und ein mühsam arbeitender schriftsteller wird
ganze partien schon viel früher angelegt und ausgeführt haben, wenn
auch bei der schluſsredaction alles eine gemeinsame politur erhielt. es
ist selbst bei den rasch gearbeiteten komoedien gut, solche notwendigen
umstände nicht zu vergessen, wenn man die einzelnen anspielungen mit
dem tage der aufführung zusammenhält: wie viel mehr gilt es hier.
die beabsichtigte wirkung ist dabei natürlich doch eine einheitliche,
und 380, auf der höhe seiner kraft, konnte Isokrates auch die uneben-
heiten ausgleichen, die er als greis ruhig stehn lieſs, als er mit der rede
nicht fertig wurde, die zu den panathenaeen 342 erscheinen sollte;
damals haspelte er den faden immer weiter; 338 mag die rede, wie sie
ist, auch ausgegeben sein, aber da war gerade so ungeheures teils ge-
schehen, teils im werke, daſs sie am feste post festum kam.1)


1) Der Panathenaikos, der von den verwickelungen von 338 noch gar keine
spur zeigt, ist besonders belehrend: sollen wir etwa glauben, er wäre für die kleinen
panathenaeen 339 bestimmt gewesen? der steinalte mann schreibt da gewisser-
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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. [380]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/390>, abgerufen am 29.03.2024.