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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 15. Die gedichte des Aristoteles.
eine ubris in der praedicirung der eudaimonia eines menschen finden;
so würden Herodotos und Aischylos und Sophokles geurteilt haben, und
ich selber bin dem vielleicht sehr geneigt. und die schüler haben nun
einmal so geurteilt, die tatsache darf nicht weggedeutelt werden. und
wahrhaftig, wenn er vor ihnen stand, und sie ihn wirklich für agathos
und eudaimon hielten, so war er ein gott, und es war eine blasphemie,
wenn ein schlechter mensch selbst lobend von ihm redete. dies sagt
Aristoteles von ihm aus: aber die notwendige folge daraus, dass er ihn
für einen gott erklärt, will man nicht ertragen? des menschen aufgabe
ist eph oson endekhetai athanatizein, sagt Aristoteles (Eth. X 1177b):
wenn es einem gelungen war, das ganz zu tun, was war er dadurch
geworden?

Ob der altar wirklich errichtet ist, macht für die empfindung, für
die asebie, wenn's jemand so zu nennen wagt, nichts aus. aber was
soll uns dazu bringen, die worte anders zu deuten als sie dastehn?
verhinderte vielleicht ein gesetz oder die polizei eine solche private
weihung? schritt der staat, der den theos ithuphallos zuliess, gegen
den theos Platon ein? tat dieser gott dem sebesthai tous patrious
theous abbruch? ob der könig eine denuntiation asebeias gegen die
weihenden angenommen haben würde, wenn jemand geklagt hätte, ist
müssig zu fragen. vielleicht; vielleicht haben die jünglinge es auch
darauf ankommen lassen. an Platon hat sich nicht einmal ein sykophant
gewagt; so mag auch selbst der pfaffe Eurymedon diesen beweis für die
asebie des Aristoteles verschmäht haben. das äussere zeichen ist doch
immer nebensache. die empfindung aber -- nun ich will von Epikuros
und Alexandros und Augustus gar nicht reden, aber wie haben Bettina
und Rahel und recht viele andere zum alten Goethe aufgesehen? wie
Paris zum greisen Voltaire? wie wir Deutsche zu unserm guten alten
kaiser Wilhelm? sünde oder nicht vor den pfaffen, dummheit oder nicht
vor den rationalisten: ein ächtes und ein frommes gefühl bleibt es, das
den menschen in dem grossen und guten menschen gott finden lässt
gerade so gut wie in der elementaren natur, und zwar gerade den
menschen, der über die formen der conventionellen religionen hinaus
ist. dieses ächte und fromme, aber allerdings schwärmerische gefühl hat
auch ein Aristoteles geteilt: das ist tatsache. finde sich jeder mit ihr ab
wie er will; ich habe ihn lieb darum.



III. 15. Die gedichte des Aristoteles.
eine ὕβϱις in der praedicirung der εὐδαιμονία eines menschen finden;
so würden Herodotos und Aischylos und Sophokles geurteilt haben, und
ich selber bin dem vielleicht sehr geneigt. und die schüler haben nun
einmal so geurteilt, die tatsache darf nicht weggedeutelt werden. und
wahrhaftig, wenn er vor ihnen stand, und sie ihn wirklich für ἀγαϑός
und εὐδαίμων hielten, so war er ein gott, und es war eine blasphemie,
wenn ein schlechter mensch selbst lobend von ihm redete. dies sagt
Aristoteles von ihm aus: aber die notwendige folge daraus, daſs er ihn
für einen gott erklärt, will man nicht ertragen? des menschen aufgabe
ist ἐφ̕ ὅσον ἐνδέχεται ἀϑανατίζειν, sagt Aristoteles (Eth. X 1177b):
wenn es einem gelungen war, das ganz zu tun, was war er dadurch
geworden?

Ob der altar wirklich errichtet ist, macht für die empfindung, für
die asebie, wenn’s jemand so zu nennen wagt, nichts aus. aber was
soll uns dazu bringen, die worte anders zu deuten als sie dastehn?
verhinderte vielleicht ein gesetz oder die polizei eine solche private
weihung? schritt der staat, der den ϑεὸς ἰϑύφαλλος zulieſs, gegen
den ϑεὸς Πλάτων ein? tat dieser gott dem σέβεσϑαι τοὺς πατϱίους
ϑεοὺς abbruch? ob der könig eine denuntiation ἀσεβείας gegen die
weihenden angenommen haben würde, wenn jemand geklagt hätte, ist
müſsig zu fragen. vielleicht; vielleicht haben die jünglinge es auch
darauf ankommen lassen. an Platon hat sich nicht einmal ein sykophant
gewagt; so mag auch selbst der pfaffe Eurymedon diesen beweis für die
asebie des Aristoteles verschmäht haben. das äuſsere zeichen ist doch
immer nebensache. die empfindung aber — nun ich will von Epikuros
und Alexandros und Augustus gar nicht reden, aber wie haben Bettina
und Rahel und recht viele andere zum alten Goethe aufgesehen? wie
Paris zum greisen Voltaire? wie wir Deutsche zu unserm guten alten
kaiser Wilhelm? sünde oder nicht vor den pfaffen, dummheit oder nicht
vor den rationalisten: ein ächtes und ein frommes gefühl bleibt es, das
den menschen in dem groſsen und guten menschen gott finden läſst
gerade so gut wie in der elementaren natur, und zwar gerade den
menschen, der über die formen der conventionellen religionen hinaus
ist. dieses ächte und fromme, aber allerdings schwärmerische gefühl hat
auch ein Aristoteles geteilt: das ist tatsache. finde sich jeder mit ihr ab
wie er will; ich habe ihn lieb darum.



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[416/0426] III. 15. Die gedichte des Aristoteles. eine ὕβϱις in der praedicirung der εὐδαιμονία eines menschen finden; so würden Herodotos und Aischylos und Sophokles geurteilt haben, und ich selber bin dem vielleicht sehr geneigt. und die schüler haben nun einmal so geurteilt, die tatsache darf nicht weggedeutelt werden. und wahrhaftig, wenn er vor ihnen stand, und sie ihn wirklich für ἀγαϑός und εὐδαίμων hielten, so war er ein gott, und es war eine blasphemie, wenn ein schlechter mensch selbst lobend von ihm redete. dies sagt Aristoteles von ihm aus: aber die notwendige folge daraus, daſs er ihn für einen gott erklärt, will man nicht ertragen? des menschen aufgabe ist ἐφ̕ ὅσον ἐνδέχεται ἀϑανατίζειν, sagt Aristoteles (Eth. X 1177b): wenn es einem gelungen war, das ganz zu tun, was war er dadurch geworden? Ob der altar wirklich errichtet ist, macht für die empfindung, für die asebie, wenn’s jemand so zu nennen wagt, nichts aus. aber was soll uns dazu bringen, die worte anders zu deuten als sie dastehn? verhinderte vielleicht ein gesetz oder die polizei eine solche private weihung? schritt der staat, der den ϑεὸς ἰϑύφαλλος zulieſs, gegen den ϑεὸς Πλάτων ein? tat dieser gott dem σέβεσϑαι τοὺς πατϱίους ϑεοὺς abbruch? ob der könig eine denuntiation ἀσεβείας gegen die weihenden angenommen haben würde, wenn jemand geklagt hätte, ist müſsig zu fragen. vielleicht; vielleicht haben die jünglinge es auch darauf ankommen lassen. an Platon hat sich nicht einmal ein sykophant gewagt; so mag auch selbst der pfaffe Eurymedon diesen beweis für die asebie des Aristoteles verschmäht haben. das äuſsere zeichen ist doch immer nebensache. die empfindung aber — nun ich will von Epikuros und Alexandros und Augustus gar nicht reden, aber wie haben Bettina und Rahel und recht viele andere zum alten Goethe aufgesehen? wie Paris zum greisen Voltaire? wie wir Deutsche zu unserm guten alten kaiser Wilhelm? sünde oder nicht vor den pfaffen, dummheit oder nicht vor den rationalisten: ein ächtes und ein frommes gefühl bleibt es, das den menschen in dem groſsen und guten menschen gott finden läſst gerade so gut wie in der elementaren natur, und zwar gerade den menschen, der über die formen der conventionellen religionen hinaus ist. dieses ächte und fromme, aber allerdings schwärmerische gefühl hat auch ein Aristoteles geteilt: das ist tatsache. finde sich jeder mit ihr ab wie er will; ich habe ihn lieb darum.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/426>, abgerufen am 28.03.2024.