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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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4.
WEGE UND ZIELE DER MODERNEN TRAGIKERKRITIK.

Bekannt-
werden der
tragiker in
Italien.

Handschriften der tragiker sind schon früh in den occident gelangt.
Laurent. 32, 2 war 1348 in Avignon und im 15. jahrhundert in der
privatbibliothek der Medici 1). Laurent. 32, 9 kam durch Aurispa 1423
nach Venedig; also die beste Quelle für Aischylos und Sophokles, die
reichste und zur hälfte auch reinste für Euripides war gefunden. aber
die gedichte waren zu schwer, teilweis auch zu entstellt, als dass selbst
von den des griechischen kundigen humanisten viele sie hätten lesen
können, und eine übersetzung, wie sie historiker philosophen ärzte er-
schloss, half für die dichter nichts. so sind denn abschriften in Italien
nur wenig gemacht 2), und die drucker haben sich erst dann auf diese
wie die meisten anderen griechischen dichter geworfen, als sie tüchtige
griechische gelehrte zu herausgebern gewinnen konnten. Griechen, aber
eben nur Griechen, haben auch in den handschriften selbst die spuren
ihrer lecture zahlreich hinterlassen. ihrer ganzen art nach waren sie
den italienischen humanisten ähnlich, und das meiste was sie gemacht
haben beseitigen wir als interpolation. aber ein mann befand sich unter
ihnen, dessen lange verkannte bedeutung immer mehr ans licht tritt, ja
den man wol als das bedeutendste emendatorische talent bezeichnen muss,
welches das griechische volk bisher hervorgebracht hat, der Kreter Marcus

1) Es führte die nummer 58 tragedia Euripidis et Sophoclis et Eschili in
papyro
, Piccolomini intorno alle condizioni e vicende della libreria Medicea privata p. 83.
2) Von dem Laurentianus C sind mehrere vorhanden und eher als er selbst
für den text benutzt. da sie aber aus C genommen sind, nachdem die gelehrten ihn
verwüstet hatten, haben sie nur geschadet. da der kritische apparat diese correc-
turen alle fortwirft, so erscheinen die apographa nur ein par mal für kleine ver-
besserungen aus conjectur. eine vergleichung der grösseren Kirchhoff'schen ausgabe
kann lehren, ein wie falsches bild aus ihnen und einer vergleichung, die wie sie
nicht auf die erste hand zurückgieng, von C gewonnen ward.
4.
WEGE UND ZIELE DER MODERNEN TRAGIKERKRITIK.

Bekannt-
werden der
tragiker in
Italien.

Handschriften der tragiker sind schon früh in den occident gelangt.
Laurent. 32, 2 war 1348 in Avignon und im 15. jahrhundert in der
privatbibliothek der Medici 1). Laurent. 32, 9 kam durch Aurispa 1423
nach Venedig; also die beste Quelle für Aischylos und Sophokles, die
reichste und zur hälfte auch reinste für Euripides war gefunden. aber
die gedichte waren zu schwer, teilweis auch zu entstellt, als daſs selbst
von den des griechischen kundigen humanisten viele sie hätten lesen
können, und eine übersetzung, wie sie historiker philosophen ärzte er-
schloſs, half für die dichter nichts. so sind denn abschriften in Italien
nur wenig gemacht 2), und die drucker haben sich erst dann auf diese
wie die meisten anderen griechischen dichter geworfen, als sie tüchtige
griechische gelehrte zu herausgebern gewinnen konnten. Griechen, aber
eben nur Griechen, haben auch in den handschriften selbst die spuren
ihrer lecture zahlreich hinterlassen. ihrer ganzen art nach waren sie
den italienischen humanisten ähnlich, und das meiste was sie gemacht
haben beseitigen wir als interpolation. aber ein mann befand sich unter
ihnen, dessen lange verkannte bedeutung immer mehr ans licht tritt, ja
den man wol als das bedeutendste emendatorische talent bezeichnen muſs,
welches das griechische volk bisher hervorgebracht hat, der Kreter Marcus

1) Es führte die nummer 58 tragedia Euripidis et Sophoclis et Eschili in
papyro
, Piccolomini intorno alle condizioni e vicende della libreria Medicea privata p. 83.
2) Von dem Laurentianus C sind mehrere vorhanden und eher als er selbst
für den text benutzt. da sie aber aus C genommen sind, nachdem die gelehrten ihn
verwüstet hatten, haben sie nur geschadet. da der kritische apparat diese correc-
turen alle fortwirft, so erscheinen die apographa nur ein par mal für kleine ver-
besserungen aus conjectur. eine vergleichung der gröſseren Kirchhoff’schen ausgabe
kann lehren, ein wie falsches bild aus ihnen und einer vergleichung, die wie sie
nicht auf die erste hand zurückgieng, von C gewonnen ward.
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[[220]/0240] 4. WEGE UND ZIELE DER MODERNEN TRAGIKERKRITIK. Handschriften der tragiker sind schon früh in den occident gelangt. Laurent. 32, 2 war 1348 in Avignon und im 15. jahrhundert in der privatbibliothek der Medici 1). Laurent. 32, 9 kam durch Aurispa 1423 nach Venedig; also die beste Quelle für Aischylos und Sophokles, die reichste und zur hälfte auch reinste für Euripides war gefunden. aber die gedichte waren zu schwer, teilweis auch zu entstellt, als daſs selbst von den des griechischen kundigen humanisten viele sie hätten lesen können, und eine übersetzung, wie sie historiker philosophen ärzte er- schloſs, half für die dichter nichts. so sind denn abschriften in Italien nur wenig gemacht 2), und die drucker haben sich erst dann auf diese wie die meisten anderen griechischen dichter geworfen, als sie tüchtige griechische gelehrte zu herausgebern gewinnen konnten. Griechen, aber eben nur Griechen, haben auch in den handschriften selbst die spuren ihrer lecture zahlreich hinterlassen. ihrer ganzen art nach waren sie den italienischen humanisten ähnlich, und das meiste was sie gemacht haben beseitigen wir als interpolation. aber ein mann befand sich unter ihnen, dessen lange verkannte bedeutung immer mehr ans licht tritt, ja den man wol als das bedeutendste emendatorische talent bezeichnen muſs, welches das griechische volk bisher hervorgebracht hat, der Kreter Marcus 1) Es führte die nummer 58 tragedia Euripidis et Sophoclis et Eschili in papyro, Piccolomini intorno alle condizioni e vicende della libreria Medicea privata p. 83. 2) Von dem Laurentianus C sind mehrere vorhanden und eher als er selbst für den text benutzt. da sie aber aus C genommen sind, nachdem die gelehrten ihn verwüstet hatten, haben sie nur geschadet. da der kritische apparat diese correc- turen alle fortwirft, so erscheinen die apographa nur ein par mal für kleine ver- besserungen aus conjectur. eine vergleichung der gröſseren Kirchhoff’schen ausgabe kann lehren, ein wie falsches bild aus ihnen und einer vergleichung, die wie sie nicht auf die erste hand zurückgieng, von C gewonnen ward.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. [220]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/240>, abgerufen am 19.04.2024.