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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Lebensführung.
er sich auch des auftrags, für den könig ein makedonisches drama zu
schreiben und ihm einen ahn zu schaffen, der dem bankert des Perdikkas
ein heroisches relief gäbe; er fühlte sich zu neuen geistvollen und sicht-
lich mit frischer liebe durchgeführten schöpfungen angeregt, er glaubte
endlich den hafen gefunden zu haben. aber er erhielt doch auch proben
von der rohheit der gesellschaft, in die er versetzt war 27). wir wollen nicht
vergessen, dass der vers barbaron Ellenas arkhein eikos (I. A. 1400)
in Makedonien gedichtet ist, und es ist pikant, dass Thrasymachos
dieselbe spitze gegen Archelaos wendet 28). dieser edle attische baum war
zu alt zum verpflanzen in noch so fettes barbarisches erdreich. nach
1 1/2 jahren starb er, gefeiert von dem könige, und sein grab ist bis in
späteste zeit eine merkwürdigkeit der gegend geblieben.

Von seiner todesart hat Aristophanes ein jahr später nichts merk-
würdiges gewusst, und dabei haben wir uns selbstverständlich zu beruhigen.
aber sehr früh schon ist die fabel entstanden, dass hunde ihn zerrissen
hätten, und sie hat im altertum die oberhand behalten: denn selbst ein
kategorischer widerspruch 29) ist geschichtlich um nichts begründeter als
die behauptung. an sich könnte dem dichter ein unfall so gut wie
jedem sterblichen sonst zugestossen sein, und einem nächtlichen wan-
derer kann ähnliches in Makedonien auch heute noch passiren. es ist
auch eine tendenz, welche zu der fabel geführt hätte, nicht ersichtlich,
vielmehr zeigen die mannigfaltigen widersprechenden und sich also auf-
hebenden motivirungen, wie Euripides unter die hunde oder die hunde
über Euripides gekommen wären, dass man die pointe derselben schon
im altertum vermisste, und bei solchen geschichten ist es eine empfehlung,

27) Ein höfling höhnt Euripides, weil er einen übelriechenden atem hatte:
Archelaos liefert ihn dem dichter aus, dass er ihn durchpeitsche. Aristoteles polit.
E 10, wol aus den traditionen, die Aristoteles selbst oder sein vater am hofe ge-
sammelt hatte. der üble atem ist dann weiter zu albernen apophthegmen benutzt,
die nichts lehren. es liegt eine bittre kritik darin, dass wir von ganz persönlichem,
äusserlichem über Euripides nichts wissen, als dass er als greis schlecht aus dem
munde roch. aber mancher unserer gebildeten hat von Schillers wesen auch nichts
behalten, als dass er eine neigung für faule äpfel hatte.
28) Clemens strom. 746, der Thrasymachos citirt, verweist auf Telephos 717,
wo der nämliche gedanke steht. die rede war vermutlich älter als die aufführung
der Iphigenie; an eine entlehnung ist nicht zu denken.
29) Adaios Anth. Pal. VII 51, es ist eine rettung im stile der von Dioskorides
für Lykambes töchter (A. P. VII 351) und der von Aischrion für Philainis (A. P. VII 345).
erst der aberwitz eines litterators hat dann aus den hunden weiber gemacht: das
ist nicht komikererfindung, sondern auch nur eine lusis für die aporie: was waren
das für hunde, die Euripides zerrissen.
v. Wilamowitz I. 2

Lebensführung.
er sich auch des auftrags, für den könig ein makedonisches drama zu
schreiben und ihm einen ahn zu schaffen, der dem bankert des Perdikkas
ein heroisches relief gäbe; er fühlte sich zu neuen geistvollen und sicht-
lich mit frischer liebe durchgeführten schöpfungen angeregt, er glaubte
endlich den hafen gefunden zu haben. aber er erhielt doch auch proben
von der rohheit der gesellschaft, in die er versetzt war 27). wir wollen nicht
vergessen, daſs der vers βαρβάρων Ἕλληνας ἄρχειν εἰκός (I. A. 1400)
in Makedonien gedichtet ist, und es ist pikant, daſs Thrasymachos
dieselbe spitze gegen Archelaos wendet 28). dieser edle attische baum war
zu alt zum verpflanzen in noch so fettes barbarisches erdreich. nach
1 ½ jahren starb er, gefeiert von dem könige, und sein grab ist bis in
späteste zeit eine merkwürdigkeit der gegend geblieben.

Von seiner todesart hat Aristophanes ein jahr später nichts merk-
würdiges gewuſst, und dabei haben wir uns selbstverständlich zu beruhigen.
aber sehr früh schon ist die fabel entstanden, daſs hunde ihn zerrissen
hätten, und sie hat im altertum die oberhand behalten: denn selbst ein
kategorischer widerspruch 29) ist geschichtlich um nichts begründeter als
die behauptung. an sich könnte dem dichter ein unfall so gut wie
jedem sterblichen sonst zugestoſsen sein, und einem nächtlichen wan-
derer kann ähnliches in Makedonien auch heute noch passiren. es ist
auch eine tendenz, welche zu der fabel geführt hätte, nicht ersichtlich,
vielmehr zeigen die mannigfaltigen widersprechenden und sich also auf-
hebenden motivirungen, wie Euripides unter die hunde oder die hunde
über Euripides gekommen wären, daſs man die pointe derselben schon
im altertum vermiſste, und bei solchen geschichten ist es eine empfehlung,

27) Ein höfling höhnt Euripides, weil er einen übelriechenden atem hatte:
Archelaos liefert ihn dem dichter aus, daſs er ihn durchpeitsche. Aristoteles polit.
E 10, wol aus den traditionen, die Aristoteles selbst oder sein vater am hofe ge-
sammelt hatte. der üble atem ist dann weiter zu albernen apophthegmen benutzt,
die nichts lehren. es liegt eine bittre kritik darin, daſs wir von ganz persönlichem,
äuſserlichem über Euripides nichts wissen, als daſs er als greis schlecht aus dem
munde roch. aber mancher unserer gebildeten hat von Schillers wesen auch nichts
behalten, als daſs er eine neigung für faule äpfel hatte.
28) Clemens strom. 746, der Thrasymachos citirt, verweist auf Telephos 717,
wo der nämliche gedanke steht. die rede war vermutlich älter als die aufführung
der Iphigenie; an eine entlehnung ist nicht zu denken.
29) Adaios Anth. Pal. VII 51, es ist eine rettung im stile der von Dioskorides
für Lykambes töchter (A. P. VII 351) und der von Aischrion für Philainis (A. P. VII 345).
erst der aberwitz eines litterators hat dann aus den hunden weiber gemacht: das
ist nicht komikererfindung, sondern auch nur eine λύσις für die aporie: was waren
das für hunde, die Euripides zerrissen.
v. Wilamowitz I. 2
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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/37>, abgerufen am 19.04.2024.