Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

kam ihm vor, als habe ein Anderer neben ihm geseufzt; er richtete sich auf, -- doch er war ganz allein. Der schwere Ton kam aus seiner eigenen Brust. Sonst war Alles so still, daß er die kleinen Fische schnalzen hörte. Das Wasser spielte kaum vernehmbar gegen den Uferrand; es klang wie das verhaltene Kichern eines Kobolds, der in der heißen Mittagsglut die Gedanken der Menschen zu verwirren sucht. Die Luft war so warm geworden, daß sie die Haut wie ein laues Bad umfloß. Julius glaubte zu fühlen, wie das Blut in seinen Adern sich allmählich erhitzte. Er sah die hellen Bläschen in der Luft, sah dann die schläfrigen Kühe, rothe und braune, auf dem kurzgeschorenen Sammetgrün der Wiesen hingelagert. Ueber dem Wasserspiegel schwebten einige Segel in der Ferne, die sich bei der Windstille nicht zu bewegen schienen; sie kamen ihm wie Schwäne vor, die im Schilf auf ihren Nestern brüten. Das alte Märchen vom Pan fiel ihm ein, der um diese Mittagsstunde, vom Jagen ermüdet, schläft, und den dann zu stören nicht gerathen ist. Auf einmal umspann ihn ein unheimliches Gefühl, wie es am heißen Mittag, in der hellen, brütenden, regungslosen Stille, den träumerischen Menschen leicht beschleichen kann. Es ward ihm fast gespenstisch, diese stumme Welt um sich her zu sehen. Wie zur Gegenwehr drückte er die Augen zu, lehnte sich zurück und stellte sich wieder Liesbeth's Bild vor die Seele. Ihr zorniges Gesicht von vorhin tauchte vor ihm auf; dann lächelte es ihn an. Die wundersame Stille rief ihm die eben so stillen Abende zurück, an denen er vor fünf Jahren -- damals knabenhaft verliebt -- mit Liesbeth unter dem dunklen Nachthimmel im Kahn gesessen, um mit Korb und "Kescher" die kleinen Krabben zu fangen. Wie die grauen, kaum erkennbaren Thierchen in der schwarzen Flut am Bollwerk dahinschwammen, um aus dem Fluß in die See zu gehen; und wie Liesbeth zuweilen durch die Nachtstille lachte. Damals lachte sie noch wie ein Mädchen, das keinen eifersüchtigen Herrn über sich hat! -- Der Jüngling seufzte; fing

kam ihm vor, als habe ein Anderer neben ihm geseufzt; er richtete sich auf, — doch er war ganz allein. Der schwere Ton kam aus seiner eigenen Brust. Sonst war Alles so still, daß er die kleinen Fische schnalzen hörte. Das Wasser spielte kaum vernehmbar gegen den Uferrand; es klang wie das verhaltene Kichern eines Kobolds, der in der heißen Mittagsglut die Gedanken der Menschen zu verwirren sucht. Die Luft war so warm geworden, daß sie die Haut wie ein laues Bad umfloß. Julius glaubte zu fühlen, wie das Blut in seinen Adern sich allmählich erhitzte. Er sah die hellen Bläschen in der Luft, sah dann die schläfrigen Kühe, rothe und braune, auf dem kurzgeschorenen Sammetgrün der Wiesen hingelagert. Ueber dem Wasserspiegel schwebten einige Segel in der Ferne, die sich bei der Windstille nicht zu bewegen schienen; sie kamen ihm wie Schwäne vor, die im Schilf auf ihren Nestern brüten. Das alte Märchen vom Pan fiel ihm ein, der um diese Mittagsstunde, vom Jagen ermüdet, schläft, und den dann zu stören nicht gerathen ist. Auf einmal umspann ihn ein unheimliches Gefühl, wie es am heißen Mittag, in der hellen, brütenden, regungslosen Stille, den träumerischen Menschen leicht beschleichen kann. Es ward ihm fast gespenstisch, diese stumme Welt um sich her zu sehen. Wie zur Gegenwehr drückte er die Augen zu, lehnte sich zurück und stellte sich wieder Liesbeth's Bild vor die Seele. Ihr zorniges Gesicht von vorhin tauchte vor ihm auf; dann lächelte es ihn an. Die wundersame Stille rief ihm die eben so stillen Abende zurück, an denen er vor fünf Jahren — damals knabenhaft verliebt — mit Liesbeth unter dem dunklen Nachthimmel im Kahn gesessen, um mit Korb und „Kescher“ die kleinen Krabben zu fangen. Wie die grauen, kaum erkennbaren Thierchen in der schwarzen Flut am Bollwerk dahinschwammen, um aus dem Fluß in die See zu gehen; und wie Liesbeth zuweilen durch die Nachtstille lachte. Damals lachte sie noch wie ein Mädchen, das keinen eifersüchtigen Herrn über sich hat! — Der Jüngling seufzte; fing

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0024"/>
kam                ihm vor, als habe ein Anderer neben ihm geseufzt; er richtete sich auf, &#x2014; doch er war                ganz allein. Der schwere Ton kam aus seiner eigenen Brust. Sonst war Alles so still,                daß er die kleinen Fische schnalzen hörte. Das Wasser spielte kaum vernehmbar gegen                den Uferrand; es klang wie das verhaltene Kichern eines Kobolds, der in der heißen                Mittagsglut die Gedanken der Menschen zu verwirren sucht. Die Luft war so warm                geworden, daß sie die Haut wie ein laues Bad umfloß. Julius glaubte zu fühlen, wie                das Blut in seinen Adern sich allmählich erhitzte. Er sah die hellen Bläschen in der                Luft, sah dann die schläfrigen Kühe, rothe und braune, auf dem kurzgeschorenen                Sammetgrün der Wiesen hingelagert. Ueber dem Wasserspiegel schwebten einige Segel in                der Ferne, die sich bei der Windstille nicht zu bewegen schienen; sie kamen ihm wie                Schwäne vor, die im Schilf auf ihren Nestern brüten. Das alte Märchen vom Pan fiel                ihm ein, der um diese Mittagsstunde, vom Jagen ermüdet, schläft, und den dann zu                stören nicht gerathen ist. Auf einmal umspann ihn ein unheimliches Gefühl, wie es am                heißen Mittag, in der hellen, brütenden, regungslosen Stille, den träumerischen                Menschen leicht beschleichen kann. Es ward ihm fast gespenstisch, diese stumme Welt                um sich her zu sehen. Wie zur Gegenwehr drückte er die Augen zu, lehnte sich zurück                und stellte sich wieder Liesbeth's Bild vor die Seele. Ihr zorniges Gesicht von                vorhin tauchte vor ihm auf; dann lächelte es ihn an. Die wundersame Stille rief ihm                die eben so stillen Abende zurück, an denen er vor fünf Jahren &#x2014; damals knabenhaft                verliebt &#x2014; mit Liesbeth unter dem dunklen Nachthimmel im Kahn gesessen, um mit Korb                und &#x201E;Kescher&#x201C; die kleinen Krabben zu fangen. Wie die grauen, kaum erkennbaren                Thierchen in der schwarzen Flut am Bollwerk dahinschwammen, um aus dem Fluß in die                See zu gehen; und wie Liesbeth zuweilen durch die Nachtstille lachte. Damals lachte                sie noch wie ein Mädchen, das keinen eifersüchtigen Herrn über sich hat! &#x2014; Der                Jüngling seufzte; fing<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] kam ihm vor, als habe ein Anderer neben ihm geseufzt; er richtete sich auf, — doch er war ganz allein. Der schwere Ton kam aus seiner eigenen Brust. Sonst war Alles so still, daß er die kleinen Fische schnalzen hörte. Das Wasser spielte kaum vernehmbar gegen den Uferrand; es klang wie das verhaltene Kichern eines Kobolds, der in der heißen Mittagsglut die Gedanken der Menschen zu verwirren sucht. Die Luft war so warm geworden, daß sie die Haut wie ein laues Bad umfloß. Julius glaubte zu fühlen, wie das Blut in seinen Adern sich allmählich erhitzte. Er sah die hellen Bläschen in der Luft, sah dann die schläfrigen Kühe, rothe und braune, auf dem kurzgeschorenen Sammetgrün der Wiesen hingelagert. Ueber dem Wasserspiegel schwebten einige Segel in der Ferne, die sich bei der Windstille nicht zu bewegen schienen; sie kamen ihm wie Schwäne vor, die im Schilf auf ihren Nestern brüten. Das alte Märchen vom Pan fiel ihm ein, der um diese Mittagsstunde, vom Jagen ermüdet, schläft, und den dann zu stören nicht gerathen ist. Auf einmal umspann ihn ein unheimliches Gefühl, wie es am heißen Mittag, in der hellen, brütenden, regungslosen Stille, den träumerischen Menschen leicht beschleichen kann. Es ward ihm fast gespenstisch, diese stumme Welt um sich her zu sehen. Wie zur Gegenwehr drückte er die Augen zu, lehnte sich zurück und stellte sich wieder Liesbeth's Bild vor die Seele. Ihr zorniges Gesicht von vorhin tauchte vor ihm auf; dann lächelte es ihn an. Die wundersame Stille rief ihm die eben so stillen Abende zurück, an denen er vor fünf Jahren — damals knabenhaft verliebt — mit Liesbeth unter dem dunklen Nachthimmel im Kahn gesessen, um mit Korb und „Kescher“ die kleinen Krabben zu fangen. Wie die grauen, kaum erkennbaren Thierchen in der schwarzen Flut am Bollwerk dahinschwammen, um aus dem Fluß in die See zu gehen; und wie Liesbeth zuweilen durch die Nachtstille lachte. Damals lachte sie noch wie ein Mädchen, das keinen eifersüchtigen Herrn über sich hat! — Der Jüngling seufzte; fing

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:21:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:21:33Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/24
Zitationshilfe: Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/24>, abgerufen am 19.04.2024.