Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Thu's! -- Sie sollen hier nicht mit Fingern auf mich zeigen, wie auf eine nichtsnutzige Frau, der ihr Mann nicht traut, die er wie ein havarirtes Schiff hinter sich her schleppen muß! Noch bin ich ein ehrliches Weib -- sie sah ihn finster drohend an: treib's nicht so weit, daß mir's leid wird! Treib's nicht so weit, Ohlerich! Es weiß kein Mensch, was aus ihm werden kann!

Nun, da hör' ich ja, wie es steht! sagte er mit einer Art von Lachen. So weit verlaufen sich deine Gedanken schon! -- Goddam, da muß ich ein Ende machen, oder ich fahr' auf den Grund. Du segelst morgen früh mit mir nach Hamburg ab: gieb Acht, Liesbeth, jetzt sag' ich's zum letzten Mal.

Ich bleibe hier! antwortete sie kurz.

Ich thue, was mich reut! -- Er oder ich! -- Liesbeth, ich mach' ein Ende!

Sie sah ihn plötzlich angstvoll an, richtete sich etwas auf, aber sie schwieg. Johann Ohlerich wartete auch nicht mehr, ob sie noch etwas sagen werde. Seine Augen sahen offenbar verstört umher, dann griff er mit der geballten Faust in seine Tasche, in der er das Dolchmesser trug, rückte seinen Hut und ging mit raschen Schritten zur Thür hinaus. Sie rief seinen Namen, doch er hörte nicht. Er war schon draußen im Mondschein. Durch den Durchgang trat er auf die Straße, so hastig, wie wenn hier keine Zeit mehr zu versäumen sei. Dann schloß er die Thür von außen wieder zu, murmelte ein paar verstörte Worte -- er war fassungslos in seiner Wuth -- und ging an den Häusern fort, still vor sich hin.

Die nächtliche Beleuchtung auf dem Strom war mittlerweile erloschen, Musik und Gondelfahrt hatten aufgehört. Doch am Ufer entlang war noch nicht Alles still. Die warme Mondnacht schien die Menschen länger als gewöhnlich festzuhalten; aus dem nächsten Wirthshaus lärmte es hervor. Matrosen von den Schiffen, die an beiden Stromufern lagen, hatten sich dort unter dem luftigen Vordach angesiedelt, sangen

Thu's! — Sie sollen hier nicht mit Fingern auf mich zeigen, wie auf eine nichtsnutzige Frau, der ihr Mann nicht traut, die er wie ein havarirtes Schiff hinter sich her schleppen muß! Noch bin ich ein ehrliches Weib — sie sah ihn finster drohend an: treib's nicht so weit, daß mir's leid wird! Treib's nicht so weit, Ohlerich! Es weiß kein Mensch, was aus ihm werden kann!

Nun, da hör' ich ja, wie es steht! sagte er mit einer Art von Lachen. So weit verlaufen sich deine Gedanken schon! — Goddam, da muß ich ein Ende machen, oder ich fahr' auf den Grund. Du segelst morgen früh mit mir nach Hamburg ab: gieb Acht, Liesbeth, jetzt sag' ich's zum letzten Mal.

Ich bleibe hier! antwortete sie kurz.

Ich thue, was mich reut! — Er oder ich! — Liesbeth, ich mach' ein Ende!

Sie sah ihn plötzlich angstvoll an, richtete sich etwas auf, aber sie schwieg. Johann Ohlerich wartete auch nicht mehr, ob sie noch etwas sagen werde. Seine Augen sahen offenbar verstört umher, dann griff er mit der geballten Faust in seine Tasche, in der er das Dolchmesser trug, rückte seinen Hut und ging mit raschen Schritten zur Thür hinaus. Sie rief seinen Namen, doch er hörte nicht. Er war schon draußen im Mondschein. Durch den Durchgang trat er auf die Straße, so hastig, wie wenn hier keine Zeit mehr zu versäumen sei. Dann schloß er die Thür von außen wieder zu, murmelte ein paar verstörte Worte — er war fassungslos in seiner Wuth — und ging an den Häusern fort, still vor sich hin.

Die nächtliche Beleuchtung auf dem Strom war mittlerweile erloschen, Musik und Gondelfahrt hatten aufgehört. Doch am Ufer entlang war noch nicht Alles still. Die warme Mondnacht schien die Menschen länger als gewöhnlich festzuhalten; aus dem nächsten Wirthshaus lärmte es hervor. Matrosen von den Schiffen, die an beiden Stromufern lagen, hatten sich dort unter dem luftigen Vordach angesiedelt, sangen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <pb facs="#f0039"/>
        <p>Thu's! &#x2014; Sie sollen hier nicht mit Fingern auf mich zeigen, wie auf eine                nichtsnutzige Frau, der ihr Mann nicht traut, die er wie ein havarirtes Schiff hinter                sich her schleppen muß! Noch bin ich ein ehrliches Weib &#x2014; sie sah ihn finster drohend                an: treib's nicht so weit, daß mir's leid wird! Treib's nicht so weit, Ohlerich! Es                weiß kein Mensch, was aus ihm werden kann!</p><lb/>
        <p>Nun, da hör' ich ja, wie es steht! sagte er mit einer Art von Lachen. So weit                verlaufen sich deine Gedanken schon! &#x2014; Goddam, da muß ich ein Ende machen, oder ich                fahr' auf den Grund. Du segelst morgen früh mit mir nach Hamburg ab: gieb Acht,                Liesbeth, jetzt sag' ich's zum letzten Mal.</p><lb/>
        <p>Ich bleibe hier! antwortete sie kurz.</p><lb/>
        <p>Ich thue, was mich reut! &#x2014; Er oder ich! &#x2014; Liesbeth, ich mach' ein Ende!</p><lb/>
        <p>Sie sah ihn plötzlich angstvoll an, richtete sich etwas auf, aber sie schwieg. Johann                Ohlerich wartete auch nicht mehr, ob sie noch etwas sagen werde. Seine Augen sahen                offenbar verstört umher, dann griff er mit der geballten Faust in seine Tasche, in                der er das Dolchmesser trug, rückte seinen Hut und ging mit raschen Schritten zur                Thür hinaus. Sie rief seinen Namen, doch er hörte nicht. Er war schon draußen im                Mondschein. Durch den Durchgang trat er auf die Straße, so hastig, wie wenn hier                keine Zeit mehr zu versäumen sei. Dann schloß er die Thür von außen wieder zu,                murmelte ein paar verstörte Worte &#x2014; er war fassungslos in seiner Wuth &#x2014; und ging an                den Häusern fort, still vor sich hin.</p><lb/>
        <p>Die nächtliche Beleuchtung auf dem Strom war mittlerweile erloschen, Musik und                Gondelfahrt hatten aufgehört. Doch am Ufer entlang war noch nicht Alles still. Die                warme Mondnacht schien die Menschen länger als gewöhnlich festzuhalten; aus dem                nächsten Wirthshaus lärmte es hervor. Matrosen von den Schiffen, die an beiden                Stromufern lagen, hatten sich dort unter dem luftigen Vordach angesiedelt, sangen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0039] Thu's! — Sie sollen hier nicht mit Fingern auf mich zeigen, wie auf eine nichtsnutzige Frau, der ihr Mann nicht traut, die er wie ein havarirtes Schiff hinter sich her schleppen muß! Noch bin ich ein ehrliches Weib — sie sah ihn finster drohend an: treib's nicht so weit, daß mir's leid wird! Treib's nicht so weit, Ohlerich! Es weiß kein Mensch, was aus ihm werden kann! Nun, da hör' ich ja, wie es steht! sagte er mit einer Art von Lachen. So weit verlaufen sich deine Gedanken schon! — Goddam, da muß ich ein Ende machen, oder ich fahr' auf den Grund. Du segelst morgen früh mit mir nach Hamburg ab: gieb Acht, Liesbeth, jetzt sag' ich's zum letzten Mal. Ich bleibe hier! antwortete sie kurz. Ich thue, was mich reut! — Er oder ich! — Liesbeth, ich mach' ein Ende! Sie sah ihn plötzlich angstvoll an, richtete sich etwas auf, aber sie schwieg. Johann Ohlerich wartete auch nicht mehr, ob sie noch etwas sagen werde. Seine Augen sahen offenbar verstört umher, dann griff er mit der geballten Faust in seine Tasche, in der er das Dolchmesser trug, rückte seinen Hut und ging mit raschen Schritten zur Thür hinaus. Sie rief seinen Namen, doch er hörte nicht. Er war schon draußen im Mondschein. Durch den Durchgang trat er auf die Straße, so hastig, wie wenn hier keine Zeit mehr zu versäumen sei. Dann schloß er die Thür von außen wieder zu, murmelte ein paar verstörte Worte — er war fassungslos in seiner Wuth — und ging an den Häusern fort, still vor sich hin. Die nächtliche Beleuchtung auf dem Strom war mittlerweile erloschen, Musik und Gondelfahrt hatten aufgehört. Doch am Ufer entlang war noch nicht Alles still. Die warme Mondnacht schien die Menschen länger als gewöhnlich festzuhalten; aus dem nächsten Wirthshaus lärmte es hervor. Matrosen von den Schiffen, die an beiden Stromufern lagen, hatten sich dort unter dem luftigen Vordach angesiedelt, sangen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:21:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:21:33Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/39
Zitationshilfe: Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/39>, abgerufen am 16.04.2024.