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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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lichkeit ist gesorgt, so viel es sich thun lies; nur die Kleider sollst du wechseln, denn du giltst für eine Verwandte meines Pächters, und Niemand darf ahnen, das dem nicht so ist.

Die feinen, zitternden Hände schlossen sich krampfhaft in einander, und zum ersten Mal zeigte sich ein Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht.

Laßt mich ziehen, sagte sie nach einer kurzen Pause, was habt Ihr hier von mir, wenn Ihr mich nicht töten wollt?

Ziehen? und wohin? frug der Graf.

Wo mich Niemand kennt, wohin mein Name nie gedrungen ist, von wo Ihr nie mehr von mir hören sollt.

Nein, versetzte er düster, die Zukunft meiner Kinder darf nicht der Laune des Zufalls anheimgestellt sein.

Ich werde schweigen!

Er schüttelte nur heftig den Kopf.

So züchtiget mich, wenn ich rede; Ihr habt ja die Mittel dazu! versetzte sie bitter.

Gott behüte mich davor, sie anwenden zu müssen! rief der Graf mit erhobener Hand. Nein, setzte er kalt und fest hinzu, es bleibt Alles wie bisher, und Nichts ist verändert, als dein Wächter und dein Aufenthaltsort.

Mit unaussprechlicher Angst wandten die Augen der Fremden sich vom Grafen auf Thomas, der regungslos an der Thüre stand; doch der Diener schien nichts gehört zu haben, und die Züge des Grafen blieben unbewegt. Sie stöhnte laut auf und barg das bleiche Gesicht in die Hände. Alles war still, der Graf ging wieder auf und ab, endlich, nach einer längeren Pause, fing er wieder an:

Es soll dir nichts abgehen, sprach er in beruhigendem Tone, weiter kam er nicht. Es war, als habe eine Schlange sie gestochen, mit solcher Heftigkeit warf die Fremde den gebeugten Kopf in die Höhe. Da war

lichkeit ist gesorgt, so viel es sich thun lies; nur die Kleider sollst du wechseln, denn du giltst für eine Verwandte meines Pächters, und Niemand darf ahnen, das dem nicht so ist.

Die feinen, zitternden Hände schlossen sich krampfhaft in einander, und zum ersten Mal zeigte sich ein Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht.

Laßt mich ziehen, sagte sie nach einer kurzen Pause, was habt Ihr hier von mir, wenn Ihr mich nicht töten wollt?

Ziehen? und wohin? frug der Graf.

Wo mich Niemand kennt, wohin mein Name nie gedrungen ist, von wo Ihr nie mehr von mir hören sollt.

Nein, versetzte er düster, die Zukunft meiner Kinder darf nicht der Laune des Zufalls anheimgestellt sein.

Ich werde schweigen!

Er schüttelte nur heftig den Kopf.

So züchtiget mich, wenn ich rede; Ihr habt ja die Mittel dazu! versetzte sie bitter.

Gott behüte mich davor, sie anwenden zu müssen! rief der Graf mit erhobener Hand. Nein, setzte er kalt und fest hinzu, es bleibt Alles wie bisher, und Nichts ist verändert, als dein Wächter und dein Aufenthaltsort.

Mit unaussprechlicher Angst wandten die Augen der Fremden sich vom Grafen auf Thomas, der regungslos an der Thüre stand; doch der Diener schien nichts gehört zu haben, und die Züge des Grafen blieben unbewegt. Sie stöhnte laut auf und barg das bleiche Gesicht in die Hände. Alles war still, der Graf ging wieder auf und ab, endlich, nach einer längeren Pause, fing er wieder an:

Es soll dir nichts abgehen, sprach er in beruhigendem Tone, weiter kam er nicht. Es war, als habe eine Schlange sie gestochen, mit solcher Heftigkeit warf die Fremde den gebeugten Kopf in die Höhe. Da war

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[0016] lichkeit ist gesorgt, so viel es sich thun lies; nur die Kleider sollst du wechseln, denn du giltst für eine Verwandte meines Pächters, und Niemand darf ahnen, das dem nicht so ist. Die feinen, zitternden Hände schlossen sich krampfhaft in einander, und zum ersten Mal zeigte sich ein Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht. Laßt mich ziehen, sagte sie nach einer kurzen Pause, was habt Ihr hier von mir, wenn Ihr mich nicht töten wollt? Ziehen? und wohin? frug der Graf. Wo mich Niemand kennt, wohin mein Name nie gedrungen ist, von wo Ihr nie mehr von mir hören sollt. Nein, versetzte er düster, die Zukunft meiner Kinder darf nicht der Laune des Zufalls anheimgestellt sein. Ich werde schweigen! Er schüttelte nur heftig den Kopf. So züchtiget mich, wenn ich rede; Ihr habt ja die Mittel dazu! versetzte sie bitter. Gott behüte mich davor, sie anwenden zu müssen! rief der Graf mit erhobener Hand. Nein, setzte er kalt und fest hinzu, es bleibt Alles wie bisher, und Nichts ist verändert, als dein Wächter und dein Aufenthaltsort. Mit unaussprechlicher Angst wandten die Augen der Fremden sich vom Grafen auf Thomas, der regungslos an der Thüre stand; doch der Diener schien nichts gehört zu haben, und die Züge des Grafen blieben unbewegt. Sie stöhnte laut auf und barg das bleiche Gesicht in die Hände. Alles war still, der Graf ging wieder auf und ab, endlich, nach einer längeren Pause, fing er wieder an: Es soll dir nichts abgehen, sprach er in beruhigendem Tone, weiter kam er nicht. Es war, als habe eine Schlange sie gestochen, mit solcher Heftigkeit warf die Fremde den gebeugten Kopf in die Höhe. Da war

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/16>, abgerufen am 16.04.2024.