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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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keine Spur mehr von Angst und Verzweiflung; ein wilder, wüthender Trotz hatte jeden andern Ausdruck verdrängt. Ihre Lippen bebten, ihre schwarzen Haare wallten unordentlich um das bleiche, noch immer schöne Gesicht, und aus den schwarzen Augen blitzte ein stechendes Feuer, vor dem der Graf unwillkürlich erblasste und einen Schritt zurückwich.

Es soll mir nichts abgehen! wiederholte sie in höhnendem Tone. Was gibt es denn, das mir nicht abginge? Das Ihr mich den Athem des Lebens schöpfen lasset, ist das die große Gnade, die Ihr mir gewährt, für mein Glück, für meine Jugend, die Ihr mir genommen, für jeden Schatz des Lebens, den Ihr mir geraubt! Sie ballte leidenschaftlich die Hände und hob sie mit einem irren Lachen. So saget doch, Ihr versteht Euch ja darauf, saget mir, was es noch giebt, das Ihr mir nicht erbarmungslos zertreten habt. Hättet Ihr mich getödtet, es hätte Euch nicht die halbe Freude gemacht.

Ueber des Grafen Augen schien bei diesen Worten eine Wolke zu ziehen. Mit einem furchtbaren Laute des Zornes trat er auf sie zu, faßte sie heftig am Arme und drückte sie auf den Stuhl, von dem sie sich in ihrer Aufregung halb erhoben. Zitternd vor Erschöpfung sank sie darauf zurück, aber mit ungebrochenem Trotze blickte sie noch immer zu ihm auf. Seine Brust hob sich schwer, es rollte darin ein tiefes Ungewitter, doch brach es nicht sogleich los, und ohne das er es wusste, drückten seine Finger dunkle Flecke in den weißen, weichen Arm, den er gefaßt. Warum ich dich nicht getödtet? sagte er endlich leise, aber mit der zermalmenden Kraft, welche allein der höchste Zorn gewahrt; mahne mich nicht daran! ich habe Blut genug gesehen. Unselige! was hast du aus mir gemacht! -- Sie wandte erbebend das Gesicht von ihm ab; die Besinnung kam ihm wieder und er ließ sie los. Was nützen Worte? fuhr er dann nach einer Weile, dumpf aber ruhig, fort.

keine Spur mehr von Angst und Verzweiflung; ein wilder, wüthender Trotz hatte jeden andern Ausdruck verdrängt. Ihre Lippen bebten, ihre schwarzen Haare wallten unordentlich um das bleiche, noch immer schöne Gesicht, und aus den schwarzen Augen blitzte ein stechendes Feuer, vor dem der Graf unwillkürlich erblasste und einen Schritt zurückwich.

Es soll mir nichts abgehen! wiederholte sie in höhnendem Tone. Was gibt es denn, das mir nicht abginge? Das Ihr mich den Athem des Lebens schöpfen lasset, ist das die große Gnade, die Ihr mir gewährt, für mein Glück, für meine Jugend, die Ihr mir genommen, für jeden Schatz des Lebens, den Ihr mir geraubt! Sie ballte leidenschaftlich die Hände und hob sie mit einem irren Lachen. So saget doch, Ihr versteht Euch ja darauf, saget mir, was es noch giebt, das Ihr mir nicht erbarmungslos zertreten habt. Hättet Ihr mich getödtet, es hätte Euch nicht die halbe Freude gemacht.

Ueber des Grafen Augen schien bei diesen Worten eine Wolke zu ziehen. Mit einem furchtbaren Laute des Zornes trat er auf sie zu, faßte sie heftig am Arme und drückte sie auf den Stuhl, von dem sie sich in ihrer Aufregung halb erhoben. Zitternd vor Erschöpfung sank sie darauf zurück, aber mit ungebrochenem Trotze blickte sie noch immer zu ihm auf. Seine Brust hob sich schwer, es rollte darin ein tiefes Ungewitter, doch brach es nicht sogleich los, und ohne das er es wusste, drückten seine Finger dunkle Flecke in den weißen, weichen Arm, den er gefaßt. Warum ich dich nicht getödtet? sagte er endlich leise, aber mit der zermalmenden Kraft, welche allein der höchste Zorn gewahrt; mahne mich nicht daran! ich habe Blut genug gesehen. Unselige! was hast du aus mir gemacht! — Sie wandte erbebend das Gesicht von ihm ab; die Besinnung kam ihm wieder und er ließ sie los. Was nützen Worte? fuhr er dann nach einer Weile, dumpf aber ruhig, fort.

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[0017] keine Spur mehr von Angst und Verzweiflung; ein wilder, wüthender Trotz hatte jeden andern Ausdruck verdrängt. Ihre Lippen bebten, ihre schwarzen Haare wallten unordentlich um das bleiche, noch immer schöne Gesicht, und aus den schwarzen Augen blitzte ein stechendes Feuer, vor dem der Graf unwillkürlich erblasste und einen Schritt zurückwich. Es soll mir nichts abgehen! wiederholte sie in höhnendem Tone. Was gibt es denn, das mir nicht abginge? Das Ihr mich den Athem des Lebens schöpfen lasset, ist das die große Gnade, die Ihr mir gewährt, für mein Glück, für meine Jugend, die Ihr mir genommen, für jeden Schatz des Lebens, den Ihr mir geraubt! Sie ballte leidenschaftlich die Hände und hob sie mit einem irren Lachen. So saget doch, Ihr versteht Euch ja darauf, saget mir, was es noch giebt, das Ihr mir nicht erbarmungslos zertreten habt. Hättet Ihr mich getödtet, es hätte Euch nicht die halbe Freude gemacht. Ueber des Grafen Augen schien bei diesen Worten eine Wolke zu ziehen. Mit einem furchtbaren Laute des Zornes trat er auf sie zu, faßte sie heftig am Arme und drückte sie auf den Stuhl, von dem sie sich in ihrer Aufregung halb erhoben. Zitternd vor Erschöpfung sank sie darauf zurück, aber mit ungebrochenem Trotze blickte sie noch immer zu ihm auf. Seine Brust hob sich schwer, es rollte darin ein tiefes Ungewitter, doch brach es nicht sogleich los, und ohne das er es wusste, drückten seine Finger dunkle Flecke in den weißen, weichen Arm, den er gefaßt. Warum ich dich nicht getödtet? sagte er endlich leise, aber mit der zermalmenden Kraft, welche allein der höchste Zorn gewahrt; mahne mich nicht daran! ich habe Blut genug gesehen. Unselige! was hast du aus mir gemacht! — Sie wandte erbebend das Gesicht von ihm ab; die Besinnung kam ihm wieder und er ließ sie los. Was nützen Worte? fuhr er dann nach einer Weile, dumpf aber ruhig, fort.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/17>, abgerufen am 19.04.2024.