Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

durch ihre Zierlichkeit zu versöhnen versprachen. Auch hatte die Frau Pfarrerin Erlaubnis, Leonie einige Mal in's Theater zu führen, und so flogen die paar Wochen, die der bezaubernde Aufenthalt dauerte, wie ein seliger Traum dahin.

Die Überraschungen, die sie bei der Rückkehr auf dem Schlosse erwarteten, waren indessen weniger angenehmer Art. Leonie erstaunte nicht wenig, als ihr in dem Salon, zu dem sie hinaufging, ihren Vater zu begrüßen, eine ältliche Dame entgegentrat, die ihr der Graf als ihre Gouvernante vorstellte, und welcher er die volle Macht einer Mutter auf das erschrockene Mädchen übertrug. Als sie sich nach Otto erkundigte, erfuhr sie, er sei fort, auf die Schule geschickt, und erst nach Monaten werde sie ihn wiedersehen. Auch eine Kammerfrau war angenommen worden, deren besondere Aufgabe es war, das Fräulein auf ihren Spaziergängen zu begleiten; wenn Fräulein Bertold einmal daran verhindert wurde und Leonie glaubte, ja einmal den günstigen Moment zu erhaschen, um unbemerkt aus dem Schlosse zu entwischen, so eilte stracks ein baumlanger Bediente nach, welcher der kleinen Dame unterthänig Schirm und Überwurf trug.

Und so ging denn Leonie in ihren kostbaren Kleidern und eleganten Schuhen allem Zwang entgegen, der das gewöhnliche Erbtheil der Kinder der privilegierten Kaste ist, und der für Leonie, nach der Freiheit, die sie bis dahin genossen, nur eine erhöhte Marter war.

Sie wußte jedoch, daß ihres Vaters Wille unwiderruflich sei; ihr Widerstand, wenn sie einen wagte, durfte nur ein verborgener sein, und so fügte sie sich mit scheinbarer Gelassenheit in ihr verändertes Geschick und rächte sich so gut sie konnte für die beständige unleidliche Aufsicht durch ein unruhiges, trotziges Wesen, bei dem ihre Studien nur wenig Fortschritte machten.

Fräulein Therese Bertold war indessen keine ge-

durch ihre Zierlichkeit zu versöhnen versprachen. Auch hatte die Frau Pfarrerin Erlaubnis, Leonie einige Mal in's Theater zu führen, und so flogen die paar Wochen, die der bezaubernde Aufenthalt dauerte, wie ein seliger Traum dahin.

Die Überraschungen, die sie bei der Rückkehr auf dem Schlosse erwarteten, waren indessen weniger angenehmer Art. Leonie erstaunte nicht wenig, als ihr in dem Salon, zu dem sie hinaufging, ihren Vater zu begrüßen, eine ältliche Dame entgegentrat, die ihr der Graf als ihre Gouvernante vorstellte, und welcher er die volle Macht einer Mutter auf das erschrockene Mädchen übertrug. Als sie sich nach Otto erkundigte, erfuhr sie, er sei fort, auf die Schule geschickt, und erst nach Monaten werde sie ihn wiedersehen. Auch eine Kammerfrau war angenommen worden, deren besondere Aufgabe es war, das Fräulein auf ihren Spaziergängen zu begleiten; wenn Fräulein Bertold einmal daran verhindert wurde und Leonie glaubte, ja einmal den günstigen Moment zu erhaschen, um unbemerkt aus dem Schlosse zu entwischen, so eilte stracks ein baumlanger Bediente nach, welcher der kleinen Dame unterthänig Schirm und Überwurf trug.

Und so ging denn Leonie in ihren kostbaren Kleidern und eleganten Schuhen allem Zwang entgegen, der das gewöhnliche Erbtheil der Kinder der privilegierten Kaste ist, und der für Leonie, nach der Freiheit, die sie bis dahin genossen, nur eine erhöhte Marter war.

Sie wußte jedoch, daß ihres Vaters Wille unwiderruflich sei; ihr Widerstand, wenn sie einen wagte, durfte nur ein verborgener sein, und so fügte sie sich mit scheinbarer Gelassenheit in ihr verändertes Geschick und rächte sich so gut sie konnte für die beständige unleidliche Aufsicht durch ein unruhiges, trotziges Wesen, bei dem ihre Studien nur wenig Fortschritte machten.

Fräulein Therese Bertold war indessen keine ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027"/>
durch ihre Zierlichkeit zu versöhnen versprachen.      Auch hatte die Frau Pfarrerin Erlaubnis, Leonie einige Mal in's Theater zu führen, und so      flogen die paar Wochen, die der bezaubernde Aufenthalt dauerte, wie ein seliger Traum      dahin.</p><lb/>
        <p>Die Überraschungen, die sie bei der Rückkehr auf dem Schlosse erwarteten, waren indessen      weniger angenehmer Art. Leonie erstaunte nicht wenig, als ihr in dem Salon, zu dem sie      hinaufging, ihren Vater zu begrüßen, eine ältliche Dame entgegentrat, die ihr der Graf als ihre      Gouvernante vorstellte, und welcher er die volle Macht einer Mutter auf das erschrockene      Mädchen übertrug. Als sie sich nach Otto erkundigte, erfuhr sie, er sei fort, auf die Schule      geschickt, und erst nach Monaten werde sie ihn wiedersehen. Auch eine Kammerfrau war angenommen      worden, deren besondere Aufgabe es war, das Fräulein auf ihren Spaziergängen zu begleiten; wenn      Fräulein Bertold einmal daran verhindert wurde und Leonie glaubte, ja einmal den günstigen      Moment zu erhaschen, um unbemerkt aus dem Schlosse zu entwischen, so eilte stracks ein      baumlanger Bediente nach, welcher der kleinen Dame unterthänig Schirm und Überwurf trug.</p><lb/>
        <p>Und so ging denn Leonie in ihren kostbaren Kleidern und eleganten Schuhen allem Zwang      entgegen, der das gewöhnliche Erbtheil der Kinder der privilegierten Kaste ist, und der für      Leonie, nach der Freiheit, die sie bis dahin genossen, nur eine erhöhte Marter war.</p><lb/>
        <p>Sie wußte jedoch, daß ihres Vaters Wille unwiderruflich sei; ihr Widerstand, wenn sie einen      wagte, durfte nur ein verborgener sein, und so fügte sie sich mit scheinbarer Gelassenheit in      ihr verändertes Geschick und rächte sich so gut sie konnte für die beständige unleidliche      Aufsicht durch ein unruhiges, trotziges Wesen, bei dem ihre Studien nur wenig Fortschritte      machten.</p><lb/>
        <p>Fräulein Therese Bertold war indessen keine ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] durch ihre Zierlichkeit zu versöhnen versprachen. Auch hatte die Frau Pfarrerin Erlaubnis, Leonie einige Mal in's Theater zu führen, und so flogen die paar Wochen, die der bezaubernde Aufenthalt dauerte, wie ein seliger Traum dahin. Die Überraschungen, die sie bei der Rückkehr auf dem Schlosse erwarteten, waren indessen weniger angenehmer Art. Leonie erstaunte nicht wenig, als ihr in dem Salon, zu dem sie hinaufging, ihren Vater zu begrüßen, eine ältliche Dame entgegentrat, die ihr der Graf als ihre Gouvernante vorstellte, und welcher er die volle Macht einer Mutter auf das erschrockene Mädchen übertrug. Als sie sich nach Otto erkundigte, erfuhr sie, er sei fort, auf die Schule geschickt, und erst nach Monaten werde sie ihn wiedersehen. Auch eine Kammerfrau war angenommen worden, deren besondere Aufgabe es war, das Fräulein auf ihren Spaziergängen zu begleiten; wenn Fräulein Bertold einmal daran verhindert wurde und Leonie glaubte, ja einmal den günstigen Moment zu erhaschen, um unbemerkt aus dem Schlosse zu entwischen, so eilte stracks ein baumlanger Bediente nach, welcher der kleinen Dame unterthänig Schirm und Überwurf trug. Und so ging denn Leonie in ihren kostbaren Kleidern und eleganten Schuhen allem Zwang entgegen, der das gewöhnliche Erbtheil der Kinder der privilegierten Kaste ist, und der für Leonie, nach der Freiheit, die sie bis dahin genossen, nur eine erhöhte Marter war. Sie wußte jedoch, daß ihres Vaters Wille unwiderruflich sei; ihr Widerstand, wenn sie einen wagte, durfte nur ein verborgener sein, und so fügte sie sich mit scheinbarer Gelassenheit in ihr verändertes Geschick und rächte sich so gut sie konnte für die beständige unleidliche Aufsicht durch ein unruhiges, trotziges Wesen, bei dem ihre Studien nur wenig Fortschritte machten. Fräulein Therese Bertold war indessen keine ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/27
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/27>, abgerufen am 24.04.2024.