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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Qualen deiner Seele zur Ruhe spreche, obgleich ich dich wiederholt darum bitten ließ. Nun bin ich selbst gekommen, dir ein Wort der Versöhnung mitzugeben in die letzte Heimath, zu welcher du nun gehst. Möge der Himmel dir ein milder Richter sein! Du weißt, ich habe dir längst verziehen.

Da blitzten die Augen der Unglücklichen zornglühend aus. Ich will keine Verzeihung, schrie sie laut, daß es in dem Zimmer widerhallte und Jeder entsetzt von ihr zurückwich, was habe ich mit dem Himmel zu thun? Was brauche ich deine Verzeihung? Ich fühle keine Reue -- was ich that, ich thäte es wieder. -- O, daß es nicht gelungen ist! Jede Freude hast du mir genommen, jede Lust des Lebens hast du mir zerstört. -- Fluch dir! -- Fluch Allen, die in meinem Wege standen! Weg mit deiner Verzeihung! Dem Schicksal fluche ich, das mich zertrat -- und Rache -- Rache -- ja, Rache -- Die Kräfte versagten ihr, und sie sank bewusstlos zurück. Auf ein Zeichen des Grafen wurde Leonie halb ohnmächtig hinausgebracht.

Er ließ einen Wagen kommen und fuhr mit ihr nach dem Schlosse zurück. Noch bevor er das Haus verließ, war Alles beendet, und die unglückliche Frau hatte die Ruhe gefunden, die ihr auf dieser Erde so lange Zeit gefehlt.

Gleich nach ihrer Rückkehr auf das Schloss zog sich Leonie in ihr Zimmer zurück. Kein Wort war seit dem furchtbaren Vorgang über ihre Lippen gekommen; sie schüttelte verneinend den Kopf, als der Graf ihr rieth, die Kammerfrau bei sich wachen zu lassen, und er kam selbst ein paar Mal während der Nacht, nach ihr zu sehen. Aber sie lag, ohne sich zu rühren, und er erhielt weder Blick noch Wort. Die Einsamkeit und Stille der Nacht thaten ihr wohl. Alles brannte und tobte in ihr, und der Schritt ihres Vaters ging wie ein scharfer Messerstich durch ihr Gehirn. Dennoch saß sie am folgenden Morgen angekleidet und äußerlich

Qualen deiner Seele zur Ruhe spreche, obgleich ich dich wiederholt darum bitten ließ. Nun bin ich selbst gekommen, dir ein Wort der Versöhnung mitzugeben in die letzte Heimath, zu welcher du nun gehst. Möge der Himmel dir ein milder Richter sein! Du weißt, ich habe dir längst verziehen.

Da blitzten die Augen der Unglücklichen zornglühend aus. Ich will keine Verzeihung, schrie sie laut, daß es in dem Zimmer widerhallte und Jeder entsetzt von ihr zurückwich, was habe ich mit dem Himmel zu thun? Was brauche ich deine Verzeihung? Ich fühle keine Reue — was ich that, ich thäte es wieder. — O, daß es nicht gelungen ist! Jede Freude hast du mir genommen, jede Lust des Lebens hast du mir zerstört. — Fluch dir! — Fluch Allen, die in meinem Wege standen! Weg mit deiner Verzeihung! Dem Schicksal fluche ich, das mich zertrat — und Rache — Rache — ja, Rache — Die Kräfte versagten ihr, und sie sank bewusstlos zurück. Auf ein Zeichen des Grafen wurde Leonie halb ohnmächtig hinausgebracht.

Er ließ einen Wagen kommen und fuhr mit ihr nach dem Schlosse zurück. Noch bevor er das Haus verließ, war Alles beendet, und die unglückliche Frau hatte die Ruhe gefunden, die ihr auf dieser Erde so lange Zeit gefehlt.

Gleich nach ihrer Rückkehr auf das Schloss zog sich Leonie in ihr Zimmer zurück. Kein Wort war seit dem furchtbaren Vorgang über ihre Lippen gekommen; sie schüttelte verneinend den Kopf, als der Graf ihr rieth, die Kammerfrau bei sich wachen zu lassen, und er kam selbst ein paar Mal während der Nacht, nach ihr zu sehen. Aber sie lag, ohne sich zu rühren, und er erhielt weder Blick noch Wort. Die Einsamkeit und Stille der Nacht thaten ihr wohl. Alles brannte und tobte in ihr, und der Schritt ihres Vaters ging wie ein scharfer Messerstich durch ihr Gehirn. Dennoch saß sie am folgenden Morgen angekleidet und äußerlich

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[0039] Qualen deiner Seele zur Ruhe spreche, obgleich ich dich wiederholt darum bitten ließ. Nun bin ich selbst gekommen, dir ein Wort der Versöhnung mitzugeben in die letzte Heimath, zu welcher du nun gehst. Möge der Himmel dir ein milder Richter sein! Du weißt, ich habe dir längst verziehen. Da blitzten die Augen der Unglücklichen zornglühend aus. Ich will keine Verzeihung, schrie sie laut, daß es in dem Zimmer widerhallte und Jeder entsetzt von ihr zurückwich, was habe ich mit dem Himmel zu thun? Was brauche ich deine Verzeihung? Ich fühle keine Reue — was ich that, ich thäte es wieder. — O, daß es nicht gelungen ist! Jede Freude hast du mir genommen, jede Lust des Lebens hast du mir zerstört. — Fluch dir! — Fluch Allen, die in meinem Wege standen! Weg mit deiner Verzeihung! Dem Schicksal fluche ich, das mich zertrat — und Rache — Rache — ja, Rache — Die Kräfte versagten ihr, und sie sank bewusstlos zurück. Auf ein Zeichen des Grafen wurde Leonie halb ohnmächtig hinausgebracht. Er ließ einen Wagen kommen und fuhr mit ihr nach dem Schlosse zurück. Noch bevor er das Haus verließ, war Alles beendet, und die unglückliche Frau hatte die Ruhe gefunden, die ihr auf dieser Erde so lange Zeit gefehlt. Gleich nach ihrer Rückkehr auf das Schloss zog sich Leonie in ihr Zimmer zurück. Kein Wort war seit dem furchtbaren Vorgang über ihre Lippen gekommen; sie schüttelte verneinend den Kopf, als der Graf ihr rieth, die Kammerfrau bei sich wachen zu lassen, und er kam selbst ein paar Mal während der Nacht, nach ihr zu sehen. Aber sie lag, ohne sich zu rühren, und er erhielt weder Blick noch Wort. Die Einsamkeit und Stille der Nacht thaten ihr wohl. Alles brannte und tobte in ihr, und der Schritt ihres Vaters ging wie ein scharfer Messerstich durch ihr Gehirn. Dennoch saß sie am folgenden Morgen angekleidet und äußerlich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/39>, abgerufen am 23.04.2024.