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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Zweytes Capitel.
nennet, sind itzo durchgehends für Gemächte der Gnostiker und Basilidianer
aus den ersten Christlichen Zeiten erkläret, und sind nicht würdig, in Ab-
sicht der Kunst, in Betrachtung gezogen zu werden.

[ - 1 Zeichen fehlt]b. in Absicht
der Beklei-
dung.

In der Bekleidung der Figuren, welche Nachahmungen der ältesten
Aegyptischen sind, verhält es sich allgemein, wie mit der Zeichnung und
der Form derselben. Einige Männliche Figuren sind, wie die wahren Aegy-
ptischen, nur mit einem Schurze angethan, und diejenige, welche, wie
ich gedacht habe, an dem befchornen Kopfe eine Locke auf der rechten Seite
hängen hat, ist ganz nackend, wie sich keine alte Männliche Figur der
Aegypter findet. Die Weiblichen sind, wie jene, ganz bekleidet, auch ei-
nige nach der im ersten Absatze dieses Stücks angezeigten ältesten Art, so
daß die Bekleidung durch einen kleinen Vorsprung an den Beinen, und
durch einen Rand am Halse, und oben auf den Armen angedeutet worden.
Von dem Unterleibe hänget an einigen dieser Figuren eine einzige Falte
zwischen den Beinen herunter; an dem Leibe muß die Bekleidung nur ge-
dacht worden. Ueber eine solche Bekleidung haben die Weiblichen Figu-
ren einen Mantel, welcher von den Schultern herunter vorne auf der Brust
zusammen gebunden ist, so wie ihn auch die Griechische Isis insgemein
hat; weiter aber ist nichts von dem Mantel zu sehen. Als etwas beson-
ders ist eine Männliche Figur von schwarzem Marmor, in der Villa Albani,
von welcher der Kopf verlohren gegangen ist, anzumerken, welche eben auf
die Art, wie die Weiber, gekleidet ist; das Geschlecht aber ist durch die
unter dem Gewande erhobene Anzeige desselben kenntlich. Eine Isis in
Marmor 1), in der Gallerie Barberini, um welche sich eine Schlange ge-
wickelt hat, trägt eine Haube, wie Aegyptische Figuren, und ein Gehäng
von einigen Schnüren 2) über der Brust 3), nach Art der Canopen.

Dieses
1) Maffei Raccolt. di Stat. n. 95.
2) Der Zierrath, welcher unter dem Halse über die Brust herunter hieng, hieß bey den Grie-
chen `'Ormos; was um den Hals gieng, peritrakhelios. v. Schol. ad Odyss. S, 299.
3) Descr. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 10.

I Theil. Zweytes Capitel.
nennet, ſind itzo durchgehends fuͤr Gemaͤchte der Gnoſtiker und Baſilidianer
aus den erſten Chriſtlichen Zeiten erklaͤret, und ſind nicht wuͤrdig, in Ab-
ſicht der Kunſt, in Betrachtung gezogen zu werden.

[ – 1 Zeichen fehlt]b. in Abſicht
der Beklei-
dung.

In der Bekleidung der Figuren, welche Nachahmungen der aͤlteſten
Aegyptiſchen ſind, verhaͤlt es ſich allgemein, wie mit der Zeichnung und
der Form derſelben. Einige Maͤnnliche Figuren ſind, wie die wahren Aegy-
ptiſchen, nur mit einem Schurze angethan, und diejenige, welche, wie
ich gedacht habe, an dem befchornen Kopfe eine Locke auf der rechten Seite
haͤngen hat, iſt ganz nackend, wie ſich keine alte Maͤnnliche Figur der
Aegypter findet. Die Weiblichen ſind, wie jene, ganz bekleidet, auch ei-
nige nach der im erſten Abſatze dieſes Stuͤcks angezeigten aͤlteſten Art, ſo
daß die Bekleidung durch einen kleinen Vorſprung an den Beinen, und
durch einen Rand am Halſe, und oben auf den Armen angedeutet worden.
Von dem Unterleibe haͤnget an einigen dieſer Figuren eine einzige Falte
zwiſchen den Beinen herunter; an dem Leibe muß die Bekleidung nur ge-
dacht worden. Ueber eine ſolche Bekleidung haben die Weiblichen Figu-
ren einen Mantel, welcher von den Schultern herunter vorne auf der Bruſt
zuſammen gebunden iſt, ſo wie ihn auch die Griechiſche Iſis insgemein
hat; weiter aber iſt nichts von dem Mantel zu ſehen. Als etwas beſon-
ders iſt eine Maͤnnliche Figur von ſchwarzem Marmor, in der Villa Albani,
von welcher der Kopf verlohren gegangen iſt, anzumerken, welche eben auf
die Art, wie die Weiber, gekleidet iſt; das Geſchlecht aber iſt durch die
unter dem Gewande erhobene Anzeige deſſelben kenntlich. Eine Iſis in
Marmor 1), in der Gallerie Barberini, um welche ſich eine Schlange ge-
wickelt hat, traͤgt eine Haube, wie Aegyptiſche Figuren, und ein Gehaͤng
von einigen Schnuͤren 2) uͤber der Bruſt 3), nach Art der Canopen.

Dieſes
1) Maffei Raccolt. di Stat. n. 95.
2) Der Zierrath, welcher unter dem Halſe uͤber die Bruſt herunter hieng, hieß bey den Grie-
chen ῞Ορμος; was um den Hals gieng, περιτραχήλιος. v. Schol. ad Odyſſ. Σ, 299.
3) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 10.
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[60/0110] I Theil. Zweytes Capitel. nennet, ſind itzo durchgehends fuͤr Gemaͤchte der Gnoſtiker und Baſilidianer aus den erſten Chriſtlichen Zeiten erklaͤret, und ſind nicht wuͤrdig, in Ab- ſicht der Kunſt, in Betrachtung gezogen zu werden. In der Bekleidung der Figuren, welche Nachahmungen der aͤlteſten Aegyptiſchen ſind, verhaͤlt es ſich allgemein, wie mit der Zeichnung und der Form derſelben. Einige Maͤnnliche Figuren ſind, wie die wahren Aegy- ptiſchen, nur mit einem Schurze angethan, und diejenige, welche, wie ich gedacht habe, an dem befchornen Kopfe eine Locke auf der rechten Seite haͤngen hat, iſt ganz nackend, wie ſich keine alte Maͤnnliche Figur der Aegypter findet. Die Weiblichen ſind, wie jene, ganz bekleidet, auch ei- nige nach der im erſten Abſatze dieſes Stuͤcks angezeigten aͤlteſten Art, ſo daß die Bekleidung durch einen kleinen Vorſprung an den Beinen, und durch einen Rand am Halſe, und oben auf den Armen angedeutet worden. Von dem Unterleibe haͤnget an einigen dieſer Figuren eine einzige Falte zwiſchen den Beinen herunter; an dem Leibe muß die Bekleidung nur ge- dacht worden. Ueber eine ſolche Bekleidung haben die Weiblichen Figu- ren einen Mantel, welcher von den Schultern herunter vorne auf der Bruſt zuſammen gebunden iſt, ſo wie ihn auch die Griechiſche Iſis insgemein hat; weiter aber iſt nichts von dem Mantel zu ſehen. Als etwas beſon- ders iſt eine Maͤnnliche Figur von ſchwarzem Marmor, in der Villa Albani, von welcher der Kopf verlohren gegangen iſt, anzumerken, welche eben auf die Art, wie die Weiber, gekleidet iſt; das Geſchlecht aber iſt durch die unter dem Gewande erhobene Anzeige deſſelben kenntlich. Eine Iſis in Marmor 1), in der Gallerie Barberini, um welche ſich eine Schlange ge- wickelt hat, traͤgt eine Haube, wie Aegyptiſche Figuren, und ein Gehaͤng von einigen Schnuͤren 2) uͤber der Bruſt 3), nach Art der Canopen. Dieſes 1) Maffei Raccolt. di Stat. n. 95. 2) Der Zierrath, welcher unter dem Halſe uͤber die Bruſt herunter hieng, hieß bey den Grie- chen ῞Ορμος; was um den Hals gieng, περιτραχήλιος. v. Schol. ad Odyſſ. Σ, 299. 3) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 10.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/110>, abgerufen am 18.04.2024.