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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
len Griechischen Künstlern allezeit zum Muster dieneten 1), wie auch vom
angeführten erhobenen Werke könnte gesagt werden. Oder wenn es Gött-
liche Figuren sind, die aus andern Zeichen und Gründen das Alterthum,
welches sie zeigen, nicht haben können, so scheinet der ältere Stil etwas
angenommenes zu seyn, zu Erweckung größerer Ehrfurcht. Denn wie
die Härte in der Bildung und in dem Klange der Worte, nach dem Urtheile
eines alten Scribenten 2), der Rede eine Größe giebt, so macht die Härte
und Strenge des ältern Stil eine ähnliche Wirkung in der Kunst. Die-
ses ist nicht allein von dem Umrisse der Figur zu verstehen, sondern auch
von der Kleidung, und von der Tracht der Haare und des Bartes, wie sie
an den Hetrurischen, und an den ältern Griechischen Figuren sind. Ein
Jupiter erwecket in solcher Gestalt gleichsam mehr Ehrfurcht, und erhält
mehr Ursprünglichkeit; und so war die Figur desselben mit der Inschrift 3),
IOVI EXSVPERANTISSIMO, welche aber, wie ein jeder urthei-
len kann, nicht von den ältesten ist. Eben diese Beschaffenheit kann es
mit dem Kopfe der Pallas, von der Hand des Aspasius, haben 4), an
welchem der Stil einer Zeit ähnlich ist, die älter scheinet, als diejenige,
welche die Form der Buchstaben in dem Namen des Künstlers andeutet.
Es muthmaßet daher auch Gori 5), daß der Griechische Meister desselben
etwa eine Hetrurische Figur vor Augen müsse gehabt haben. Die Hoff-
nung
findet sich sehr oft in dem ältesten Stile vorgestellet, wie auf einer
Münze Kaisers Philippus des Aelteren 6), so wie auch eine Hoffnung
von Marmor in der Villa Ludovisi ist 7); und auf drey geschnittenen Stei-

nen
1) Excerpt. ex Nic. Damasc. p. 514. v. Telkhines.
2) Demetr. Phal. de elocut. p. 26. l. 19.
3) Spon. Misc. Sect. 3. p. 71. conf. Descr. des Pier. gr. du Cap. de Stoseh, p. 46.
4) Stosch. Pier. gr. pl. 13.
5) Mus. Etr. p. 91.
6) Pedrusi Ces. T. 6. tav. 6. wo aber das Kupfer einen unrichtigen Begriff giebt.
7) Auf der Base dieser Figur stehet folgende von mir anderwerts zuerst bekannt ge-
machte Inschrift:
Q; AQVILIVS; DIONYSIVS; ET;
NONIA; FAVSTINA; SPEM; RE
STITVERVNT.

*) Descr. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 302.

I Theil. Viertes Capitel.
len Griechiſchen Kuͤnſtlern allezeit zum Muſter dieneten 1), wie auch vom
angefuͤhrten erhobenen Werke koͤnnte geſagt werden. Oder wenn es Goͤtt-
liche Figuren ſind, die aus andern Zeichen und Gruͤnden das Alterthum,
welches ſie zeigen, nicht haben koͤnnen, ſo ſcheinet der aͤltere Stil etwas
angenommenes zu ſeyn, zu Erweckung groͤßerer Ehrfurcht. Denn wie
die Haͤrte in der Bildung und in dem Klange der Worte, nach dem Urtheile
eines alten Scribenten 2), der Rede eine Groͤße giebt, ſo macht die Haͤrte
und Strenge des aͤltern Stil eine aͤhnliche Wirkung in der Kunſt. Die-
ſes iſt nicht allein von dem Umriſſe der Figur zu verſtehen, ſondern auch
von der Kleidung, und von der Tracht der Haare und des Bartes, wie ſie
an den Hetruriſchen, und an den aͤltern Griechiſchen Figuren ſind. Ein
Jupiter erwecket in ſolcher Geſtalt gleichſam mehr Ehrfurcht, und erhaͤlt
mehr Urſpruͤnglichkeit; und ſo war die Figur deſſelben mit der Inſchrift 3),
IOVI EXSVPERANTISSIMO, welche aber, wie ein jeder urthei-
len kann, nicht von den aͤlteſten iſt. Eben dieſe Beſchaffenheit kann es
mit dem Kopfe der Pallas, von der Hand des Aſpaſius, haben 4), an
welchem der Stil einer Zeit aͤhnlich iſt, die aͤlter ſcheinet, als diejenige,
welche die Form der Buchſtaben in dem Namen des Kuͤnſtlers andeutet.
Es muthmaßet daher auch Gori 5), daß der Griechiſche Meiſter deſſelben
etwa eine Hetruriſche Figur vor Augen muͤſſe gehabt haben. Die Hoff-
nung
findet ſich ſehr oft in dem aͤlteſten Stile vorgeſtellet, wie auf einer
Muͤnze Kaiſers Philippus des Aelteren 6), ſo wie auch eine Hoffnung
von Marmor in der Villa Ludoviſi iſt 7); und auf drey geſchnittenen Stei-

nen
1) Excerpt. ex Nic. Damaſc. p. 514. v. Τελχῖνες.
2) Demetr. Phal. de elocut. p. 26. l. 19.
3) Spon. Miſc. Sect. 3. p. 71. conf. Deſcr. des Pier. gr. du Cap. de Stoſeh, p. 46.
4) Stoſch. Pier. gr. pl. 13.
5) Muſ. Etr. p. 91.
6) Pedruſi Ceſ. T. 6. tav. 6. wo aber das Kupfer einen unrichtigen Begriff giebt.
7) Auf der Baſe dieſer Figur ſtehet folgende von mir anderwerts zuerſt bekannt ge-
machte Inſchrift:
Q· AQVILIVS· DIONYSIVS· ET·
NONIA· FAVSTINA· SPEM· RE
STITVERVNT.

*) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 302.
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[240/0290] I Theil. Viertes Capitel. len Griechiſchen Kuͤnſtlern allezeit zum Muſter dieneten 1), wie auch vom angefuͤhrten erhobenen Werke koͤnnte geſagt werden. Oder wenn es Goͤtt- liche Figuren ſind, die aus andern Zeichen und Gruͤnden das Alterthum, welches ſie zeigen, nicht haben koͤnnen, ſo ſcheinet der aͤltere Stil etwas angenommenes zu ſeyn, zu Erweckung groͤßerer Ehrfurcht. Denn wie die Haͤrte in der Bildung und in dem Klange der Worte, nach dem Urtheile eines alten Scribenten 2), der Rede eine Groͤße giebt, ſo macht die Haͤrte und Strenge des aͤltern Stil eine aͤhnliche Wirkung in der Kunſt. Die- ſes iſt nicht allein von dem Umriſſe der Figur zu verſtehen, ſondern auch von der Kleidung, und von der Tracht der Haare und des Bartes, wie ſie an den Hetruriſchen, und an den aͤltern Griechiſchen Figuren ſind. Ein Jupiter erwecket in ſolcher Geſtalt gleichſam mehr Ehrfurcht, und erhaͤlt mehr Urſpruͤnglichkeit; und ſo war die Figur deſſelben mit der Inſchrift 3), IOVI EXSVPERANTISSIMO, welche aber, wie ein jeder urthei- len kann, nicht von den aͤlteſten iſt. Eben dieſe Beſchaffenheit kann es mit dem Kopfe der Pallas, von der Hand des Aſpaſius, haben 4), an welchem der Stil einer Zeit aͤhnlich iſt, die aͤlter ſcheinet, als diejenige, welche die Form der Buchſtaben in dem Namen des Kuͤnſtlers andeutet. Es muthmaßet daher auch Gori 5), daß der Griechiſche Meiſter deſſelben etwa eine Hetruriſche Figur vor Augen muͤſſe gehabt haben. Die Hoff- nung findet ſich ſehr oft in dem aͤlteſten Stile vorgeſtellet, wie auf einer Muͤnze Kaiſers Philippus des Aelteren 6), ſo wie auch eine Hoffnung von Marmor in der Villa Ludoviſi iſt 7); und auf drey geſchnittenen Stei- nen 1) Excerpt. ex Nic. Damaſc. p. 514. v. Τελχῖνες. 2) Demetr. Phal. de elocut. p. 26. l. 19. 3) Spon. Miſc. Sect. 3. p. 71. conf. Deſcr. des Pier. gr. du Cap. de Stoſeh, p. 46. 4) Stoſch. Pier. gr. pl. 13. 5) Muſ. Etr. p. 91. 6) Pedruſi Ceſ. T. 6. tav. 6. wo aber das Kupfer einen unrichtigen Begriff giebt. 7) Auf der Baſe dieſer Figur ſtehet folgende von mir anderwerts zuerſt bekannt ge- machte Inſchrift: Q· AQVILIVS· DIONYSIVS· ET· NONIA· FAVSTINA· SPEM· RE STITVERVNT. *⁾ Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 302.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/290>, abgerufen am 19.04.2024.