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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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der Zeit unter den Griechen betrachtet.
gewußt, daß Fabretti die Vergehung aller Gelehrten, die über dieses Werk
geschrieben, in Absicht des besagten Worts bereits vor mir bemerket und
angezeiget 1): es steht dieses Wort gesetzet, wie es sollte gewöhnlich geschrie-
ben werden, nemlich [fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt] 2). Es wird folglich alle Muthmas-
sung nichtig, welche aus einer übel bemerkten Schreibart auf die Bestim-
mung der Zeit dieses Werks gemachet worden. Es ist hingegen so wenig
gedachter Zeit gemäß, daß es vielmehr offenbar von späterer, und von der
Kaiser Zeiten seyn muß. Die Figuren sind keine Spanne lang, folglich
zu klein, um eine schöne Zeichnung anzubringen; es sind auch erhabene
Werke übrig, welche in größeren Figuren vielmehr geendiget, und fleißi-
ger ausgearbeitet sind. Der auf demselben gesetzte Name des Künstlers,
Apollonius von Priene, giebt dem Werke keinen Schein von Vorzüg-
lichkeit der Kunst: denn es finden sich auf sehr schlechten Arbeiten der letz-

ten
1) Eplic. Tab. Iliad. p. 347.
2) Eine andere Vergötterung des Homerus ist auf einem Gesäße von Silber, in Gestalt ei-
nes Mörsers, unter den Herculanischen Entdeckungen |vorgestellet. Der Dichter sitzet
auf einem Adler, von welchem er in die Luft getragen wird. Auf beyden Seiten sitzen
zwo weibliche Figuren auf Zierrathen von Zweigen, beyde mit einem kurzen Degen an
der Seite. Die zur Rechten hat einen Helm; mit der einen Hand fasset sie an ihrem
Degen, und sitzet mit gestütztem Hanpte, und in tiefen Gedanken: die andere hat ei-
nen spitzigen Huth, so wie er dem Ulysses gegeben ist, und hat ebenfalls die eine Hand
am Degen, und mit der andern Hand hält sie ein Ruder. Jene bedeutet vermuthlich
die Jlias, als das Tragische Theil des Homerus, und diese die Odyssea. Das Ruder
und der spitzige Huth ohne Krempen, nach Art der Levantinischen Seeleute, bildet des
Ulysses große Reisen zu Wasser. Die Schwanen unter den Zierrathen über der vergöt-
terten Figur haben auch ihre Deutung auf den Dichter. Bajardi hat in dem Verzeich-
nisse der Herculanischen Entdeckungen diese Vorstellung ohne alle Anscheinung eine Ver-
götterung des Julius Cäsars getauft a), wider welchen Einfall der Bart der auf dem
Adler getragenen Figur allein, ohne andere Kennzeichen, ein Bedenken hätte machen
sollen. Herr Graf Caylus würde es ohne den Bart auf die Vergötterung eines
Kaisers deuten b): allein er hat nach einer Zeichnung geurtheilet, welche nur die Fi-
gur auf dem Adler zeiget.
a) Catal. de' Monum. d' Ercol. Vafi, No. DXXXX. p. 246.
b) Rec. d' Antiq. T. 2. pl. XLI. p. 121.
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der Zeit unter den Griechen betrachtet.
gewußt, daß Fabretti die Vergehung aller Gelehrten, die uͤber dieſes Werk
geſchrieben, in Abſicht des beſagten Worts bereits vor mir bemerket und
angezeiget 1): es ſteht dieſes Wort geſetzet, wie es ſollte gewoͤhnlich geſchrie-
ben werden, nemlich [fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt] 2). Es wird folglich alle Muthmaſ-
ſung nichtig, welche aus einer uͤbel bemerkten Schreibart auf die Beſtim-
mung der Zeit dieſes Werks gemachet worden. Es iſt hingegen ſo wenig
gedachter Zeit gemaͤß, daß es vielmehr offenbar von ſpaͤterer, und von der
Kaiſer Zeiten ſeyn muß. Die Figuren ſind keine Spanne lang, folglich
zu klein, um eine ſchoͤne Zeichnung anzubringen; es ſind auch erhabene
Werke uͤbrig, welche in groͤßeren Figuren vielmehr geendiget, und fleißi-
ger ausgearbeitet ſind. Der auf demſelben geſetzte Name des Kuͤnſtlers,
Apollonius von Priene, giebt dem Werke keinen Schein von Vorzuͤg-
lichkeit der Kunſt: denn es finden ſich auf ſehr ſchlechten Arbeiten der letz-

ten
1) Eplic. Tab. Iliad. p. 347.
2) Eine andere Vergoͤtterung des Homerus iſt auf einem Geſaͤße von Silber, in Geſtalt ei-
nes Moͤrſers, unter den Herculaniſchen Entdeckungen |vorgeſtellet. Der Dichter ſitzet
auf einem Adler, von welchem er in die Luft getragen wird. Auf beyden Seiten ſitzen
zwo weibliche Figuren auf Zierrathen von Zweigen, beyde mit einem kurzen Degen an
der Seite. Die zur Rechten hat einen Helm; mit der einen Hand faſſet ſie an ihrem
Degen, und ſitzet mit geſtuͤtztem Hanpte, und in tiefen Gedanken: die andere hat ei-
nen ſpitzigen Huth, ſo wie er dem Ulyſſes gegeben iſt, und hat ebenfalls die eine Hand
am Degen, und mit der andern Hand haͤlt ſie ein Ruder. Jene bedeutet vermuthlich
die Jlias, als das Tragiſche Theil des Homerus, und dieſe die Odyſſea. Das Ruder
und der ſpitzige Huth ohne Krempen, nach Art der Levantiniſchen Seeleute, bildet des
Ulyſſes große Reiſen zu Waſſer. Die Schwanen unter den Zierrathen uͤber der vergoͤt-
terten Figur haben auch ihre Deutung auf den Dichter. Bajardi hat in dem Verzeich-
niſſe der Herculaniſchen Entdeckungen dieſe Vorſtellung ohne alle Anſcheinung eine Ver-
goͤtterung des Julius Caͤſars getauft a), wider welchen Einfall der Bart der auf dem
Adler getragenen Figur allein, ohne andere Kennzeichen, ein Bedenken haͤtte machen
ſollen. Herr Graf Caylus wuͤrde es ohne den Bart auf die Vergoͤtterung eines
Kaiſers deuten b): allein er hat nach einer Zeichnung geurtheilet, welche nur die Fi-
gur auf dem Adler zeiget.
a) Catal. de’ Monum. d’ Ercol. Vafi, No. DXXXX. p. 246.
b) Rec. d’ Antiq. T. 2. pl. XLI. p. 121.
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[339/0027] der Zeit unter den Griechen betrachtet. gewußt, daß Fabretti die Vergehung aller Gelehrten, die uͤber dieſes Werk geſchrieben, in Abſicht des beſagten Worts bereits vor mir bemerket und angezeiget 1): es ſteht dieſes Wort geſetzet, wie es ſollte gewoͤhnlich geſchrie- ben werden, nemlich _ 2). Es wird folglich alle Muthmaſ- ſung nichtig, welche aus einer uͤbel bemerkten Schreibart auf die Beſtim- mung der Zeit dieſes Werks gemachet worden. Es iſt hingegen ſo wenig gedachter Zeit gemaͤß, daß es vielmehr offenbar von ſpaͤterer, und von der Kaiſer Zeiten ſeyn muß. Die Figuren ſind keine Spanne lang, folglich zu klein, um eine ſchoͤne Zeichnung anzubringen; es ſind auch erhabene Werke uͤbrig, welche in groͤßeren Figuren vielmehr geendiget, und fleißi- ger ausgearbeitet ſind. Der auf demſelben geſetzte Name des Kuͤnſtlers, Apollonius von Priene, giebt dem Werke keinen Schein von Vorzuͤg- lichkeit der Kunſt: denn es finden ſich auf ſehr ſchlechten Arbeiten der letz- ten 1) Eplic. Tab. Iliad. p. 347. 2) Eine andere Vergoͤtterung des Homerus iſt auf einem Geſaͤße von Silber, in Geſtalt ei- nes Moͤrſers, unter den Herculaniſchen Entdeckungen |vorgeſtellet. Der Dichter ſitzet auf einem Adler, von welchem er in die Luft getragen wird. Auf beyden Seiten ſitzen zwo weibliche Figuren auf Zierrathen von Zweigen, beyde mit einem kurzen Degen an der Seite. Die zur Rechten hat einen Helm; mit der einen Hand faſſet ſie an ihrem Degen, und ſitzet mit geſtuͤtztem Hanpte, und in tiefen Gedanken: die andere hat ei- nen ſpitzigen Huth, ſo wie er dem Ulyſſes gegeben iſt, und hat ebenfalls die eine Hand am Degen, und mit der andern Hand haͤlt ſie ein Ruder. Jene bedeutet vermuthlich die Jlias, als das Tragiſche Theil des Homerus, und dieſe die Odyſſea. Das Ruder und der ſpitzige Huth ohne Krempen, nach Art der Levantiniſchen Seeleute, bildet des Ulyſſes große Reiſen zu Waſſer. Die Schwanen unter den Zierrathen uͤber der vergoͤt- terten Figur haben auch ihre Deutung auf den Dichter. Bajardi hat in dem Verzeich- niſſe der Herculaniſchen Entdeckungen dieſe Vorſtellung ohne alle Anſcheinung eine Ver- goͤtterung des Julius Caͤſars getauft a), wider welchen Einfall der Bart der auf dem Adler getragenen Figur allein, ohne andere Kennzeichen, ein Bedenken haͤtte machen ſollen. Herr Graf Caylus wuͤrde es ohne den Bart auf die Vergoͤtterung eines Kaiſers deuten b): allein er hat nach einer Zeichnung geurtheilet, welche nur die Fi- gur auf dem Adler zeiget. a) Catal. de’ Monum. d’ Ercol. Vafi, No. DXXXX. p. 246. b) Rec. d’ Antiq. T. 2. pl. XLI. p. 121. U u 2

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/27>, abgerufen am 28.03.2024.