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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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II Theil. Von der Kunst, nach den äußern Umständen
gesetzet werden 1). Ein anderer Bildschnitzer war derjenige Praxiteles,
welchen Theocritus anführet 2). Die Söhne des berühmten Praxiteles
folgeten ihrem Vater in der Kunst, und es wird einer Statue der Göttinn
Enyo, und eines Cadmus beym Pausanias 3) gedacht, welche sie gemein-
schaftlich gearbeitet: einer von ihnen hieß Cephissodorus, und von ihm
war das Symplegma, oder ein Paar, welche mit einander rungen, zu
Ephesus 4). Die beyden Ringer in der Tribuna der Großherzoglichen
Gallerie zu Florenz, verdienen für eine Arbeit entweder des Cephissodo-
rus, oder des Heliodorus, welcher das andere berühmte Paar solcher
Ringer machte 5), gehalten zu werden. Ein anderer von des Praxiteles
Söhnen hieß Pamphilus 6).

b.
Lysippus und
dessen fälsch-
lich vermeyn-
te Werke.

Einige Zeit nach dem Praxiteles erschien Lysippus, welcher auf der
Bahne, die allezeit die größten Menschen in ihrer Art betreten haben, zur
Vollkommenheit in seiner Kunst gieng: dieser Weg ist, selbst die Quelle zu
suchen, und zu dem Ursprunge zurück zu kehren, um die Wahrheit rein und
unvermischt zu finden. Die Quelle und der Ursprung in der Kunst ist die
Natur selbst, die, wie in allen Dingen, also auch hier, unter Regeln,
Sätzen und Vorschriften sich verlieren, und unkenntlich werden kann.

Was
1) Die zwo ältesten Handschriften, die in der St. Marcusbibliothek zu Venedig, und die
in der Laurentianischen zu Florenz, haben die Lesart der gedruckten Bücher.
2) Idyl. 5. v. 105.
3) Pausan. L. 1. p. 20. l. 16.
4) Plin. L. 34. c. 5.
5) Idem L. 36. c. 4. n. 10.
6) Seit ein paar Jahren hat sich aus der Villa Negroni ein Kopf mit dem Namen Eu-
bulus,
eines Praxiteles Sohn, verlohren: die Form der Buchstaben ist etwas ver-
schieden von der Jnschrift, wie dieselbe in Büchern steht a): ich gebe sie aus einer rich-
tigen Zeichnung:
[fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]
Die Art zu schreiben deutet nicht auf des berühmten Praxiteles Zeit.
a) Stosch Pier. gr. Pref. p. XI.

II Theil. Von der Kunſt, nach den aͤußern Umſtaͤnden
geſetzet werden 1). Ein anderer Bildſchnitzer war derjenige Praxiteles,
welchen Theocritus anfuͤhret 2). Die Soͤhne des beruͤhmten Praxiteles
folgeten ihrem Vater in der Kunſt, und es wird einer Statue der Goͤttinn
Enyo, und eines Cadmus beym Pauſanias 3) gedacht, welche ſie gemein-
ſchaftlich gearbeitet: einer von ihnen hieß Cephiſſodorus, und von ihm
war das Symplegma, oder ein Paar, welche mit einander rungen, zu
Epheſus 4). Die beyden Ringer in der Tribuna der Großherzoglichen
Gallerie zu Florenz, verdienen fuͤr eine Arbeit entweder des Cephiſſodo-
rus, oder des Heliodorus, welcher das andere beruͤhmte Paar ſolcher
Ringer machte 5), gehalten zu werden. Ein anderer von des Praxiteles
Soͤhnen hieß Pamphilus 6).

b.
Lyſippus und
deſſen faͤlſch-
lich vermeyn-
te Werke.

Einige Zeit nach dem Praxiteles erſchien Lyſippus, welcher auf der
Bahne, die allezeit die groͤßten Menſchen in ihrer Art betreten haben, zur
Vollkommenheit in ſeiner Kunſt gieng: dieſer Weg iſt, ſelbſt die Quelle zu
ſuchen, und zu dem Urſprunge zuruͤck zu kehren, um die Wahrheit rein und
unvermiſcht zu finden. Die Quelle und der Urſprung in der Kunſt iſt die
Natur ſelbſt, die, wie in allen Dingen, alſo auch hier, unter Regeln,
Saͤtzen und Vorſchriften ſich verlieren, und unkenntlich werden kann.

Was
1) Die zwo aͤlteſten Handſchriften, die in der St. Marcusbibliothek zu Venedig, und die
in der Laurentianiſchen zu Florenz, haben die Lesart der gedruckten Buͤcher.
2) Idyl. 5. v. 105.
3) Pauſan. L. 1. p. 20. l. 16.
4) Plin. L. 34. c. 5.
5) Idem L. 36. c. 4. n. 10.
6) Seit ein paar Jahren hat ſich aus der Villa Negroni ein Kopf mit dem Namen Eu-
bulus,
eines Praxiteles Sohn, verlohren: die Form der Buchſtaben iſt etwas ver-
ſchieden von der Jnſchrift, wie dieſelbe in Buͤchern ſteht a): ich gebe ſie aus einer rich-
tigen Zeichnung:
[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]
Die Art zu ſchreiben deutet nicht auf des beruͤhmten Praxiteles Zeit.
a) Stoſch Pier. gr. Pref. p. XI.
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[344/0032] II Theil. Von der Kunſt, nach den aͤußern Umſtaͤnden geſetzet werden 1). Ein anderer Bildſchnitzer war derjenige Praxiteles, welchen Theocritus anfuͤhret 2). Die Soͤhne des beruͤhmten Praxiteles folgeten ihrem Vater in der Kunſt, und es wird einer Statue der Goͤttinn Enyo, und eines Cadmus beym Pauſanias 3) gedacht, welche ſie gemein- ſchaftlich gearbeitet: einer von ihnen hieß Cephiſſodorus, und von ihm war das Symplegma, oder ein Paar, welche mit einander rungen, zu Epheſus 4). Die beyden Ringer in der Tribuna der Großherzoglichen Gallerie zu Florenz, verdienen fuͤr eine Arbeit entweder des Cephiſſodo- rus, oder des Heliodorus, welcher das andere beruͤhmte Paar ſolcher Ringer machte 5), gehalten zu werden. Ein anderer von des Praxiteles Soͤhnen hieß Pamphilus 6). Einige Zeit nach dem Praxiteles erſchien Lyſippus, welcher auf der Bahne, die allezeit die groͤßten Menſchen in ihrer Art betreten haben, zur Vollkommenheit in ſeiner Kunſt gieng: dieſer Weg iſt, ſelbſt die Quelle zu ſuchen, und zu dem Urſprunge zuruͤck zu kehren, um die Wahrheit rein und unvermiſcht zu finden. Die Quelle und der Urſprung in der Kunſt iſt die Natur ſelbſt, die, wie in allen Dingen, alſo auch hier, unter Regeln, Saͤtzen und Vorſchriften ſich verlieren, und unkenntlich werden kann. Was 1) Die zwo aͤlteſten Handſchriften, die in der St. Marcusbibliothek zu Venedig, und die in der Laurentianiſchen zu Florenz, haben die Lesart der gedruckten Buͤcher. 2) Idyl. 5. v. 105. 3) Pauſan. L. 1. p. 20. l. 16. 4) Plin. L. 34. c. 5. 5) Idem L. 36. c. 4. n. 10. 6) Seit ein paar Jahren hat ſich aus der Villa Negroni ein Kopf mit dem Namen Eu- bulus, eines Praxiteles Sohn, verlohren: die Form der Buchſtaben iſt etwas ver- ſchieden von der Jnſchrift, wie dieſelbe in Buͤchern ſteht a): ich gebe ſie aus einer rich- tigen Zeichnung: _ Die Art zu ſchreiben deutet nicht auf des beruͤhmten Praxiteles Zeit. a) Stoſch Pier. gr. Pref. p. XI.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/32>, abgerufen am 28.03.2024.