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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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der Zeit unter den Griechen betrachtet.
Absicht der Kunst, als vielmehr der Seltenheit derselben, und in Absicht
der Zeitrechnung. Auf der einen Seite ist ein Weiblicher Kopf, welcher
die Egesta des Hippotes aus Troja Tochter vorstellet, von welcher die
Stadt den Namen führete. Auf der andern Seite ist ein Hund, nebst
drey Kornähren, welche den fruchtbaren Boden bedeuten. Der Hund
ist ein Bild des Flußes Crimisus, welcher sich in dieses Thier verwandelte,
um die Egesta zu genießen, welche von ihrem Vater hierher geschicket war,
ihr Leben zu retten. Denn da Neptunus mit dem Apollo den verdienten
Lohn wegen aufgeführter Mauern der Stadt Troja vom Laomedon nicht
erhielten, schickte derselbe ein schreckliches Ungeheuer wider die Stadt, des-
sen Muth, nach dem Ausspruche des Orakels des Apollo, die vornehmsten
Jungfrauen von Troja sollten ausgesetzet werden. Das merkwürdigste die-
ser Münze ist der Name Egesta und Segesta zu gleicher Zeit. Diese von
den Carthaginensern belagerte Stadt wurde vom Cajus Duillius in der
hundert und neun und zwanzigsten Olympias entsetzet 1), und neunzehen
Jahre hernach wurden die Carthaginenser durch den Cajus Lutatius Ca-
tulus aus Sicilien verjaget, und diese Jnsel wurde eine Römische Pro-
vinz, das Reich des Hierons ausgenommen 2): in dieser Provinz aber ließ
man einigen Städten, unter welchen Segesta genennet ist 3), den völligen
Genuß ihrer Freyheit. Die angegebenen neunzehn Jahre finden sich auf die-
ser Münze mit [EIB] IB. angezeiget, wenn wir den Jnhalt dieser Zahl theilen:
denn [E] oder Z ist sieben, und IB zwölf; ungetheilt sollte sie ITh geschrieben
seyn. Jch bin der Meynung, daß die Segestaner die Zeit von dem Entsatze
an bis zur Eroberung von Sicilien, in welcher ihnen ihre alte Freyheit wi-
der Vermuthen bestätiget worden, auf dieser Münze haben erhalten wollen,
und daß sie damals den Namen Egesta in Segesta verändert.

4)
Jn
1) Polyb. L. 1. p. 14. C.
2) Liv. L. 19. c. 63.
3) conf. Sigon. de antiqu. iur. provinc. Ital. L. 1. c. 3. p. 266.
4) conf. Mazocchi in Comment. Tab. Heracl.

der Zeit unter den Griechen betrachtet.
Abſicht der Kunſt, als vielmehr der Seltenheit derſelben, und in Abſicht
der Zeitrechnung. Auf der einen Seite iſt ein Weiblicher Kopf, welcher
die Egeſta des Hippotes aus Troja Tochter vorſtellet, von welcher die
Stadt den Namen fuͤhrete. Auf der andern Seite iſt ein Hund, nebſt
drey Kornaͤhren, welche den fruchtbaren Boden bedeuten. Der Hund
iſt ein Bild des Flußes Crimiſus, welcher ſich in dieſes Thier verwandelte,
um die Egeſta zu genießen, welche von ihrem Vater hierher geſchicket war,
ihr Leben zu retten. Denn da Neptunus mit dem Apollo den verdienten
Lohn wegen aufgefuͤhrter Mauern der Stadt Troja vom Laomedon nicht
erhielten, ſchickte derſelbe ein ſchreckliches Ungeheuer wider die Stadt, deſ-
ſen Muth, nach dem Ausſpruche des Orakels des Apollo, die vornehmſten
Jungfrauen von Troja ſollten ausgeſetzet werden. Das merkwuͤrdigſte die-
ſer Muͤnze iſt der Name Egeſta und Segeſta zu gleicher Zeit. Dieſe von
den Carthaginenſern belagerte Stadt wurde vom Cajus Duillius in der
hundert und neun und zwanzigſten Olympias entſetzet 1), und neunzehen
Jahre hernach wurden die Carthaginenſer durch den Cajus Lutatius Ca-
tulus aus Sicilien verjaget, und dieſe Jnſel wurde eine Roͤmiſche Pro-
vinz, das Reich des Hierons ausgenommen 2): in dieſer Provinz aber ließ
man einigen Staͤdten, unter welchen Segeſta genennet iſt 3), den voͤlligen
Genuß ihrer Freyheit. Die angegebenen neunzehn Jahre finden ſich auf die-
ſer Muͤnze mit [ΗΙΒ] IB. angezeiget, wenn wir den Jnhalt dieſer Zahl theilen:
denn [Η] oder Z iſt ſieben, und IB zwoͤlf; ungetheilt ſollte ſie ΙΘ geſchrieben
ſeyn. Jch bin der Meynung, daß die Segeſtaner die Zeit von dem Entſatze
an bis zur Eroberung von Sicilien, in welcher ihnen ihre alte Freyheit wi-
der Vermuthen beſtaͤtiget worden, auf dieſer Muͤnze haben erhalten wollen,
und daß ſie damals den Namen Egeſta in Segeſta veraͤndert.

4)
Jn
1) Polyb. L. 1. p. 14. C.
2) Liv. L. 19. c. 63.
3) conf. Sigon. de antiqu. iur. provinc. Ital. L. 1. c. 3. p. 266.
4) conf. Mazocchi in Comment. Tab. Heracl.
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[367/0055] der Zeit unter den Griechen betrachtet. Abſicht der Kunſt, als vielmehr der Seltenheit derſelben, und in Abſicht der Zeitrechnung. Auf der einen Seite iſt ein Weiblicher Kopf, welcher die Egeſta des Hippotes aus Troja Tochter vorſtellet, von welcher die Stadt den Namen fuͤhrete. Auf der andern Seite iſt ein Hund, nebſt drey Kornaͤhren, welche den fruchtbaren Boden bedeuten. Der Hund iſt ein Bild des Flußes Crimiſus, welcher ſich in dieſes Thier verwandelte, um die Egeſta zu genießen, welche von ihrem Vater hierher geſchicket war, ihr Leben zu retten. Denn da Neptunus mit dem Apollo den verdienten Lohn wegen aufgefuͤhrter Mauern der Stadt Troja vom Laomedon nicht erhielten, ſchickte derſelbe ein ſchreckliches Ungeheuer wider die Stadt, deſ- ſen Muth, nach dem Ausſpruche des Orakels des Apollo, die vornehmſten Jungfrauen von Troja ſollten ausgeſetzet werden. Das merkwuͤrdigſte die- ſer Muͤnze iſt der Name Egeſta und Segeſta zu gleicher Zeit. Dieſe von den Carthaginenſern belagerte Stadt wurde vom Cajus Duillius in der hundert und neun und zwanzigſten Olympias entſetzet 1), und neunzehen Jahre hernach wurden die Carthaginenſer durch den Cajus Lutatius Ca- tulus aus Sicilien verjaget, und dieſe Jnſel wurde eine Roͤmiſche Pro- vinz, das Reich des Hierons ausgenommen 2): in dieſer Provinz aber ließ man einigen Staͤdten, unter welchen Segeſta genennet iſt 3), den voͤlligen Genuß ihrer Freyheit. Die angegebenen neunzehn Jahre finden ſich auf die- ſer Muͤnze mit ΗΙΒ IB. angezeiget, wenn wir den Jnhalt dieſer Zahl theilen: denn Η oder Z iſt ſieben, und IB zwoͤlf; ungetheilt ſollte ſie ΙΘ geſchrieben ſeyn. Jch bin der Meynung, daß die Segeſtaner die Zeit von dem Entſatze an bis zur Eroberung von Sicilien, in welcher ihnen ihre alte Freyheit wi- der Vermuthen beſtaͤtiget worden, auf dieſer Muͤnze haben erhalten wollen, und daß ſie damals den Namen Egeſta in Segeſta veraͤndert. Jn 4) 1) Polyb. L. 1. p. 14. C. 2) Liv. L. 19. c. 63. 3) conf. Sigon. de antiqu. iur. provinc. Ital. L. 1. c. 3. p. 266. 4) conf. Mazocchi in Comment. Tab. Heracl.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/55>, abgerufen am 28.03.2024.