Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Gärten, Gold und Blumen, Sternenglanz und Lautenklang, was weiß ich Alles, durch meine Phantasie und bewegten sich darin, wie die bunten Figuren in einem Kaleidoskop.

Es wurde Abend, und der Oheim kam nicht, ich mußte mit der Mutter nach Hause.

Am andern Tage lief ich, sobald es thunlich war, wieder dorthin. Da gab's eine betrübende Nachricht für mich, der Oheim war verreis't, und die Tante wußte nicht, wann er wiederkehren würde. Ich mußte mich in Geduld fassen.

Wochenlang blieb der Oheim fort. Während der Zeit war mein Denken und Sinnen der Stern der Schönheit. Wie mag es doch sein? dacht' ich, wenn ich Stunden lang in meinem Verlangen hingeträumt hatte. Die Prinzessin von Granada heißt es auch. Was mag doch Alles darin vorkommen? -- Unwillkürlich formten sich bei der steten Richtung meiner Phantasie nach dem einen ganz unbestimmten Gegenstand schon damals gewisse Figuren, gewisse Verhältnisse in meinen Gedanken. So ist es vielleicht, dacht' ich, oder so kann es sein, und änderte die Gestaltungen meiner Träume. Aber nein, meinte ich dann immer gleich darauf, es ist viel, viel schöner, so schön, daß ich jetzt gar keine Vorstellung davon haben kann.

Als der Oheim von seiner Reise zurückgekehrt war und ich ihn endlich zu sprechen bekam, antwortete er auf meine schüchterne Frage nach dem Buch: Ach, das alte dumme Buch! Ich habe die Bücher schon abgegeben.

Gärten, Gold und Blumen, Sternenglanz und Lautenklang, was weiß ich Alles, durch meine Phantasie und bewegten sich darin, wie die bunten Figuren in einem Kaleidoskop.

Es wurde Abend, und der Oheim kam nicht, ich mußte mit der Mutter nach Hause.

Am andern Tage lief ich, sobald es thunlich war, wieder dorthin. Da gab's eine betrübende Nachricht für mich, der Oheim war verreis't, und die Tante wußte nicht, wann er wiederkehren würde. Ich mußte mich in Geduld fassen.

Wochenlang blieb der Oheim fort. Während der Zeit war mein Denken und Sinnen der Stern der Schönheit. Wie mag es doch sein? dacht' ich, wenn ich Stunden lang in meinem Verlangen hingeträumt hatte. Die Prinzessin von Granada heißt es auch. Was mag doch Alles darin vorkommen? — Unwillkürlich formten sich bei der steten Richtung meiner Phantasie nach dem einen ganz unbestimmten Gegenstand schon damals gewisse Figuren, gewisse Verhältnisse in meinen Gedanken. So ist es vielleicht, dacht' ich, oder so kann es sein, und änderte die Gestaltungen meiner Träume. Aber nein, meinte ich dann immer gleich darauf, es ist viel, viel schöner, so schön, daß ich jetzt gar keine Vorstellung davon haben kann.

Als der Oheim von seiner Reise zurückgekehrt war und ich ihn endlich zu sprechen bekam, antwortete er auf meine schüchterne Frage nach dem Buch: Ach, das alte dumme Buch! Ich habe die Bücher schon abgegeben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0018"/>
Gärten, Gold und Blumen, Sternenglanz und                Lautenklang, was weiß ich Alles, durch meine Phantasie und bewegten sich darin, wie                die bunten Figuren in einem Kaleidoskop.</p><lb/>
        <p>Es wurde Abend, und der Oheim kam nicht, ich mußte mit der Mutter nach Hause.</p><lb/>
        <p>Am andern Tage lief ich, sobald es thunlich war, wieder dorthin. Da gab's eine                betrübende Nachricht für mich, der Oheim war verreis't, und die Tante wußte nicht,                wann er wiederkehren würde. Ich mußte mich in Geduld fassen.</p><lb/>
        <p>Wochenlang blieb der Oheim fort. Während der Zeit war mein Denken und Sinnen der                Stern der Schönheit. Wie mag es doch sein? dacht' ich, wenn ich Stunden lang in                meinem Verlangen hingeträumt hatte. Die Prinzessin von Granada heißt es auch. Was mag                doch Alles darin vorkommen? &#x2014; Unwillkürlich formten sich bei der steten Richtung                meiner Phantasie nach dem einen ganz unbestimmten Gegenstand schon damals gewisse                Figuren, gewisse Verhältnisse in meinen Gedanken. So ist es vielleicht, dacht' ich,                oder so kann es sein, und änderte die Gestaltungen meiner Träume. Aber nein, meinte                ich dann immer gleich darauf, es ist viel, viel schöner, so schön, daß ich jetzt gar                keine Vorstellung davon haben kann.</p><lb/>
        <p>Als der Oheim von seiner Reise zurückgekehrt war und ich ihn endlich zu sprechen                bekam, antwortete er auf meine schüchterne Frage nach dem Buch: Ach, das alte dumme                Buch! Ich habe die Bücher schon abgegeben.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] Gärten, Gold und Blumen, Sternenglanz und Lautenklang, was weiß ich Alles, durch meine Phantasie und bewegten sich darin, wie die bunten Figuren in einem Kaleidoskop. Es wurde Abend, und der Oheim kam nicht, ich mußte mit der Mutter nach Hause. Am andern Tage lief ich, sobald es thunlich war, wieder dorthin. Da gab's eine betrübende Nachricht für mich, der Oheim war verreis't, und die Tante wußte nicht, wann er wiederkehren würde. Ich mußte mich in Geduld fassen. Wochenlang blieb der Oheim fort. Während der Zeit war mein Denken und Sinnen der Stern der Schönheit. Wie mag es doch sein? dacht' ich, wenn ich Stunden lang in meinem Verlangen hingeträumt hatte. Die Prinzessin von Granada heißt es auch. Was mag doch Alles darin vorkommen? — Unwillkürlich formten sich bei der steten Richtung meiner Phantasie nach dem einen ganz unbestimmten Gegenstand schon damals gewisse Figuren, gewisse Verhältnisse in meinen Gedanken. So ist es vielleicht, dacht' ich, oder so kann es sein, und änderte die Gestaltungen meiner Träume. Aber nein, meinte ich dann immer gleich darauf, es ist viel, viel schöner, so schön, daß ich jetzt gar keine Vorstellung davon haben kann. Als der Oheim von seiner Reise zurückgekehrt war und ich ihn endlich zu sprechen bekam, antwortete er auf meine schüchterne Frage nach dem Buch: Ach, das alte dumme Buch! Ich habe die Bücher schon abgegeben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:44:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:44:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolf_schoenheit_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolf_schoenheit_1910/18
Zitationshilfe: Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolf_schoenheit_1910/18>, abgerufen am 29.03.2024.