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Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wiessenschaften. Bd. 3. Halle (Saale), 1710.

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Vorrede.
Geneigter Leser:

JHr könnet die unvergleichliche Ma-
jestät des grossen GOttes und die
Vortreflichkeit der menschlichen
Vernunfft nicht völliger und deut-
licher erkennen als durch die A-
stronomie. Die Menschen sehen die Erde
mit allzugrossen Augen an/ weil sie ihnen
nahe ist: hingegen das prächtige Welt-Ge-
bäude mit viel zu kleinen/ weil der gröste
Theil desselben in unaussprechlicher Weite
von ihnen entfernet. Daher bilden sie sich
die Welt als ein Gebäude ein/ daß in ihren
Gedancken nur groß erscheinet/ so lange sie
es durch ihre Gebäude ausmessen/ und Gott
ist ihnen ein grosser HErr/ in dem sie ihre
Unwissenheit und Ohnmacht zum Maaß-
Stabe des göttlichen Verstandes und der
göttlichen Macht annehmen. Allein die A-
stronomie zeiget durch die unerforschliche
Grösse des Welt-Gebäudes GOttes Macht
als unendlich und durch die Bau- und Be-
wegungs-Gesetze/ nach welchen der Schö-
pfer es aufgeführet und erhält/ erweiset sie
die Weißheit und den Verstand desselben
als unbegreiflich. Die Menschen setzen ih-
rer Vernunft gantz geringe Schrancken/

weil
Vorrede.
Geneigter Leſer:

JHr koͤnnet die unvergleichliche Ma-
jeſtaͤt des groſſen GOttes und die
Vortreflichkeit der menſchlichen
Vernunfft nicht voͤlliger und deut-
licher erkennen als durch die A-
ſtronomie. Die Menſchen ſehen die Erde
mit allzugroſſen Augen an/ weil ſie ihnen
nahe iſt: hingegen das praͤchtige Welt-Ge-
baͤude mit viel zu kleinen/ weil der groͤſte
Theil deſſelben in unausſprechlicher Weite
von ihnen entfernet. Daher bilden ſie ſich
die Welt als ein Gebaͤude ein/ daß in ihren
Gedancken nur groß erſcheinet/ ſo lange ſie
es durch ihre Gebaͤude ausmeſſen/ und Gott
iſt ihnen ein groſſer HErr/ in dem ſie ihre
Unwiſſenheit und Ohnmacht zum Maaß-
Stabe des goͤttlichen Verſtandes und der
goͤttlichen Macht annehmen. Allein die A-
ſtronomie zeiget durch die unerforſchliche
Groͤſſe des Welt-Gebaͤudes GOttes Macht
als unendlich und durch die Bau- und Be-
wegungs-Geſetze/ nach welchen der Schoͤ-
pfer es aufgefuͤhret und erhaͤlt/ erweiſet ſie
die Weißheit und den Verſtand deſſelben
als unbegreiflich. Die Menſchen ſetzen ih-
rer Vernunft gantz geringe Schrancken/

weil
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[[159]/0183] Vorrede. Geneigter Leſer: JHr koͤnnet die unvergleichliche Ma- jeſtaͤt des groſſen GOttes und die Vortreflichkeit der menſchlichen Vernunfft nicht voͤlliger und deut- licher erkennen als durch die A- ſtronomie. Die Menſchen ſehen die Erde mit allzugroſſen Augen an/ weil ſie ihnen nahe iſt: hingegen das praͤchtige Welt-Ge- baͤude mit viel zu kleinen/ weil der groͤſte Theil deſſelben in unausſprechlicher Weite von ihnen entfernet. Daher bilden ſie ſich die Welt als ein Gebaͤude ein/ daß in ihren Gedancken nur groß erſcheinet/ ſo lange ſie es durch ihre Gebaͤude ausmeſſen/ und Gott iſt ihnen ein groſſer HErr/ in dem ſie ihre Unwiſſenheit und Ohnmacht zum Maaß- Stabe des goͤttlichen Verſtandes und der goͤttlichen Macht annehmen. Allein die A- ſtronomie zeiget durch die unerforſchliche Groͤſſe des Welt-Gebaͤudes GOttes Macht als unendlich und durch die Bau- und Be- wegungs-Geſetze/ nach welchen der Schoͤ- pfer es aufgefuͤhret und erhaͤlt/ erweiſet ſie die Weißheit und den Verſtand deſſelben als unbegreiflich. Die Menſchen ſetzen ih- rer Vernunft gantz geringe Schrancken/ weil

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wiessenschaften. Bd. 3. Halle (Saale), 1710. , S. [159]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende03_1710/183>, abgerufen am 29.03.2024.