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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ich war ein gelehriger Schüler. -- Ich fand ihn ganz so wieder, wie ich ihn verlassen hatte; wollte ich Ihn dir beschreiben, so würdest du mein eigenes Bildniß zu schauen glauben, und doch hat eine etwaige Nachahmung sich durchaus unbewußt gebildet. In uns müssen gleiche Geisteskräfte liegen, dieselbe Befähigung zu Gutem und Bösem, denn sonst wäre eine ähnliche Uebereinstimmung undenkbar. Er besitzt gleichwohl größere Festigkeit; giebt sich auch, gleich mir, allen Gefühlen hin, aber schüttelt die Schwingen und hebt sich stolz und frei, gleich einem Adler, über das Treiben der Welt empor, wenn ich, in düstere Schwermuth versenkt, mich widerwillig davon abwende. Sein Jugendmuth ist noch derselbe, er riß mich in einen Strudel von Zerstreuungen mit sich fort; hin und wieder tauchte auch der Jugendübermuth in mir wieder auf, aber die Rückerinnerung konnte nicht mehr beleben wie früher, und ich wendete mich mit Abneigung davon weg. -- Die ernstesten Gegenstände kamen zwischen uns zur Sprache; das ist der Zauber, worin er mich ewig gefangen hält. Diese tiefen Einblicke in Welt und Leben, diese Geistesanmuth, welche auch den ernstesten Dingen Reiz und Annehmlichkeit verleiht, jene feine Ironie, jenes scharfe Erkennen und Eindringen, und daneben die Güte, die überraschende Güte, welche Vieles ausgleicht und das durch seine Geistesblitze betäubte Herz, den umnebelten Verstand wieder auf ebene, richtige Bahn leitet. Auch dein Name kam zwischen uns zur

ich war ein gelehriger Schüler. — Ich fand ihn ganz so wieder, wie ich ihn verlassen hatte; wollte ich Ihn dir beschreiben, so würdest du mein eigenes Bildniß zu schauen glauben, und doch hat eine etwaige Nachahmung sich durchaus unbewußt gebildet. In uns müssen gleiche Geisteskräfte liegen, dieselbe Befähigung zu Gutem und Bösem, denn sonst wäre eine ähnliche Uebereinstimmung undenkbar. Er besitzt gleichwohl größere Festigkeit; giebt sich auch, gleich mir, allen Gefühlen hin, aber schüttelt die Schwingen und hebt sich stolz und frei, gleich einem Adler, über das Treiben der Welt empor, wenn ich, in düstere Schwermuth versenkt, mich widerwillig davon abwende. Sein Jugendmuth ist noch derselbe, er riß mich in einen Strudel von Zerstreuungen mit sich fort; hin und wieder tauchte auch der Jugendübermuth in mir wieder auf, aber die Rückerinnerung konnte nicht mehr beleben wie früher, und ich wendete mich mit Abneigung davon weg. — Die ernstesten Gegenstände kamen zwischen uns zur Sprache; das ist der Zauber, worin er mich ewig gefangen hält. Diese tiefen Einblicke in Welt und Leben, diese Geistesanmuth, welche auch den ernstesten Dingen Reiz und Annehmlichkeit verleiht, jene feine Ironie, jenes scharfe Erkennen und Eindringen, und daneben die Güte, die überraschende Güte, welche Vieles ausgleicht und das durch seine Geistesblitze betäubte Herz, den umnebelten Verstand wieder auf ebene, richtige Bahn leitet. Auch dein Name kam zwischen uns zur

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[0048] ich war ein gelehriger Schüler. — Ich fand ihn ganz so wieder, wie ich ihn verlassen hatte; wollte ich Ihn dir beschreiben, so würdest du mein eigenes Bildniß zu schauen glauben, und doch hat eine etwaige Nachahmung sich durchaus unbewußt gebildet. In uns müssen gleiche Geisteskräfte liegen, dieselbe Befähigung zu Gutem und Bösem, denn sonst wäre eine ähnliche Uebereinstimmung undenkbar. Er besitzt gleichwohl größere Festigkeit; giebt sich auch, gleich mir, allen Gefühlen hin, aber schüttelt die Schwingen und hebt sich stolz und frei, gleich einem Adler, über das Treiben der Welt empor, wenn ich, in düstere Schwermuth versenkt, mich widerwillig davon abwende. Sein Jugendmuth ist noch derselbe, er riß mich in einen Strudel von Zerstreuungen mit sich fort; hin und wieder tauchte auch der Jugendübermuth in mir wieder auf, aber die Rückerinnerung konnte nicht mehr beleben wie früher, und ich wendete mich mit Abneigung davon weg. — Die ernstesten Gegenstände kamen zwischen uns zur Sprache; das ist der Zauber, worin er mich ewig gefangen hält. Diese tiefen Einblicke in Welt und Leben, diese Geistesanmuth, welche auch den ernstesten Dingen Reiz und Annehmlichkeit verleiht, jene feine Ironie, jenes scharfe Erkennen und Eindringen, und daneben die Güte, die überraschende Güte, welche Vieles ausgleicht und das durch seine Geistesblitze betäubte Herz, den umnebelten Verstand wieder auf ebene, richtige Bahn leitet. Auch dein Name kam zwischen uns zur

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/48>, abgerufen am 19.04.2024.