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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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I. Th. 5. H. Von den Pflichten
gen, dem
Tadeln.
ten, mit dem Vorsatz ihn zu beschimpfen (ani-
mo ignominia afficiendi),
vorwerffen und
verweisen. Der Tadel (vituperium) ist ei-
ne Rede, wodurch wir andern den Mangel
einer Vollkommenheit schuld geben. Es er-
hellet leicht, daß man niemand verach-
ten soll, und daß alle Beschimpfungen
und Lästerungen, auch alles Tadeln
ein Schimpf,
folglich natürlich uner-
laubt sey
(§. 143.).

§. 147.
Welchem
Recht die
üblen Ur-
theile
von an-
dern zu-
wieder
sind.

Weil, nach der natürlichen Freyheit, man
einem jeden erlauben muß, daß er in der Be-
stimmung seiner Handlungen seinem Urtheile
folge, und er nicht schuldig ist, jemand anders
Rechenschafft von denselben zu geben, so lan-
ge er nicht thut, was dem Rechte des andern
zuwieder ist (§. 78.); so sind die übeln Ur-
theile von anderer Handlungen, man
mag sie durch Worte, oder Wercke zu
erkennen geben, so lange nichts, was
unserm Recht zuwieder ist, geschieht,
der natürlichen Freyheit zuwieder;

folglich schließt die natürliche Freyheit
das Recht in sich, andere dazu anzu-
halten, daß sie nicht übel von uns re-
den, das Urtheil mag wahr, oder falsch
seyn.

§. 148.
Von dem
Verlust
seines
ehrlichen
Namens.

Der Verlust des ehrlichen Nahmens
(infamia) ist die allgemeine Meinung der
Menschen von eines andern Lastern, die wir

oben

I. Th. 5. H. Von den Pflichten
gen, dem
Tadeln.
ten, mit dem Vorſatz ihn zu beſchimpfen (ani-
mo ignominia afficiendi),
vorwerffen und
verweiſen. Der Tadel (vituperium) iſt ei-
ne Rede, wodurch wir andern den Mangel
einer Vollkommenheit ſchuld geben. Es er-
hellet leicht, daß man niemand verach-
ten ſoll, und daß alle Beſchimpfungen
und Laͤſterungen, auch alles Tadeln
ein Schimpf,
folglich natuͤrlich uner-
laubt ſey
(§. 143.).

§. 147.
Welchem
Recht die
uͤblen Ur-
theile
von an-
dern zu-
wieder
ſind.

Weil, nach der natuͤrlichen Freyheit, man
einem jeden erlauben muß, daß er in der Be-
ſtimmung ſeiner Handlungen ſeinem Urtheile
folge, und er nicht ſchuldig iſt, jemand anders
Rechenſchafft von denſelben zu geben, ſo lan-
ge er nicht thut, was dem Rechte des andern
zuwieder iſt (§. 78.); ſo ſind die uͤbeln Ur-
theile von anderer Handlungen, man
mag ſie durch Worte, oder Wercke zu
erkennen geben, ſo lange nichts, was
unſerm Recht zuwieder iſt, geſchieht,
der natuͤrlichen Freyheit zuwieder;

folglich ſchließt die natuͤrliche Freyheit
das Recht in ſich, andere dazu anzu-
halten, daß ſie nicht uͤbel von uns re-
den, das Urtheil mag wahr, oder falſch
ſeyn.

§. 148.
Von dem
Verluſt
ſeines
ehrlichen
Namens.

Der Verluſt des ehrlichen Nahmens
(infamia) iſt die allgemeine Meinung der
Menſchen von eines andern Laſtern, die wir

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[94/0130] I. Th. 5. H. Von den Pflichten ten, mit dem Vorſatz ihn zu beſchimpfen (ani- mo ignominia afficiendi), vorwerffen und verweiſen. Der Tadel (vituperium) iſt ei- ne Rede, wodurch wir andern den Mangel einer Vollkommenheit ſchuld geben. Es er- hellet leicht, daß man niemand verach- ten ſoll, und daß alle Beſchimpfungen und Laͤſterungen, auch alles Tadeln ein Schimpf, folglich natuͤrlich uner- laubt ſey (§. 143.). gen, dem Tadeln. §. 147. Weil, nach der natuͤrlichen Freyheit, man einem jeden erlauben muß, daß er in der Be- ſtimmung ſeiner Handlungen ſeinem Urtheile folge, und er nicht ſchuldig iſt, jemand anders Rechenſchafft von denſelben zu geben, ſo lan- ge er nicht thut, was dem Rechte des andern zuwieder iſt (§. 78.); ſo ſind die uͤbeln Ur- theile von anderer Handlungen, man mag ſie durch Worte, oder Wercke zu erkennen geben, ſo lange nichts, was unſerm Recht zuwieder iſt, geſchieht, der natuͤrlichen Freyheit zuwieder; folglich ſchließt die natuͤrliche Freyheit das Recht in ſich, andere dazu anzu- halten, daß ſie nicht uͤbel von uns re- den, das Urtheil mag wahr, oder falſch ſeyn. §. 148. Der Verluſt des ehrlichen Nahmens (infamia) iſt die allgemeine Meinung der Menſchen von eines andern Laſtern, die wir oben

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/130>, abgerufen am 29.03.2024.