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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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II. Th. 6. H. Von der Eröfnung
Das sechste Hauptstück.

Von der Eröfnung seiner Ge-
dancken gegen andere.

§. 346.
Von dem
gemeinen
Gebrauch
zu reden.

Wir eröfnen andern unsere Gedancken
entweder durch Worte, oder durch
andere gleichgültige Zeichen, oder
durch Thaten, d. i. durch äussere Handlung.
Wer also von andern verstanden wer-
den will, der muß die Worte in dem
Verstande gebrauchen, wie es die Ge-
wohnheit zu reden mit sich bringet;

folglich wer dazu verbunden ist einem
andern seine Meinung zu sagen, der
muß die Wörter in der Bedeutung
nehmen, welche mit der Gewohnheit
zu reden übereinkommt.

§. 347.
Von der
morali-
schen
Wahr-
heit und
dem
Wahr-
reden.

Die Uebereinstimmung der Worte mit un-
sern Gedancken nennt man die moralische
Wahrheit
(veritatem moralem), und der
redet moralisch wahr,
der dasjenige
denckt, was er sagt, daß er es dencke. Eine
moralisch wahre Rede aber wird Wahrre-
den
genannt (veriloqvium). Sie ist also
von der logischen Wahrheit unterschie-
den, welche in der Uebereinstimmung unserer
Gedancken mit der Sache, die wir gedencken,
besteht, so daß das logicalisch wahr ist,
wenn wir dencken, daß etwas sey, oder nicht
sey, dasselbige auch in der That ist, oder nicht

ist.
II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
Das ſechſte Hauptſtuͤck.

Von der Eroͤfnung ſeiner Ge-
dancken gegen andere.

§. 346.
Von dem
gemeinen
Gebꝛauch
zu reden.

Wir eroͤfnen andern unſere Gedancken
entweder durch Worte, oder durch
andere gleichguͤltige Zeichen, oder
durch Thaten, d. i. durch aͤuſſere Handlung.
Wer alſo von andern verſtanden wer-
den will, der muß die Worte in dem
Verſtande gebrauchen, wie es die Ge-
wohnheit zu reden mit ſich bringet;

folglich wer dazu verbunden iſt einem
andern ſeine Meinung zu ſagen, der
muß die Woͤrter in der Bedeutung
nehmen, welche mit der Gewohnheit
zu reden uͤbereinkommt.

§. 347.
Von der
morali-
ſchen
Wahr-
heit und
dem
Wahr-
reden.

Die Uebereinſtimmung der Worte mit un-
ſern Gedancken nennt man die moraliſche
Wahrheit
(veritatem moralem), und der
redet moraliſch wahr,
der dasjenige
denckt, was er ſagt, daß er es dencke. Eine
moraliſch wahre Rede aber wird Wahrre-
den
genannt (veriloqvium). Sie iſt alſo
von der logiſchen Wahrheit unterſchie-
den, welche in der Uebereinſtimmung unſerer
Gedancken mit der Sache, die wir gedencken,
beſteht, ſo daß das logicaliſch wahr iſt,
wenn wir dencken, daß etwas ſey, oder nicht
ſey, daſſelbige auch in der That iſt, oder nicht

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[212/0248] II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung Das ſechſte Hauptſtuͤck. Von der Eroͤfnung ſeiner Ge- dancken gegen andere. §. 346. Wir eroͤfnen andern unſere Gedancken entweder durch Worte, oder durch andere gleichguͤltige Zeichen, oder durch Thaten, d. i. durch aͤuſſere Handlung. Wer alſo von andern verſtanden wer- den will, der muß die Worte in dem Verſtande gebrauchen, wie es die Ge- wohnheit zu reden mit ſich bringet; folglich wer dazu verbunden iſt einem andern ſeine Meinung zu ſagen, der muß die Woͤrter in der Bedeutung nehmen, welche mit der Gewohnheit zu reden uͤbereinkommt. §. 347. Die Uebereinſtimmung der Worte mit un- ſern Gedancken nennt man die moraliſche Wahrheit (veritatem moralem), und der redet moraliſch wahr, der dasjenige denckt, was er ſagt, daß er es dencke. Eine moraliſch wahre Rede aber wird Wahrre- den genannt (veriloqvium). Sie iſt alſo von der logiſchen Wahrheit unterſchie- den, welche in der Uebereinſtimmung unſerer Gedancken mit der Sache, die wir gedencken, beſteht, ſo daß das logicaliſch wahr iſt, wenn wir dencken, daß etwas ſey, oder nicht ſey, daſſelbige auch in der That iſt, oder nicht iſt.

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/248>, abgerufen am 19.04.2024.