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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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II. Th. 8. H. Von der Ersitzung
werde, bis das Gegentheil bewiesen ist, oder
schlechterdinges vor wahr gehalten werde;
dergleichen die Vermuthung der Wahrheit
desjenigen ist, was der sagt, welcher in den
Versprechungen die Wahrheit zu sagen ver-
bunden ist (§. 449.).

§. 454.
Von der
Einthei-
lung des
Tituls.

Ein rechmäßiger Titul (titulus justus)
ist derjenige, wodurch ein Recht zu erlangen
bloß möglich ist, zum Exempel das Eigen-
thum: nicht aber würcklich erlangt wird, als
wenn jemand eine Sache kauft; weil er sie
auch von einem der nicht der Eigenthumsherr
ist, hätte kaufen können. Daher sagt man,
es habe einer einen rechtmäßigen Titul
(titulum justum habere), wenn der Be-
sitzer den Besitz durch eine solche Handlung
erhalten hat, durch welche, nach der Bestim-
mung des Gesetzes, das Eigenthum von einem
Eigenthumsherrn auf einen andern gebracht
werden kann. Wenn diese Handlung ihre
Richtigkeit hat; heisset es ein wahrer Titul
(titulus verus). Wenn jemand glaubt, die
Handlung habe ihre Richtigkeit, da es doch
nicht ist, als wenn einer glaubt, eine Sache
sey ihm geschenckt, da es doch nicht so ist; so
heißt es ein vermeinter Titul (titulus pu-
tativus).
Wenn aber die Handlung zwar ih-
re Richtigkeit hat, einer irret sich aber darin-
nen, daß er vermeint, es könne durch eine
solche Handlung ein dergleichen Recht erhal-
ten werden, als zum Exempel, durch das Fin-

den

II. Th. 8. H. Von der Erſitzung
werde, bis das Gegentheil bewieſen iſt, oder
ſchlechterdinges vor wahr gehalten werde;
dergleichen die Vermuthung der Wahrheit
desjenigen iſt, was der ſagt, welcher in den
Verſprechungen die Wahrheit zu ſagen ver-
bunden iſt (§. 449.).

§. 454.
Von der
Einthei-
lung des
Tituls.

Ein rechmaͤßiger Titul (titulus juſtus)
iſt derjenige, wodurch ein Recht zu erlangen
bloß moͤglich iſt, zum Exempel das Eigen-
thum: nicht aber wuͤrcklich erlangt wird, als
wenn jemand eine Sache kauft; weil er ſie
auch von einem der nicht der Eigenthumsherr
iſt, haͤtte kaufen koͤnnen. Daher ſagt man,
es habe einer einen rechtmaͤßigen Titul
(titulum juſtum habere), wenn der Be-
ſitzer den Beſitz durch eine ſolche Handlung
erhalten hat, durch welche, nach der Beſtim-
mung des Geſetzes, das Eigenthum von einem
Eigenthumsherrn auf einen andern gebracht
werden kann. Wenn dieſe Handlung ihre
Richtigkeit hat; heiſſet es ein wahrer Titul
(titulus verus). Wenn jemand glaubt, die
Handlung habe ihre Richtigkeit, da es doch
nicht iſt, als wenn einer glaubt, eine Sache
ſey ihm geſchenckt, da es doch nicht ſo iſt; ſo
heißt es ein vermeinter Titul (titulus pu-
tativus).
Wenn aber die Handlung zwar ih-
re Richtigkeit hat, einer irret ſich aber darin-
nen, daß er vermeint, es koͤnne durch eine
ſolche Handlung ein dergleichen Recht erhal-
ten werden, als zum Exempel, durch das Fin-

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[284/0320] II. Th. 8. H. Von der Erſitzung werde, bis das Gegentheil bewieſen iſt, oder ſchlechterdinges vor wahr gehalten werde; dergleichen die Vermuthung der Wahrheit desjenigen iſt, was der ſagt, welcher in den Verſprechungen die Wahrheit zu ſagen ver- bunden iſt (§. 449.). §. 454. Ein rechmaͤßiger Titul (titulus juſtus) iſt derjenige, wodurch ein Recht zu erlangen bloß moͤglich iſt, zum Exempel das Eigen- thum: nicht aber wuͤrcklich erlangt wird, als wenn jemand eine Sache kauft; weil er ſie auch von einem der nicht der Eigenthumsherr iſt, haͤtte kaufen koͤnnen. Daher ſagt man, es habe einer einen rechtmaͤßigen Titul (titulum juſtum habere), wenn der Be- ſitzer den Beſitz durch eine ſolche Handlung erhalten hat, durch welche, nach der Beſtim- mung des Geſetzes, das Eigenthum von einem Eigenthumsherrn auf einen andern gebracht werden kann. Wenn dieſe Handlung ihre Richtigkeit hat; heiſſet es ein wahrer Titul (titulus verus). Wenn jemand glaubt, die Handlung habe ihre Richtigkeit, da es doch nicht iſt, als wenn einer glaubt, eine Sache ſey ihm geſchenckt, da es doch nicht ſo iſt; ſo heißt es ein vermeinter Titul (titulus pu- tativus). Wenn aber die Handlung zwar ih- re Richtigkeit hat, einer irret ſich aber darin- nen, daß er vermeint, es koͤnne durch eine ſolche Handlung ein dergleichen Recht erhal- ten werden, als zum Exempel, durch das Fin- den

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/320>, abgerufen am 28.03.2024.