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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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III. Theil 1. Abth. 5. Hauptstück.
Eltern
vor ein
Recht
sey.
einem Vertrage herkommt (§. 921. 922.);
so besteht dasselbe nicht allein als eine
Pflicht (§. 57.), sondern auch als ein
aus einem Vertrage erlangtes Recht
(§. 909. 687.), welches einem nicht ge-
nommen werden kann
(§. 100.). Hiezu
kommt, daß die väterliche Gesellschaft, welche
sich im Anfange auf die vermuthete Einwilli-
gung der Kinder gründete (§. 909.), wenn
sie zu reiferm Alter kommen, durch ihre still-
schweigende Einwilligung befestiget wird; und
also was gleichsam ein Vertrag war, nun ein
würcklicher Vertrag wird. Diese stillschwei-
gende Einwilligung erstreckt sich auch auf die
Familie der Voreltern (§. 877. 881.), und
muß wenigstens nach dem Rechte der Natur
darauf gezogen werden.

§. 925.
Vom
Verstos-
sen der
Kinder.

Man sagt, die Kinder werden ver-
stossen
(liberos abdicare), wenn die Eltern
sich hinlänglich erklären, daß sie sie vor ihre
Kinder nicht erkennen wollen. Wenn die
Kinder mit Wissen und Willen bege-
hen, was ihren Pflichten gegen die
Eltern, sonderlich der kindlichen Ehr-
furcht gäntzlich zuwider ist; oder sich
von ihrem schändlichen Leben gar
nicht wollen abwendig machen lassen;
so ist es,
weil sie von dem würcklichen, oder
gleichsam gemachten Vertrage, worauf die
väterliche Gesellschaft beruhet (§. 909. 924.),
abgehen (§. 442.), nach dem Gesetze der

Natur

III. Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck.
Eltern
vor ein
Recht
ſey.
einem Vertrage herkommt (§. 921. 922.);
ſo beſteht daſſelbe nicht allein als eine
Pflicht (§. 57.), ſondern auch als ein
aus einem Vertrage erlangtes Recht
(§. 909. 687.), welches einem nicht ge-
nommen werden kann
(§. 100.). Hiezu
kommt, daß die vaͤterliche Geſellſchaft, welche
ſich im Anfange auf die vermuthete Einwilli-
gung der Kinder gruͤndete (§. 909.), wenn
ſie zu reiferm Alter kommen, durch ihre ſtill-
ſchweigende Einwilligung befeſtiget wird; und
alſo was gleichſam ein Vertrag war, nun ein
wuͤrcklicher Vertrag wird. Dieſe ſtillſchwei-
gende Einwilligung erſtreckt ſich auch auf die
Familie der Voreltern (§. 877. 881.), und
muß wenigſtens nach dem Rechte der Natur
darauf gezogen werden.

§. 925.
Vom
Verſtoſ-
ſen der
Kinder.

Man ſagt, die Kinder werden ver-
ſtoſſen
(liberos abdicare), wenn die Eltern
ſich hinlaͤnglich erklaͤren, daß ſie ſie vor ihre
Kinder nicht erkennen wollen. Wenn die
Kinder mit Wiſſen und Willen bege-
hen, was ihren Pflichten gegen die
Eltern, ſonderlich der kindlichen Ehr-
furcht gaͤntzlich zuwider iſt; oder ſich
von ihrem ſchaͤndlichen Leben gar
nicht wollen abwendig machen laſſen;
ſo iſt es,
weil ſie von dem wuͤrcklichen, oder
gleichſam gemachten Vertrage, worauf die
vaͤterliche Geſellſchaft beruhet (§. 909. 924.),
abgehen (§. 442.), nach dem Geſetze der

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[670/0706] III. Theil 1. Abth. 5. Hauptſtuͤck. einem Vertrage herkommt (§. 921. 922.); ſo beſteht daſſelbe nicht allein als eine Pflicht (§. 57.), ſondern auch als ein aus einem Vertrage erlangtes Recht (§. 909. 687.), welches einem nicht ge- nommen werden kann (§. 100.). Hiezu kommt, daß die vaͤterliche Geſellſchaft, welche ſich im Anfange auf die vermuthete Einwilli- gung der Kinder gruͤndete (§. 909.), wenn ſie zu reiferm Alter kommen, durch ihre ſtill- ſchweigende Einwilligung befeſtiget wird; und alſo was gleichſam ein Vertrag war, nun ein wuͤrcklicher Vertrag wird. Dieſe ſtillſchwei- gende Einwilligung erſtreckt ſich auch auf die Familie der Voreltern (§. 877. 881.), und muß wenigſtens nach dem Rechte der Natur darauf gezogen werden. Eltern vor ein Recht ſey. §. 925. Man ſagt, die Kinder werden ver- ſtoſſen (liberos abdicare), wenn die Eltern ſich hinlaͤnglich erklaͤren, daß ſie ſie vor ihre Kinder nicht erkennen wollen. Wenn die Kinder mit Wiſſen und Willen bege- hen, was ihren Pflichten gegen die Eltern, ſonderlich der kindlichen Ehr- furcht gaͤntzlich zuwider iſt; oder ſich von ihrem ſchaͤndlichen Leben gar nicht wollen abwendig machen laſſen; ſo iſt es, weil ſie von dem wuͤrcklichen, oder gleichſam gemachten Vertrage, worauf die vaͤterliche Geſellſchaft beruhet (§. 909. 924.), abgehen (§. 442.), nach dem Geſetze der Natur

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/706>, abgerufen am 29.03.2024.