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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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und dem allgem. Recht der Menschen.
schlägt; so muß es derjenige, der ihn
begehrt, damit zufrieden seyn, und
der andere kann von ihm nicht ge-
zwungen werden, daß er ihn leisten
muß.
Aber dem ohngeachtet, sündiget
der, welcher ihn ohne Recht abschlägt

(§. 58.).

§. 80.

Und daher erhellet, in welchem VerstandeVon der
vollkom-
menen u.
unvoll-
komme-
nen Ver-
bindlich-
keit, von
dem voll-
komme-
nen und
unvoll-
komme-
nen Rech-
te.

die Verbindlichkeit zu den Liebes-Diensten
unvollkommen genannt wird, und in welcher Ab-
sicht dieselben unvollkommen schuldige Pflich-
ten genannt werden; sie werden nämlich nicht
so genannt, als ob die natürliche Verbindlich-
keit unvolkommen wäre, so daß etwas unse-
rer Freyheit überlassen wäre, ob wir derselben
ein Genüge leisten wolten, oder nicht, als
welches der natürlichen Freyheit wiederspre-
chen würde (§. 77.), sondern weil derjeni-
ge, der um dieselben bittet den andern nicht
zwingen kann, daß er sie leiste (§. 79.). Da-
her heist die Verbindlichkeit eine unvoll-
kommene Verbindlichkeit
(obligatio im-
perfecta),
zu deren Erfüllung niemand gezwun-
gen worden kann; so wie im Gegentheil dieje-
nige eine vollkommene (perfecta) genannt
wird, zu deren Erfüllung der andere gezwun-
gen werden kann. Und deswegen heist fer-
ner ein vollkommenes Recht (jus perfe-
ctum)
dasjenige, welches mit dem Recht
verbunden ist, den andern zu zwingen, daß
er der Verbindlichkeit ein Genüge leiste, wenn

er
Nat. u. Völckerrecht. D

und dem allgem. Recht der Menſchen.
ſchlaͤgt; ſo muß es derjenige, der ihn
begehrt, damit zufrieden ſeyn, und
der andere kann von ihm nicht ge-
zwungen werden, daß er ihn leiſten
muß.
Aber dem ohngeachtet, ſuͤndiget
der, welcher ihn ohne Recht abſchlaͤgt

(§. 58.).

§. 80.

Und daher erhellet, in welchem VerſtandeVon der
vollkom-
menen u.
unvoll-
komme-
nen Ver-
bindlich-
keit, von
dem voll-
komme-
nen und
unvoll-
komme-
nen Rech-
te.

die Verbindlichkeit zu den Liebes-Dienſten
unvollkommen genannt wird, und in welcher Ab-
ſicht dieſelben unvollkommen ſchuldige Pflich-
ten genannt werden; ſie werden naͤmlich nicht
ſo genannt, als ob die natuͤrliche Verbindlich-
keit unvolkommen waͤre, ſo daß etwas unſe-
rer Freyheit uͤberlaſſen waͤre, ob wir derſelben
ein Genuͤge leiſten wolten, oder nicht, als
welches der natuͤrlichen Freyheit wiederſpre-
chen wuͤrde (§. 77.), ſondern weil derjeni-
ge, der um dieſelben bittet den andern nicht
zwingen kann, daß er ſie leiſte (§. 79.). Da-
her heiſt die Verbindlichkeit eine unvoll-
kommene Verbindlichkeit
(obligatio im-
perfecta),
zu deren Erfuͤllung niemand gezwun-
gen worden kann; ſo wie im Gegentheil dieje-
nige eine vollkommene (perfecta) genannt
wird, zu deren Erfuͤllung der andere gezwun-
gen werden kann. Und deswegen heiſt fer-
ner ein vollkommenes Recht (jus perfe-
ctum)
dasjenige, welches mit dem Recht
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er
Nat. u. Voͤlckerrecht. D
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[49/0085] und dem allgem. Recht der Menſchen. ſchlaͤgt; ſo muß es derjenige, der ihn begehrt, damit zufrieden ſeyn, und der andere kann von ihm nicht ge- zwungen werden, daß er ihn leiſten muß. Aber dem ohngeachtet, ſuͤndiget der, welcher ihn ohne Recht abſchlaͤgt (§. 58.). §. 80. Und daher erhellet, in welchem Verſtande die Verbindlichkeit zu den Liebes-Dienſten unvollkommen genannt wird, und in welcher Ab- ſicht dieſelben unvollkommen ſchuldige Pflich- ten genannt werden; ſie werden naͤmlich nicht ſo genannt, als ob die natuͤrliche Verbindlich- keit unvolkommen waͤre, ſo daß etwas unſe- rer Freyheit uͤberlaſſen waͤre, ob wir derſelben ein Genuͤge leiſten wolten, oder nicht, als welches der natuͤrlichen Freyheit wiederſpre- chen wuͤrde (§. 77.), ſondern weil derjeni- ge, der um dieſelben bittet den andern nicht zwingen kann, daß er ſie leiſte (§. 79.). Da- her heiſt die Verbindlichkeit eine unvoll- kommene Verbindlichkeit (obligatio im- perfecta), zu deren Erfuͤllung niemand gezwun- gen worden kann; ſo wie im Gegentheil dieje- nige eine vollkommene (perfecta) genannt wird, zu deren Erfuͤllung der andere gezwun- gen werden kann. Und deswegen heiſt fer- ner ein vollkommenes Recht (jus perfe- ctum) dasjenige, welches mit dem Recht verbunden iſt, den andern zu zwingen, daß er der Verbindlichkeit ein Genuͤge leiſte, wenn er Von der vollkom- menen u. unvoll- komme- nen Ver- bindlich- keit, von dem voll- komme- nen und unvoll- komme- nen Rech- te. Nat. u. Voͤlckerrecht. D

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/85>, abgerufen am 28.03.2024.