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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
er bestimmt wird, natürlich sind, oder nach
dem Gesetz der Natur ihm zukommen; und
derowegen werden die Menschen im na-
türlichen Zustande allein durch das
Recht der Natur regiert.

§. 97.
Von der
Art sich
einen an-
dern
vollkom-
men ver-
bindlich
zu ma-
chen, und
ein voll-
komme-
nes Recht
zu erwer-
ben.

Weil aber der Mensch, wenn er seiner Ver-
bindlichkeit ein Genüge leisten will, sehr oft
anderer Hülfe nöthig hat; weil es ihm aber
auch daran gelegen ist, daß er von derselben
Hülfe gewiß sey; so hat er auch ein Recht zu
denjenigen Handlungen, ohne welche er seiner
natürlichen Verbindlichkeit kein Genüge lei-
sten kann (§. 46.); und also hat er das
Recht, sich andere zu gewissen Hand-
lungen, oder Dienstleistungen verbind-
lich zu machen.
Auf diese Weise erlangt er
ein vollkommenes Recht zu denselben,
so
daß, da er vorher erdulden muste, daß sie ab-
geschlagen worden, er nun dieselben erzwin-
gen, oder den andern dazu nöthigen kann (§.
79, 80.), und solchergestalt das, was vor-
her willkührlich war, nun nothwen-
dig ist, und er durch die Unterlassung
beleidiget wird, und ihm Unrecht ge-
schieht
(§. 88.).

§. 98.
Vom
Recht zu
kriegen.

Das Streiten mit Gewalt (certa-
tio per vim)
nennt man die Gewaltsame
Behauptung seines Rechtes, dadurch man ent-
weder eine zuzufügende Beleidigung, oder ein
Unrecht abwenden; oder diejenigen, die uns

belei-

I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
er beſtimmt wird, natuͤrlich ſind, oder nach
dem Geſetz der Natur ihm zukommen; und
derowegen werden die Menſchen im na-
tuͤrlichen Zuſtande allein durch das
Recht der Natur regiert.

§. 97.
Von der
Art ſich
einen an-
dern
vollkom-
men ver-
bindlich
zu ma-
chen, und
ein voll-
komme-
nes Recht
zu erwer-
ben.

Weil aber der Menſch, wenn er ſeiner Ver-
bindlichkeit ein Genuͤge leiſten will, ſehr oft
anderer Huͤlfe noͤthig hat; weil es ihm aber
auch daran gelegen iſt, daß er von derſelben
Huͤlfe gewiß ſey; ſo hat er auch ein Recht zu
denjenigen Handlungen, ohne welche er ſeiner
natuͤrlichen Verbindlichkeit kein Genuͤge lei-
ſten kann (§. 46.); und alſo hat er das
Recht, ſich andere zu gewiſſen Hand-
lungen, oder Dienſtleiſtungen verbind-
lich zu machen.
Auf dieſe Weiſe erlangt er
ein vollkommenes Recht zu denſelben,
ſo
daß, da er vorher erdulden muſte, daß ſie ab-
geſchlagen worden, er nun dieſelben erzwin-
gen, oder den andern dazu noͤthigen kann (§.
79, 80.), und ſolchergeſtalt das, was vor-
her willkuͤhrlich war, nun nothwen-
dig iſt, und er durch die Unterlaſſung
beleidiget wird, und ihm Unrecht ge-
ſchieht
(§. 88.).

§. 98.
Vom
Recht zu
kriegen.

Das Streiten mit Gewalt (certa-
tio per vim)
nennt man die Gewaltſame
Behauptung ſeines Rechtes, dadurch man ent-
weder eine zuzufuͤgende Beleidigung, oder ein
Unrecht abwenden; oder diejenigen, die uns

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[60/0096] I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. er beſtimmt wird, natuͤrlich ſind, oder nach dem Geſetz der Natur ihm zukommen; und derowegen werden die Menſchen im na- tuͤrlichen Zuſtande allein durch das Recht der Natur regiert. §. 97. Weil aber der Menſch, wenn er ſeiner Ver- bindlichkeit ein Genuͤge leiſten will, ſehr oft anderer Huͤlfe noͤthig hat; weil es ihm aber auch daran gelegen iſt, daß er von derſelben Huͤlfe gewiß ſey; ſo hat er auch ein Recht zu denjenigen Handlungen, ohne welche er ſeiner natuͤrlichen Verbindlichkeit kein Genuͤge lei- ſten kann (§. 46.); und alſo hat er das Recht, ſich andere zu gewiſſen Hand- lungen, oder Dienſtleiſtungen verbind- lich zu machen. Auf dieſe Weiſe erlangt er ein vollkommenes Recht zu denſelben, ſo daß, da er vorher erdulden muſte, daß ſie ab- geſchlagen worden, er nun dieſelben erzwin- gen, oder den andern dazu noͤthigen kann (§. 79, 80.), und ſolchergeſtalt das, was vor- her willkuͤhrlich war, nun nothwen- dig iſt, und er durch die Unterlaſſung beleidiget wird, und ihm Unrecht ge- ſchieht (§. 88.). §. 98. Das Streiten mit Gewalt (certa- tio per vim) nennt man die Gewaltſame Behauptung ſeines Rechtes, dadurch man ent- weder eine zuzufuͤgende Beleidigung, oder ein Unrecht abwenden; oder diejenigen, die uns belei-

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/96>, abgerufen am 25.04.2024.