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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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I. Th. 4. H. Von den Pflichten
ist nicht weniger schuldig, seine Un-
vollkommenheit, als seine Vollkom-
menheit zu erkennen;
weil er sonst seiner
Verbindlichkeit kein Genüge leisten kann (§.
43.). Weil aber selbst durch die Natur des
Menschen, aus der Empfindung der Voll-
kommenheit das Vergnügen entstehet; so ist
das Vergnügen, welches aus seiner
und seines Zustandes Vollkommenheit
entstehet, nicht unerlaubt
(§. 49. 37.).

§. 130.
Von den
Pflichten
des Men-
schen in
Absicht
auf das
Glück.

Das Glück (fortuna) ist der Jnbegriff
aller Ursachen, die zusammenkommen, und
eine vor uns gute oder schlimme Würckung
hervorbringen, die man nicht voraus sehen
können. Es ist also das Glück entweder das
gute Glück
(secunda), oder das wiedri-
ge
(adversa). Jenes nennen wir im Deut-
schen schlechterdinges das Glück, dieses aber
das Unglück. Da wir nun das Glück nicht in
unserer Gewalt haben (§. 60.), und die Er-
fahrung uns lehret, daß es sehr veränderlich
ist; so müssen wir dem Glück, wenn
es uns günstig ist, nicht zu viel trauen,
und im Unglücke nicht am besseren
Glücke zweifeln;
folgends sind wir ver-
bunden das Unglück mit gelaßnem
Gemüth zu ertragen;
damit wir nicht
durch unsere Schuld unglückseelig werden (§.
118. 17.). Damit also nicht die wiedrigen
Zufälle, die uns wieder Vermuthen begegnen,
das Gemüthe beunruhigen; so müssen wir

die

I. Th. 4. H. Von den Pflichten
iſt nicht weniger ſchuldig, ſeine Un-
vollkommenheit, als ſeine Vollkom-
menheit zu erkennen;
weil er ſonſt ſeiner
Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſten kann (§.
43.). Weil aber ſelbſt durch die Natur des
Menſchen, aus der Empfindung der Voll-
kommenheit das Vergnuͤgen entſtehet; ſo iſt
das Vergnuͤgen, welches aus ſeiner
und ſeines Zuſtandes Vollkommenheit
entſtehet, nicht unerlaubt
(§. 49. 37.).

§. 130.
Von den
Pflichten
des Men-
ſchen in
Abſicht
auf das
Gluͤck.

Das Gluͤck (fortuna) iſt der Jnbegriff
aller Urſachen, die zuſammenkommen, und
eine vor uns gute oder ſchlimme Wuͤrckung
hervorbringen, die man nicht voraus ſehen
koͤnnen. Es iſt alſo das Gluͤck entweder das
gute Gluͤck
(ſecunda), oder das wiedri-
ge
(adverſa). Jenes nennen wir im Deut-
ſchen ſchlechterdinges das Gluͤck, dieſes aber
das Ungluͤck. Da wir nun das Gluͤck nicht in
unſerer Gewalt haben (§. 60.), und die Er-
fahrung uns lehret, daß es ſehr veraͤnderlich
iſt; ſo muͤſſen wir dem Gluͤck, wenn
es uns guͤnſtig iſt, nicht zu viel trauen,
und im Ungluͤcke nicht am beſſeren
Gluͤcke zweifeln;
folgends ſind wir ver-
bunden das Ungluͤck mit gelaßnem
Gemuͤth zu ertragen;
damit wir nicht
durch unſere Schuld ungluͤckſeelig werden (§.
118. 17.). Damit alſo nicht die wiedrigen
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das Gemuͤthe beunruhigen; ſo muͤſſen wir

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[84/0120] I. Th. 4. H. Von den Pflichten iſt nicht weniger ſchuldig, ſeine Un- vollkommenheit, als ſeine Vollkom- menheit zu erkennen; weil er ſonſt ſeiner Verbindlichkeit kein Genuͤge leiſten kann (§. 43.). Weil aber ſelbſt durch die Natur des Menſchen, aus der Empfindung der Voll- kommenheit das Vergnuͤgen entſtehet; ſo iſt das Vergnuͤgen, welches aus ſeiner und ſeines Zuſtandes Vollkommenheit entſtehet, nicht unerlaubt (§. 49. 37.). §. 130. Das Gluͤck (fortuna) iſt der Jnbegriff aller Urſachen, die zuſammenkommen, und eine vor uns gute oder ſchlimme Wuͤrckung hervorbringen, die man nicht voraus ſehen koͤnnen. Es iſt alſo das Gluͤck entweder das gute Gluͤck (ſecunda), oder das wiedri- ge (adverſa). Jenes nennen wir im Deut- ſchen ſchlechterdinges das Gluͤck, dieſes aber das Ungluͤck. Da wir nun das Gluͤck nicht in unſerer Gewalt haben (§. 60.), und die Er- fahrung uns lehret, daß es ſehr veraͤnderlich iſt; ſo muͤſſen wir dem Gluͤck, wenn es uns guͤnſtig iſt, nicht zu viel trauen, und im Ungluͤcke nicht am beſſeren Gluͤcke zweifeln; folgends ſind wir ver- bunden das Ungluͤck mit gelaßnem Gemuͤth zu ertragen; damit wir nicht durch unſere Schuld ungluͤckſeelig werden (§. 118. 17.). Damit alſo nicht die wiedrigen Zufaͤlle, die uns wieder Vermuthen begegnen, das Gemuͤthe beunruhigen; ſo muͤſſen wir die

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/120>, abgerufen am 29.03.2024.