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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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Von der Auslegung.
Bedeutung sehen, welche die Wörter
vermöge ihres Ursprungs haben.
Denn
sie haben ihre Bedeutung von dem Willkühr
der Menschen, und also fragt man nur, was
sie durch dieselben anzeigen wollen.

§. 800.

Weil die einen Vertrag machen, so zu re-Von den
Vorbe-
haltun-
gen im
Sinne.

den verbunden sind, daß sie einander verstehen
können (§. 437. 438.); so muß man bey
der Auslegung der Verträge und eines
Versprechens keine Vorbehaltung im
Sinne zulassen
(§. 355.): Denn wenn man
dieses einräumen wollte; so könnte man alle
Versprechen zunichte machen.

§. 801.

Da es aus der Absicht dessen, dem ein Ver-Von der
Vermei-
dung der
betrügli-
chen Re-
den.

sprechen geschehen, erhellet, was er gewolt,
daß ihm versprochen werden sollte; so ist es
nicht erlaubt, daß, wenn es offenbar
ist, was für eine Bedeutung die Wor-
te nach der Absicht dessen, der ver-
langt, daß ihm etwas versprochen
würde, haben, denselben einen Ver-
stand zu geben, welcher seiner Absicht
gantz zuwider ist.
Also darf man nicht
die Einwohner einer Stadt lebendig begraben,
wenn man mit ihnen den Vertrag gemacht,
daß nach Uebergabe der Stadt kein Blut soll
vergossen werden.

§. 802.

Weil die Kunstwörter (termini tech-Von den
Kunst-
wörtern.

nici) die Bedeutung haben, die ihnen von

den

Von der Auslegung.
Bedeutung ſehen, welche die Woͤrter
vermoͤge ihres Urſprungs haben.
Denn
ſie haben ihre Bedeutung von dem Willkuͤhr
der Menſchen, und alſo fragt man nur, was
ſie durch dieſelben anzeigen wollen.

§. 800.

Weil die einen Vertrag machen, ſo zu re-Von den
Vorbe-
haltun-
gen im
Sinne.

den verbunden ſind, daß ſie einander verſtehen
koͤnnen (§. 437. 438.); ſo muß man bey
der Auslegung der Vertraͤge und eines
Verſprechens keine Vorbehaltung im
Sinne zulaſſen
(§. 355.): Denn wenn man
dieſes einraͤumen wollte; ſo koͤnnte man alle
Verſprechen zunichte machen.

§. 801.

Da es aus der Abſicht deſſen, dem ein Ver-Von der
Vermei-
dung der
betruͤgli-
chen Re-
den.

ſprechen geſchehen, erhellet, was er gewolt,
daß ihm verſprochen werden ſollte; ſo iſt es
nicht erlaubt, daß, wenn es offenbar
iſt, was fuͤr eine Bedeutung die Wor-
te nach der Abſicht deſſen, der ver-
langt, daß ihm etwas verſprochen
wuͤrde, haben, denſelben einen Ver-
ſtand zu geben, welcher ſeiner Abſicht
gantz zuwider iſt.
Alſo darf man nicht
die Einwohner einer Stadt lebendig begraben,
wenn man mit ihnen den Vertrag gemacht,
daß nach Uebergabe der Stadt kein Blut ſoll
vergoſſen werden.

§. 802.

Weil die Kunſtwoͤrter (termini tech-Von den
Kunſt-
woͤrtern.

nici) die Bedeutung haben, die ihnen von

den
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[591/0627] Von der Auslegung. Bedeutung ſehen, welche die Woͤrter vermoͤge ihres Urſprungs haben. Denn ſie haben ihre Bedeutung von dem Willkuͤhr der Menſchen, und alſo fragt man nur, was ſie durch dieſelben anzeigen wollen. §. 800. Weil die einen Vertrag machen, ſo zu re- den verbunden ſind, daß ſie einander verſtehen koͤnnen (§. 437. 438.); ſo muß man bey der Auslegung der Vertraͤge und eines Verſprechens keine Vorbehaltung im Sinne zulaſſen (§. 355.): Denn wenn man dieſes einraͤumen wollte; ſo koͤnnte man alle Verſprechen zunichte machen. Von den Vorbe- haltun- gen im Sinne. §. 801. Da es aus der Abſicht deſſen, dem ein Ver- ſprechen geſchehen, erhellet, was er gewolt, daß ihm verſprochen werden ſollte; ſo iſt es nicht erlaubt, daß, wenn es offenbar iſt, was fuͤr eine Bedeutung die Wor- te nach der Abſicht deſſen, der ver- langt, daß ihm etwas verſprochen wuͤrde, haben, denſelben einen Ver- ſtand zu geben, welcher ſeiner Abſicht gantz zuwider iſt. Alſo darf man nicht die Einwohner einer Stadt lebendig begraben, wenn man mit ihnen den Vertrag gemacht, daß nach Uebergabe der Stadt kein Blut ſoll vergoſſen werden. Von der Vermei- dung der betruͤgli- chen Re- den. §. 802. Weil die Kunſtwoͤrter (termini tech- nici) die Bedeutung haben, die ihnen von den Von den Kunſt- woͤrtern.

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/627>, abgerufen am 20.04.2024.