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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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Von der Auslegung.
standen werden müssen, von welcher
man redet
(verba intelligenda esse secun-
dum substratam materiam).
Wenn man
also einen Vertrag gemacht hat, daß ein
Stillstand 30. Tage seyn soll; so werden un-
ter den Tagen auch die Nächte verstanden.

§. 804.

Weil man nicht vermuthet, daß jemandVon der
Vermei-
dung des
Unge-
reimten.

etwas ungereimtes wolle; so muß eine Aus-
legung verworfen werden, aus wel-
cher etwas ungereimtes folgt.
Also
kann das Verbot, man solle auf der Gasse
kein Blut vergiessen, nicht auf einen Barbier
gezogen werden, welcher auf der Strasse ei-
nem zur Ader läßt; folglich muß man die
Auslegung also einrichten, daß alles
ungereimte vermieden wird.
Da es
ungereimt ist, daß einer, der etwas verspricht,
nichts habe verrichten wollen; so kann man
eine solche Auslegung nicht zugeben,
aus welcher folgen würde, daß nichts
wäre verrichtet worden.

§. 805.

Weil man so lange vermuthet, daß einerVon der
Ausle-
gung aus
dem vor-
herge-
henden
und nach-
folgen-
den.

noch das vorige gewollt, als es nicht offenbar
ist, daß er seinen Willen geändert hat; so
muß man, wenn etwas dunckel vorge-
tragen worden, aus dem vorherge-
henden, oder nachfolgenden, oder aus
dem, was an einem andern Orte und
bey anderer Gelegenheit klärer gesagt
worden, was dunckel ist, dergestalt er-

klären,
Nat. u. Völckerrecht. P p

Von der Auslegung.
ſtanden werden muͤſſen, von welcher
man redet
(verba intelligenda eſſe ſecun-
dum ſubſtratam materiam).
Wenn man
alſo einen Vertrag gemacht hat, daß ein
Stillſtand 30. Tage ſeyn ſoll; ſo werden un-
ter den Tagen auch die Naͤchte verſtanden.

§. 804.

Weil man nicht vermuthet, daß jemandVon der
Vermei-
dung des
Unge-
reimten.

etwas ungereimtes wolle; ſo muß eine Aus-
legung verworfen werden, aus wel-
cher etwas ungereimtes folgt.
Alſo
kann das Verbot, man ſolle auf der Gaſſe
kein Blut vergieſſen, nicht auf einen Barbier
gezogen werden, welcher auf der Straſſe ei-
nem zur Ader laͤßt; folglich muß man die
Auslegung alſo einrichten, daß alles
ungereimte vermieden wird.
Da es
ungereimt iſt, daß einer, der etwas verſpricht,
nichts habe verrichten wollen; ſo kann man
eine ſolche Auslegung nicht zugeben,
aus welcher folgen wuͤrde, daß nichts
waͤre verrichtet worden.

§. 805.

Weil man ſo lange vermuthet, daß einerVon der
Ausle-
gung aus
dem vor-
herge-
henden
und nach-
folgen-
den.

noch das vorige gewollt, als es nicht offenbar
iſt, daß er ſeinen Willen geaͤndert hat; ſo
muß man, wenn etwas dunckel vorge-
tragen worden, aus dem vorherge-
henden, oder nachfolgenden, oder aus
dem, was an einem andern Orte und
bey anderer Gelegenheit klaͤrer geſagt
worden, was dunckel iſt, dergeſtalt er-

klaͤren,
Nat. u. Voͤlckerrecht. P p
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[593/0629] Von der Auslegung. ſtanden werden muͤſſen, von welcher man redet (verba intelligenda eſſe ſecun- dum ſubſtratam materiam). Wenn man alſo einen Vertrag gemacht hat, daß ein Stillſtand 30. Tage ſeyn ſoll; ſo werden un- ter den Tagen auch die Naͤchte verſtanden. §. 804. Weil man nicht vermuthet, daß jemand etwas ungereimtes wolle; ſo muß eine Aus- legung verworfen werden, aus wel- cher etwas ungereimtes folgt. Alſo kann das Verbot, man ſolle auf der Gaſſe kein Blut vergieſſen, nicht auf einen Barbier gezogen werden, welcher auf der Straſſe ei- nem zur Ader laͤßt; folglich muß man die Auslegung alſo einrichten, daß alles ungereimte vermieden wird. Da es ungereimt iſt, daß einer, der etwas verſpricht, nichts habe verrichten wollen; ſo kann man eine ſolche Auslegung nicht zugeben, aus welcher folgen wuͤrde, daß nichts waͤre verrichtet worden. Von der Vermei- dung des Unge- reimten. §. 805. Weil man ſo lange vermuthet, daß einer noch das vorige gewollt, als es nicht offenbar iſt, daß er ſeinen Willen geaͤndert hat; ſo muß man, wenn etwas dunckel vorge- tragen worden, aus dem vorherge- henden, oder nachfolgenden, oder aus dem, was an einem andern Orte und bey anderer Gelegenheit klaͤrer geſagt worden, was dunckel iſt, dergeſtalt er- klaͤren, Von der Ausle- gung aus dem vor- herge- henden und nach- folgen- den. Nat. u. Voͤlckerrecht. P p

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/629>, abgerufen am 29.03.2024.