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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

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I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
fange als die bürgerliche (§. 83.), und
die ungezähmte Freyheit ist die Mut-
ter der Ungerechtigkeit
(§. 84.).

§. 86.
Daß Ge-
rechtig-
keit und
Billig-
keit gebo-
then, das
Gegen-
theil aber
verbo-
then ist.

Weil man niemand in dem Gebrauch sei-
nes Rechts verhindern darf (§. 50.), und
ihm dasselbe auch nicht benommen werden
kann (§. 74.); so darf niemand etwas
thun, was dem Recht des andern zu-
wieder ist; sondern ein jeder muß viel-
mehr das thun, was nach demselben
geschehen soll
(§. 83.). Derowegen müs-
sen wir einem jeden sein Recht geweh-
ren, und keinem sein Recht verletzen,

und folglich müssen wir gerecht, nicht
aber ungerecht seyn (§. 85.). Und weil
das unvollkommene Recht eben so, wie das
vollkommene aus der natürlichen an sich voll-
kommenen, Verbindlichkeit entstehet; also, daß
derjenige sündiget, der demselben zuwieder
handelt (§. 79. 80.); so müssen wir uns
gegen jedermann billig, und gegen nie-
mand unbillig erweisen
(§. 87.).

§. 87.
Was das
Unrecht
über-
haupt ist,
und daß
es verbo-
then ist.

Die Verletzung des vollkommenen Rechts
eines andern wird das Unrecht (injuria) ge-
nannt. Daher erhellet, daß das Unrecht
verbothen (§. 86.) und natürlich un-
erlaubt sey
(§. 49.). Ob wir aber gleich
bis itzt nichts anders als das angebohrne Recht
fest gesetzt haben; so werden wir doch am ge-
hörigen Orte zeigen, daß dasjenige, was wir

hier

I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl.
fange als die buͤrgerliche (§. 83.), und
die ungezaͤhmte Freyheit iſt die Mut-
ter der Ungerechtigkeit
(§. 84.).

§. 86.
Daß Ge-
rechtig-
keit und
Billig-
keit gebo-
then, das
Gegen-
theil aber
verbo-
then iſt.

Weil man niemand in dem Gebrauch ſei-
nes Rechts verhindern darf (§. 50.), und
ihm daſſelbe auch nicht benommen werden
kann (§. 74.); ſo darf niemand etwas
thun, was dem Recht des andern zu-
wieder iſt; ſondern ein jeder muß viel-
mehr das thun, was nach demſelben
geſchehen ſoll
(§. 83.). Derowegen muͤſ-
ſen wir einem jeden ſein Recht geweh-
ren, und keinem ſein Recht verletzen,

und folglich muͤſſen wir gerecht, nicht
aber ungerecht ſeyn (§. 85.). Und weil
das unvollkommene Recht eben ſo, wie das
vollkommene aus der natuͤrlichen an ſich voll-
kommenen, Verbindlichkeit entſtehet; alſo, daß
derjenige ſuͤndiget, der demſelben zuwieder
handelt (§. 79. 80.); ſo muͤſſen wir uns
gegen jedermann billig, und gegen nie-
mand unbillig erweiſen
(§. 87.).

§. 87.
Was das
Unrecht
uͤber-
haupt iſt,
und daß
es verbo-
then iſt.

Die Verletzung des vollkommenen Rechts
eines andern wird das Unrecht (injuria) ge-
nannt. Daher erhellet, daß das Unrecht
verbothen (§. 86.) und natuͤrlich un-
erlaubt ſey
(§. 49.). Ob wir aber gleich
bis itzt nichts anders als das angebohrne Recht
feſt geſetzt haben; ſo werden wir doch am ge-
hoͤrigen Orte zeigen, daß dasjenige, was wir

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[54/0090] I. Th. 3. H. Von der allgem. Verbindl. fange als die buͤrgerliche (§. 83.), und die ungezaͤhmte Freyheit iſt die Mut- ter der Ungerechtigkeit (§. 84.). §. 86. Weil man niemand in dem Gebrauch ſei- nes Rechts verhindern darf (§. 50.), und ihm daſſelbe auch nicht benommen werden kann (§. 74.); ſo darf niemand etwas thun, was dem Recht des andern zu- wieder iſt; ſondern ein jeder muß viel- mehr das thun, was nach demſelben geſchehen ſoll (§. 83.). Derowegen muͤſ- ſen wir einem jeden ſein Recht geweh- ren, und keinem ſein Recht verletzen, und folglich muͤſſen wir gerecht, nicht aber ungerecht ſeyn (§. 85.). Und weil das unvollkommene Recht eben ſo, wie das vollkommene aus der natuͤrlichen an ſich voll- kommenen, Verbindlichkeit entſtehet; alſo, daß derjenige ſuͤndiget, der demſelben zuwieder handelt (§. 79. 80.); ſo muͤſſen wir uns gegen jedermann billig, und gegen nie- mand unbillig erweiſen (§. 87.). §. 87. Die Verletzung des vollkommenen Rechts eines andern wird das Unrecht (injuria) ge- nannt. Daher erhellet, daß das Unrecht verbothen (§. 86.) und natuͤrlich un- erlaubt ſey (§. 49.). Ob wir aber gleich bis itzt nichts anders als das angebohrne Recht feſt geſetzt haben; ſo werden wir doch am ge- hoͤrigen Orte zeigen, daß dasjenige, was wir hier

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/90>, abgerufen am 29.03.2024.