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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten.
schen Eigenschaften gewinnen. In diesen Körpern, so müssen wir an-
nehmen, existiren an und für sich schon jene Elementarströme. Aber
dieselben haben alle möglichen Richtungen und vernichten dadurch
gegenseitig ihre Wirkungen. Erst beim Magnetisiren nimmt eine grös-
sere Zahl die gleiche Richtung an, und je mehr dies geschieht, um
so stärker wird der Magnetismus. Die Erscheinungen des Erdmagne-
tismus werden wir in ähnlicher Weise auf Ströme im Erdinnern zu-
rückführen müssen; der im §. 336 angenommene Erdstrom ist diejenige
Richtung im Erdinnern, in welcher ein Strom fliessen müsste, dessen
Wirkung die Wirkungen aller jener Einzelströme ersetzen würde. Aus
dem Wechsel in Intensität oder Richtung einzelner dieser Ströme wer-
den auch die in §. 333 Anm. erwähnten Variationen der erdmagneti-
schen Kraft begreiflich.

Die auf den ersten Blick auffallende Annahme, dass zahlreiche Ströme unge-
stört neben einander in einem leitenden Körper fliessen können, verliert ihr anschei-
nend Widersprechendes, wenn man erwägt, dass es sich um Elementarströme handelt,
welche die einzelnen Molecüle umfliessen. Die Widerstände innerhalb der einzelnen
Elementarströme müssen wir verschwindend annehmen, da sonst die Ströme allmälig
erlöschen würden. Jedes Molecül dagegen müssen wir uns von einer nicht leitenden
Aethersphäre umgeben denken. Vervollständigt wird die obige Theorie des Magnetis-
mus erst werden, nachdem wir durch die Betrachtung der Inductionserscheinungen im 9. Cap.
die Vorbedingungen zur Erkenntniss des Vorgangs der Magnetisirung gewonnen haben.

Siebentes Capitel.
Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten.

Zur Zurückführung der magnetischen Erscheinungen auf elemen-338
Ablenkung der
Magnetnadel
durch denStrom.
Elektromagneti-
sche Einheit der
Stromstärke.

tare Kreisströme hat uns theils das Verhalten der Solenoide zum Erd-
magnetismus theils ihr Verhalten gegen einander den Anlass geboten.
Wir sind aber bei dieser Gelegenheit zugleich auf die Bewegungen auf-
merksam geworden, welche die Solenoide unter dem Einfluss gerad-
liniger Ströme, die sich in ihrer Nähe befinden, ausführen. Es wird
sich also fragen, ob auch in dieser Beziehung die Erscheinungen an
Solenoiden und Magneten sich decken. Die bejahende Entscheidung
dieser Frage wird eine wesentliche Stütze der aufgestellten Theorie
des Magnetismus sein.

Wir haben schon gelegentlich die Magnetnadel als ein Hülfsmittel
zur Erkennung und Messung elektrischer Ströme angewandt. Aber
mit der Art der Einwirkung des Stroms auf den Magneten haben wir
uns noch nicht eingehend beschäftigt. Der Erste, der, noch vor der
Entdeckung der im vorigen Cap. dargestellten elektrodynamischen Er-
scheinungen, diese Einwirkung nachwies, war Oersted. Er fand be-
reits das Gesetz, welches die Ablenkungen der Magnetnadel durch
einen über oder unter ihr vorbeigeleiteten Strom bestimmt. Dasselbe

Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten.
schen Eigenschaften gewinnen. In diesen Körpern, so müssen wir an-
nehmen, existiren an und für sich schon jene Elementarströme. Aber
dieselben haben alle möglichen Richtungen und vernichten dadurch
gegenseitig ihre Wirkungen. Erst beim Magnetisiren nimmt eine grös-
sere Zahl die gleiche Richtung an, und je mehr dies geschieht, um
so stärker wird der Magnetismus. Die Erscheinungen des Erdmagne-
tismus werden wir in ähnlicher Weise auf Ströme im Erdinnern zu-
rückführen müssen; der im §. 336 angenommene Erdstrom ist diejenige
Richtung im Erdinnern, in welcher ein Strom fliessen müsste, dessen
Wirkung die Wirkungen aller jener Einzelströme ersetzen würde. Aus
dem Wechsel in Intensität oder Richtung einzelner dieser Ströme wer-
den auch die in §. 333 Anm. erwähnten Variationen der erdmagneti-
schen Kraft begreiflich.

Die auf den ersten Blick auffallende Annahme, dass zahlreiche Ströme unge-
stört neben einander in einem leitenden Körper fliessen können, verliert ihr anschei-
nend Widersprechendes, wenn man erwägt, dass es sich um Elementarströme handelt,
welche die einzelnen Molecüle umfliessen. Die Widerstände innerhalb der einzelnen
Elementarströme müssen wir verschwindend annehmen, da sonst die Ströme allmälig
erlöschen würden. Jedes Molecül dagegen müssen wir uns von einer nicht leitenden
Aethersphäre umgeben denken. Vervollständigt wird die obige Theorie des Magnetis-
mus erst werden, nachdem wir durch die Betrachtung der Inductionserscheinungen im 9. Cap.
die Vorbedingungen zur Erkenntniss des Vorgangs der Magnetisirung gewonnen haben.

Siebentes Capitel.
Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten.

Zur Zurückführung der magnetischen Erscheinungen auf elemen-338
Ablenkung der
Magnetnadel
durch denStrom.
Elektromagneti-
sche Einheit der
Stromstärke.

tare Kreisströme hat uns theils das Verhalten der Solenoïde zum Erd-
magnetismus theils ihr Verhalten gegen einander den Anlass geboten.
Wir sind aber bei dieser Gelegenheit zugleich auf die Bewegungen auf-
merksam geworden, welche die Solenoïde unter dem Einfluss gerad-
liniger Ströme, die sich in ihrer Nähe befinden, ausführen. Es wird
sich also fragen, ob auch in dieser Beziehung die Erscheinungen an
Solenoïden und Magneten sich decken. Die bejahende Entscheidung
dieser Frage wird eine wesentliche Stütze der aufgestellten Theorie
des Magnetismus sein.

Wir haben schon gelegentlich die Magnetnadel als ein Hülfsmittel
zur Erkennung und Messung elektrischer Ströme angewandt. Aber
mit der Art der Einwirkung des Stroms auf den Magneten haben wir
uns noch nicht eingehend beschäftigt. Der Erste, der, noch vor der
Entdeckung der im vorigen Cap. dargestellten elektrodynamischen Er-
scheinungen, diese Einwirkung nachwies, war Oersted. Er fand be-
reits das Gesetz, welches die Ablenkungen der Magnetnadel durch
einen über oder unter ihr vorbeigeleiteten Strom bestimmt. Dasselbe

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[519/0541] Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten. schen Eigenschaften gewinnen. In diesen Körpern, so müssen wir an- nehmen, existiren an und für sich schon jene Elementarströme. Aber dieselben haben alle möglichen Richtungen und vernichten dadurch gegenseitig ihre Wirkungen. Erst beim Magnetisiren nimmt eine grös- sere Zahl die gleiche Richtung an, und je mehr dies geschieht, um so stärker wird der Magnetismus. Die Erscheinungen des Erdmagne- tismus werden wir in ähnlicher Weise auf Ströme im Erdinnern zu- rückführen müssen; der im §. 336 angenommene Erdstrom ist diejenige Richtung im Erdinnern, in welcher ein Strom fliessen müsste, dessen Wirkung die Wirkungen aller jener Einzelströme ersetzen würde. Aus dem Wechsel in Intensität oder Richtung einzelner dieser Ströme wer- den auch die in §. 333 Anm. erwähnten Variationen der erdmagneti- schen Kraft begreiflich. Die auf den ersten Blick auffallende Annahme, dass zahlreiche Ströme unge- stört neben einander in einem leitenden Körper fliessen können, verliert ihr anschei- nend Widersprechendes, wenn man erwägt, dass es sich um Elementarströme handelt, welche die einzelnen Molecüle umfliessen. Die Widerstände innerhalb der einzelnen Elementarströme müssen wir verschwindend annehmen, da sonst die Ströme allmälig erlöschen würden. Jedes Molecül dagegen müssen wir uns von einer nicht leitenden Aethersphäre umgeben denken. Vervollständigt wird die obige Theorie des Magnetis- mus erst werden, nachdem wir durch die Betrachtung der Inductionserscheinungen im 9. Cap. die Vorbedingungen zur Erkenntniss des Vorgangs der Magnetisirung gewonnen haben. Siebentes Capitel. Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten. Zur Zurückführung der magnetischen Erscheinungen auf elemen- tare Kreisströme hat uns theils das Verhalten der Solenoïde zum Erd- magnetismus theils ihr Verhalten gegen einander den Anlass geboten. Wir sind aber bei dieser Gelegenheit zugleich auf die Bewegungen auf- merksam geworden, welche die Solenoïde unter dem Einfluss gerad- liniger Ströme, die sich in ihrer Nähe befinden, ausführen. Es wird sich also fragen, ob auch in dieser Beziehung die Erscheinungen an Solenoïden und Magneten sich decken. Die bejahende Entscheidung dieser Frage wird eine wesentliche Stütze der aufgestellten Theorie des Magnetismus sein. 338 Ablenkung der Magnetnadel durch denStrom. Elektromagneti- sche Einheit der Stromstärke. Wir haben schon gelegentlich die Magnetnadel als ein Hülfsmittel zur Erkennung und Messung elektrischer Ströme angewandt. Aber mit der Art der Einwirkung des Stroms auf den Magneten haben wir uns noch nicht eingehend beschäftigt. Der Erste, der, noch vor der Entdeckung der im vorigen Cap. dargestellten elektrodynamischen Er- scheinungen, diese Einwirkung nachwies, war Oersted. Er fand be- reits das Gesetz, welches die Ablenkungen der Magnetnadel durch einen über oder unter ihr vorbeigeleiteten Strom bestimmt. Dasselbe

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/541>, abgerufen am 28.03.2024.