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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Vom flüssigen Aggregatzustand.
Flüssigkeit ist daher durch die Schwere bestimmt und eben desshalb
abhängig von der Form des Raumes, in welchem sich die Flüssigkeit
befindet. Indess so die Flüssigkeiten durch die Verschiebung ihrer
Theilchen gegen einander sehr leicht ihre Form verändern, besitzen
sie dagegen, wenn die Temperatur dieselbe bleibt, ein viel constante-
res Volum als die festen Körper. Während man durch Zusammen-
drückung oder Ausdehnung die Dichtigkeit eines festen Körpers nicht
unerheblich vergrössern oder vermindern kann, ist bei den Flüssig-
keiten nur eine Verminderung des Volumens, und auch diese nur in
äusserst geringem Maasse und durch Anwendung sehr bedeutender
äusserer Druckkräfte möglich. Aus diesem Grunde ist die Compressi-
bilität der Flüssigkeiten auch schwierig zu beobachten. Denn das
Gefäss, in welchem man eine Flüssigkeit zusammendrückt, giebt dem
Drucke weit mehr nach als die Flüssigkeit selber. Indem jedoch
Regnault die Compressionsversuche so anstellte, dass das Gefäss,
in welchem sich die Flüssigkeit befand, einem ebenso grossen Druck
auf ihre Aussenwand ausgesetzt wurde, als der Druck auf die in ihm
befindliche Flüssigkeit betrug, beobachtete er eine Volumverminderung,
die proportional dem Drucke zunahm. Diese Volumverminderung ist
so klein, dass für practische Zwecke die Flüssigkeiten immerhin als
incompressibel angesehen werden können. Auf das einzige sehr wirk-
same Mittel, das wir besitzen, um die Dichtigkeit der Flüssigkeiten zu
vermindern oder zu vergrössern, die Wärmezufuhr oder Wärmeentzie-
hung, werden wir in dem Abschnitte von der Wärme zurückkommen.

Die geringe Zusammendrückbarkeit der Flüssigkeiten erklärt
sich aus den geringen Anziehungskräften, welche deren Molecüle auf
einander ausüben. Bei gewöhnlichem Atmosphärendruck ist nahezu
Gleichgewicht zwischen der Anziehung und Abstossung ihrer Theilchen
vorhanden. Steigert man nun den Druck, so müssen sogleich bedeu-
tende abstossende Kräfte zwischen den Molecülen entstehen, die eine
grössere Annäherung derselben sehr schwierig machen. Vermindert
man anderseits den Druck dadurch, dass man über der Flüssigkeit
einen luftleeren Raum herstellt, so werden die Molecüle an der Ober-
fläche der Flüssigkeit von ihren Nachbartheilchen losgerissen, so dass
sie aus deren Anziehungssphäre hinausgerathen: die Flüssigkeit ver-
dampft
, sie geht in den gasförmigen Aggregatzustand über.

Da jedes Theilchen einer Flüssigkeit unter dem Einfluss der auf
dasselbe ausgeübten Schweranziehung sich unabhängig bewegen kann,
bis es entweder an andern Flüssigkeitstheilchen oder an einer festen
Wand einen Widerstand findet, so ist klar, dass eine Flüssigkeit
nicht nur die Form des Gefässes annimmt, in welchem sie sich be-
findet, sondern dass auch die Oberfläche derselben horizontal, senk-
recht gegen die Richtung der Schwere ist. Jeder Punkt der freien
Oberfläche muss gleich weit von dem Erdmittelpunkt entfernt sein.

Vom flüssigen Aggregatzustand.
Flüssigkeit ist daher durch die Schwere bestimmt und eben desshalb
abhängig von der Form des Raumes, in welchem sich die Flüssigkeit
befindet. Indess so die Flüssigkeiten durch die Verschiebung ihrer
Theilchen gegen einander sehr leicht ihre Form verändern, besitzen
sie dagegen, wenn die Temperatur dieselbe bleibt, ein viel constante-
res Volum als die festen Körper. Während man durch Zusammen-
drückung oder Ausdehnung die Dichtigkeit eines festen Körpers nicht
unerheblich vergrössern oder vermindern kann, ist bei den Flüssig-
keiten nur eine Verminderung des Volumens, und auch diese nur in
äusserst geringem Maasse und durch Anwendung sehr bedeutender
äusserer Druckkräfte möglich. Aus diesem Grunde ist die Compressi-
bilität der Flüssigkeiten auch schwierig zu beobachten. Denn das
Gefäss, in welchem man eine Flüssigkeit zusammendrückt, giebt dem
Drucke weit mehr nach als die Flüssigkeit selber. Indem jedoch
Regnault die Compressionsversuche so anstellte, dass das Gefäss,
in welchem sich die Flüssigkeit befand, einem ebenso grossen Druck
auf ihre Aussenwand ausgesetzt wurde, als der Druck auf die in ihm
befindliche Flüssigkeit betrug, beobachtete er eine Volumverminderung,
die proportional dem Drucke zunahm. Diese Volumverminderung ist
so klein, dass für practische Zwecke die Flüssigkeiten immerhin als
incompressibel angesehen werden können. Auf das einzige sehr wirk-
same Mittel, das wir besitzen, um die Dichtigkeit der Flüssigkeiten zu
vermindern oder zu vergrössern, die Wärmezufuhr oder Wärmeentzie-
hung, werden wir in dem Abschnitte von der Wärme zurückkommen.

Die geringe Zusammendrückbarkeit der Flüssigkeiten erklärt
sich aus den geringen Anziehungskräften, welche deren Molecüle auf
einander ausüben. Bei gewöhnlichem Atmosphärendruck ist nahezu
Gleichgewicht zwischen der Anziehung und Abstossung ihrer Theilchen
vorhanden. Steigert man nun den Druck, so müssen sogleich bedeu-
tende abstossende Kräfte zwischen den Molecülen entstehen, die eine
grössere Annäherung derselben sehr schwierig machen. Vermindert
man anderseits den Druck dadurch, dass man über der Flüssigkeit
einen luftleeren Raum herstellt, so werden die Molecüle an der Ober-
fläche der Flüssigkeit von ihren Nachbartheilchen losgerissen, so dass
sie aus deren Anziehungssphäre hinausgerathen: die Flüssigkeit ver-
dampft
, sie geht in den gasförmigen Aggregatzustand über.

Da jedes Theilchen einer Flüssigkeit unter dem Einfluss der auf
dasselbe ausgeübten Schweranziehung sich unabhängig bewegen kann,
bis es entweder an andern Flüssigkeitstheilchen oder an einer festen
Wand einen Widerstand findet, so ist klar, dass eine Flüssigkeit
nicht nur die Form des Gefässes annimmt, in welchem sie sich be-
findet, sondern dass auch die Oberfläche derselben horizontal, senk-
recht gegen die Richtung der Schwere ist. Jeder Punkt der freien
Oberfläche muss gleich weit von dem Erdmittelpunkt entfernt sein.

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[93/0115] Vom flüssigen Aggregatzustand. Flüssigkeit ist daher durch die Schwere bestimmt und eben desshalb abhängig von der Form des Raumes, in welchem sich die Flüssigkeit befindet. Indess so die Flüssigkeiten durch die Verschiebung ihrer Theilchen gegen einander sehr leicht ihre Form verändern, besitzen sie dagegen, wenn die Temperatur dieselbe bleibt, ein viel constante- res Volum als die festen Körper. Während man durch Zusammen- drückung oder Ausdehnung die Dichtigkeit eines festen Körpers nicht unerheblich vergrössern oder vermindern kann, ist bei den Flüssig- keiten nur eine Verminderung des Volumens, und auch diese nur in äusserst geringem Maasse und durch Anwendung sehr bedeutender äusserer Druckkräfte möglich. Aus diesem Grunde ist die Compressi- bilität der Flüssigkeiten auch schwierig zu beobachten. Denn das Gefäss, in welchem man eine Flüssigkeit zusammendrückt, giebt dem Drucke weit mehr nach als die Flüssigkeit selber. Indem jedoch Regnault die Compressionsversuche so anstellte, dass das Gefäss, in welchem sich die Flüssigkeit befand, einem ebenso grossen Druck auf ihre Aussenwand ausgesetzt wurde, als der Druck auf die in ihm befindliche Flüssigkeit betrug, beobachtete er eine Volumverminderung, die proportional dem Drucke zunahm. Diese Volumverminderung ist so klein, dass für practische Zwecke die Flüssigkeiten immerhin als incompressibel angesehen werden können. Auf das einzige sehr wirk- same Mittel, das wir besitzen, um die Dichtigkeit der Flüssigkeiten zu vermindern oder zu vergrössern, die Wärmezufuhr oder Wärmeentzie- hung, werden wir in dem Abschnitte von der Wärme zurückkommen. Die geringe Zusammendrückbarkeit der Flüssigkeiten erklärt sich aus den geringen Anziehungskräften, welche deren Molecüle auf einander ausüben. Bei gewöhnlichem Atmosphärendruck ist nahezu Gleichgewicht zwischen der Anziehung und Abstossung ihrer Theilchen vorhanden. Steigert man nun den Druck, so müssen sogleich bedeu- tende abstossende Kräfte zwischen den Molecülen entstehen, die eine grössere Annäherung derselben sehr schwierig machen. Vermindert man anderseits den Druck dadurch, dass man über der Flüssigkeit einen luftleeren Raum herstellt, so werden die Molecüle an der Ober- fläche der Flüssigkeit von ihren Nachbartheilchen losgerissen, so dass sie aus deren Anziehungssphäre hinausgerathen: die Flüssigkeit ver- dampft, sie geht in den gasförmigen Aggregatzustand über. Da jedes Theilchen einer Flüssigkeit unter dem Einfluss der auf dasselbe ausgeübten Schweranziehung sich unabhängig bewegen kann, bis es entweder an andern Flüssigkeitstheilchen oder an einer festen Wand einen Widerstand findet, so ist klar, dass eine Flüssigkeit nicht nur die Form des Gefässes annimmt, in welchem sie sich be- findet, sondern dass auch die Oberfläche derselben horizontal, senk- recht gegen die Richtung der Schwere ist. Jeder Punkt der freien Oberfläche muss gleich weit von dem Erdmittelpunkt entfernt sein.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/115>, abgerufen am 16.04.2024.