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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.
das Herz einmündenden Gefässe grösser als derjenige der aus-
führenden ist. Die Blutgeschwindigkeit in jedem einzelnen Theil
der Gefässbahn liesse sich voraus bestimmen, wenn der zu diesem
Theil gehörige Gesammtquerschnitt bekannt, und wenn die in irgend
einem andern Querschnitt der Blutbahn vorhandene Geschwindigkeit
ermittelt wäre. Denn nach dem Princip der Continuität der Flüssig-
keiten muss in einer gegebenen Zeit durch jeden Querschnitt des Ge-
fässsystems ein gleiches Quantum hindurchtreten. Es muss daher auch
in einer gegebenen Zeit ebenso viel Blut durch die Venen zum rech-
ten Herzen zurückkehren, als durch die Arterien ausströmt. Das-
selbe Gleichgewicht muss speciell zwischen der Bahn des grossen und
des kleinen Kreislaufs stattfinden: durch einen Querschnitt des Kör-
pergefässsystems tritt in derselben Zeit ebenso viel Blut wie durch
einen Querschnitt des Lungengefässsystems, und die Blutquanta, welche
die vier Herzabtheilungen aufnehmen oder austreiben, sind sämmtlich
einander gleich. Nun findet zwischen den Systemen des kleinen und
des grossen Kreislaufs ein ähnliches Verhältniss statt, wie wir es in
Fig. 48 und 49 schematisch dargestellt haben. Im grossen Kreislauf
sind Erweiterung des Strombetts und Verzweigung viel bedeutender
als im kleinen. Wir haben nun gesehen, dass nach experimentellen
Ermittelungen die Ausflussmenge aus zwei derartigen Systemen nahe-
hin die gleiche ist, wenn die einzelnen Röhren, aus denen dieselben
zusammengesetzt sind, gleiche Länge und gleichen Durchmesser be-
sitzen. Dass ein derartiges Verhältniss zwischen dem grossen und
dem kleinen Kreislaufsystem wirklich stattfinde, hat jedoch weder in
den anatomischen Verhältnissen noch in den physiologischen That-
sachen eine Stütze. Denn wenn die letzteren auch lehren, dass die
Ausflussmengen aus beiden Systemen einander gleich sein müssen, so
ergibt sich aus ihnen anderseits, dass die Widerstände im kleinen
Kreislauf viel unbedeutender sind als im grossen, indem die Messun-
gen des Seitendrucks in der Lungenarterie viel kleinere Werthe er-
geben als die ähnlichen Messungen in der Aorta. Die Compensation
der Ausflussmengen muss daher hauptsächlich durch verschiedene
Grösse der austreibenden Kräfte bewirkt werden. Dies findet darin
seine Bestätigung, dass die Muskelwandungen der rechten Herzkam-
mer schwächer als diejenigen der linken Herzkammer sind. Ueber-
dies lehrt der grössere Voluminhalt der ersteren, dass die Con-
traction derselben unvollständiger sein muss. Es lässt sich leicht
denken, dass die beiden Herzhälften schon während ihrer Entwickelung
dem Gesetz der Gleichheit der Ausflussmengen sich accomodiren, und
dass also die geringere Muskelausbildung des rechten Herzens eine
Folge jenes Gesetzes ist. Naheliegend sind endlich die Anwendungen,
die sich aus den Strömungsgesetzen in verzweigten Röhren auf die
Blutbewegung in Collateralgefässen ergeben. Wir haben bereits her-

Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.
das Herz einmündenden Gefässe grösser als derjenige der aus-
führenden ist. Die Blutgeschwindigkeit in jedem einzelnen Theil
der Gefässbahn liesse sich voraus bestimmen, wenn der zu diesem
Theil gehörige Gesammtquerschnitt bekannt, und wenn die in irgend
einem andern Querschnitt der Blutbahn vorhandene Geschwindigkeit
ermittelt wäre. Denn nach dem Princip der Continuität der Flüssig-
keiten muss in einer gegebenen Zeit durch jeden Querschnitt des Ge-
fässsystems ein gleiches Quantum hindurchtreten. Es muss daher auch
in einer gegebenen Zeit ebenso viel Blut durch die Venen zum rech-
ten Herzen zurückkehren, als durch die Arterien ausströmt. Das-
selbe Gleichgewicht muss speciell zwischen der Bahn des grossen und
des kleinen Kreislaufs stattfinden: durch einen Querschnitt des Kör-
pergefässsystems tritt in derselben Zeit ebenso viel Blut wie durch
einen Querschnitt des Lungengefässsystems, und die Blutquanta, welche
die vier Herzabtheilungen aufnehmen oder austreiben, sind sämmtlich
einander gleich. Nun findet zwischen den Systemen des kleinen und
des grossen Kreislaufs ein ähnliches Verhältniss statt, wie wir es in
Fig. 48 und 49 schematisch dargestellt haben. Im grossen Kreislauf
sind Erweiterung des Strombetts und Verzweigung viel bedeutender
als im kleinen. Wir haben nun gesehen, dass nach experimentellen
Ermittelungen die Ausflussmenge aus zwei derartigen Systemen nahe-
hin die gleiche ist, wenn die einzelnen Röhren, aus denen dieselben
zusammengesetzt sind, gleiche Länge und gleichen Durchmesser be-
sitzen. Dass ein derartiges Verhältniss zwischen dem grossen und
dem kleinen Kreislaufsystem wirklich stattfinde, hat jedoch weder in
den anatomischen Verhältnissen noch in den physiologischen That-
sachen eine Stütze. Denn wenn die letzteren auch lehren, dass die
Ausflussmengen aus beiden Systemen einander gleich sein müssen, so
ergibt sich aus ihnen anderseits, dass die Widerstände im kleinen
Kreislauf viel unbedeutender sind als im grossen, indem die Messun-
gen des Seitendrucks in der Lungenarterie viel kleinere Werthe er-
geben als die ähnlichen Messungen in der Aorta. Die Compensation
der Ausflussmengen muss daher hauptsächlich durch verschiedene
Grösse der austreibenden Kräfte bewirkt werden. Dies findet darin
seine Bestätigung, dass die Muskelwandungen der rechten Herzkam-
mer schwächer als diejenigen der linken Herzkammer sind. Ueber-
dies lehrt der grössere Voluminhalt der ersteren, dass die Con-
traction derselben unvollständiger sein muss. Es lässt sich leicht
denken, dass die beiden Herzhälften schon während ihrer Entwickelung
dem Gesetz der Gleichheit der Ausflussmengen sich accomodiren, und
dass also die geringere Muskelausbildung des rechten Herzens eine
Folge jenes Gesetzes ist. Naheliegend sind endlich die Anwendungen,
die sich aus den Strömungsgesetzen in verzweigten Röhren auf die
Blutbewegung in Collateralgefässen ergeben. Wir haben bereits her-

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[119/0141] Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. das Herz einmündenden Gefässe grösser als derjenige der aus- führenden ist. Die Blutgeschwindigkeit in jedem einzelnen Theil der Gefässbahn liesse sich voraus bestimmen, wenn der zu diesem Theil gehörige Gesammtquerschnitt bekannt, und wenn die in irgend einem andern Querschnitt der Blutbahn vorhandene Geschwindigkeit ermittelt wäre. Denn nach dem Princip der Continuität der Flüssig- keiten muss in einer gegebenen Zeit durch jeden Querschnitt des Ge- fässsystems ein gleiches Quantum hindurchtreten. Es muss daher auch in einer gegebenen Zeit ebenso viel Blut durch die Venen zum rech- ten Herzen zurückkehren, als durch die Arterien ausströmt. Das- selbe Gleichgewicht muss speciell zwischen der Bahn des grossen und des kleinen Kreislaufs stattfinden: durch einen Querschnitt des Kör- pergefässsystems tritt in derselben Zeit ebenso viel Blut wie durch einen Querschnitt des Lungengefässsystems, und die Blutquanta, welche die vier Herzabtheilungen aufnehmen oder austreiben, sind sämmtlich einander gleich. Nun findet zwischen den Systemen des kleinen und des grossen Kreislaufs ein ähnliches Verhältniss statt, wie wir es in Fig. 48 und 49 schematisch dargestellt haben. Im grossen Kreislauf sind Erweiterung des Strombetts und Verzweigung viel bedeutender als im kleinen. Wir haben nun gesehen, dass nach experimentellen Ermittelungen die Ausflussmenge aus zwei derartigen Systemen nahe- hin die gleiche ist, wenn die einzelnen Röhren, aus denen dieselben zusammengesetzt sind, gleiche Länge und gleichen Durchmesser be- sitzen. Dass ein derartiges Verhältniss zwischen dem grossen und dem kleinen Kreislaufsystem wirklich stattfinde, hat jedoch weder in den anatomischen Verhältnissen noch in den physiologischen That- sachen eine Stütze. Denn wenn die letzteren auch lehren, dass die Ausflussmengen aus beiden Systemen einander gleich sein müssen, so ergibt sich aus ihnen anderseits, dass die Widerstände im kleinen Kreislauf viel unbedeutender sind als im grossen, indem die Messun- gen des Seitendrucks in der Lungenarterie viel kleinere Werthe er- geben als die ähnlichen Messungen in der Aorta. Die Compensation der Ausflussmengen muss daher hauptsächlich durch verschiedene Grösse der austreibenden Kräfte bewirkt werden. Dies findet darin seine Bestätigung, dass die Muskelwandungen der rechten Herzkam- mer schwächer als diejenigen der linken Herzkammer sind. Ueber- dies lehrt der grössere Voluminhalt der ersteren, dass die Con- traction derselben unvollständiger sein muss. Es lässt sich leicht denken, dass die beiden Herzhälften schon während ihrer Entwickelung dem Gesetz der Gleichheit der Ausflussmengen sich accomodiren, und dass also die geringere Muskelausbildung des rechten Herzens eine Folge jenes Gesetzes ist. Naheliegend sind endlich die Anwendungen, die sich aus den Strömungsgesetzen in verzweigten Röhren auf die Blutbewegung in Collateralgefässen ergeben. Wir haben bereits her-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/141>, abgerufen am 28.03.2024.