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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Das Auge.
sind Hülfsmittel zur Unterstützung unseres Auges in der Beobachtung
äusserer Gegenstände; keines derselben kann daher verstanden wer-
den, ehe man mit der physikalischen Bedeutung des Auges ver-
traut ist.

Das Auge ist ein centrirtes Linsensystem, welches von den in
der Optik meistens gebräuchlichen Linsensystemen dadurch abweicht,
dass das erste und letzte Medium nicht mit einander übereinstimmen:
denn das erste ist Luft, das letzte ist die zwischen Linse und Netz-
haut angesammelte Glasfeuchtigkeit. Obgleich die einzelnen Ober-
flächen dieses Systems nicht vollkommen kugelförmig gekrümmt sind,
so kann man sie doch für die meisten Zwecke, ohne erhebliche Feh-
ler zu begehen, als kugelförmig gekrümmte Flächen betrachten. Ob-
gleich ferner die Krystalllinse in ihren einzelnen Schichten ein etwas
verschiedenes Brechungsvermögen besitzt, da sie gegen ihren Kern
hin dichter wird, so kann man doch für sie einen einzigen Brechungs-
exponenten annehmen, bei welchem sie die nämliche optische Wir-
kung hätte. Ausserdem lassen sich die wenig von einander abwei-
chenden Brechungsexponenten der Hornhaut, der wässerigen Feuch-
tigkeit und des Glaskörpers einander gleich setzen. Nach dieser ver-
einfachten Betrachtungsweise erscheint somit das Auge als ein Medium
von der Dichte der wässerigen Feuchtigkeit mit einer kugelförmigen
Oberfläche und einer in ihr suspendirten Biconvexlinse von dichterer
Beschaffenheit. Das so hergestellte brechende System bezeichnet man
nach Listing als schematisches Auge. Für die Krümmungs-
radien und Brechungsexponenten des schematischen Auges nimmt man
folgende Werthe an:

Krümmungshalbmesserder
Hornhaut
8 Mm.Brechungsvermögender wäs-
serigen Feuchtigkeit
103/77
"der vorderen Lin-
senfläche
10 Mm."der Krystalllinse16/11
"der hintern Lin-
senfläche
6 Mm."des Glaskörpers103/77

Die Entfernung der vordern Hornhaut- und vordern Linsenfläche sowie
die Dicke der Linse lässt sich zu je 4 Mm. ansetzen. In Fig. 126 (auf
S. 270) haben wir unter Zugrundlegung dieser Werthe einen verticalen
Durchschnitt der Begrenzungsflächen des Auges in doppelter Grösse
dargestellt. H ist die Oberfläche der Hornhaut, L' die vordere, L"
die hintere Linsenfläche und f' f" die optische Axe des Auges.

Beschränken wir uns auf die Betrachtung der Lichtbrechung in
der Krystalllinse, so ist dieselbe lediglich nach den Gesetzen der
Brechung in einer biconvexen Sammellinse zu beurtheilen, die auf
beiden Seiten vom selben Medium umgeben ist. Denken wir uns da-
gegen die Krystalllinse weg, um die Brechung zu betrachten, welche

Das Auge.
sind Hülfsmittel zur Unterstützung unseres Auges in der Beobachtung
äusserer Gegenstände; keines derselben kann daher verstanden wer-
den, ehe man mit der physikalischen Bedeutung des Auges ver-
traut ist.

Das Auge ist ein centrirtes Linsensystem, welches von den in
der Optik meistens gebräuchlichen Linsensystemen dadurch abweicht,
dass das erste und letzte Medium nicht mit einander übereinstimmen:
denn das erste ist Luft, das letzte ist die zwischen Linse und Netz-
haut angesammelte Glasfeuchtigkeit. Obgleich die einzelnen Ober-
flächen dieses Systems nicht vollkommen kugelförmig gekrümmt sind,
so kann man sie doch für die meisten Zwecke, ohne erhebliche Feh-
ler zu begehen, als kugelförmig gekrümmte Flächen betrachten. Ob-
gleich ferner die Krystalllinse in ihren einzelnen Schichten ein etwas
verschiedenes Brechungsvermögen besitzt, da sie gegen ihren Kern
hin dichter wird, so kann man doch für sie einen einzigen Brechungs-
exponenten annehmen, bei welchem sie die nämliche optische Wir-
kung hätte. Ausserdem lassen sich die wenig von einander abwei-
chenden Brechungsexponenten der Hornhaut, der wässerigen Feuch-
tigkeit und des Glaskörpers einander gleich setzen. Nach dieser ver-
einfachten Betrachtungsweise erscheint somit das Auge als ein Medium
von der Dichte der wässerigen Feuchtigkeit mit einer kugelförmigen
Oberfläche und einer in ihr suspendirten Biconvexlinse von dichterer
Beschaffenheit. Das so hergestellte brechende System bezeichnet man
nach Listing als schematisches Auge. Für die Krümmungs-
radien und Brechungsexponenten des schematischen Auges nimmt man
folgende Werthe an:

Krümmungshalbmesserder
Hornhaut
8 Mm.Brechungsvermögender wäs-
serigen Feuchtigkeit
103/77
der vorderen Lin-
senfläche
10 Mm.der Krystalllinse16/11
der hintern Lin-
senfläche
6 Mm.des Glaskörpers103/77

Die Entfernung der vordern Hornhaut- und vordern Linsenfläche sowie
die Dicke der Linse lässt sich zu je 4 Mm. ansetzen. In Fig. 126 (auf
S. 270) haben wir unter Zugrundlegung dieser Werthe einen verticalen
Durchschnitt der Begrenzungsflächen des Auges in doppelter Grösse
dargestellt. H ist die Oberfläche der Hornhaut, L' die vordere, L″
die hintere Linsenfläche und f' f″ die optische Axe des Auges.

Beschränken wir uns auf die Betrachtung der Lichtbrechung in
der Krystalllinse, so ist dieselbe lediglich nach den Gesetzen der
Brechung in einer biconvexen Sammellinse zu beurtheilen, die auf
beiden Seiten vom selben Medium umgeben ist. Denken wir uns da-
gegen die Krystalllinse weg, um die Brechung zu betrachten, welche

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[265/0287] Das Auge. sind Hülfsmittel zur Unterstützung unseres Auges in der Beobachtung äusserer Gegenstände; keines derselben kann daher verstanden wer- den, ehe man mit der physikalischen Bedeutung des Auges ver- traut ist. Das Auge ist ein centrirtes Linsensystem, welches von den in der Optik meistens gebräuchlichen Linsensystemen dadurch abweicht, dass das erste und letzte Medium nicht mit einander übereinstimmen: denn das erste ist Luft, das letzte ist die zwischen Linse und Netz- haut angesammelte Glasfeuchtigkeit. Obgleich die einzelnen Ober- flächen dieses Systems nicht vollkommen kugelförmig gekrümmt sind, so kann man sie doch für die meisten Zwecke, ohne erhebliche Feh- ler zu begehen, als kugelförmig gekrümmte Flächen betrachten. Ob- gleich ferner die Krystalllinse in ihren einzelnen Schichten ein etwas verschiedenes Brechungsvermögen besitzt, da sie gegen ihren Kern hin dichter wird, so kann man doch für sie einen einzigen Brechungs- exponenten annehmen, bei welchem sie die nämliche optische Wir- kung hätte. Ausserdem lassen sich die wenig von einander abwei- chenden Brechungsexponenten der Hornhaut, der wässerigen Feuch- tigkeit und des Glaskörpers einander gleich setzen. Nach dieser ver- einfachten Betrachtungsweise erscheint somit das Auge als ein Medium von der Dichte der wässerigen Feuchtigkeit mit einer kugelförmigen Oberfläche und einer in ihr suspendirten Biconvexlinse von dichterer Beschaffenheit. Das so hergestellte brechende System bezeichnet man nach Listing als schematisches Auge. Für die Krümmungs- radien und Brechungsexponenten des schematischen Auges nimmt man folgende Werthe an: Krümmungshalbmesser der Hornhaut 8 Mm. Brechungsvermögen der wäs- serigen Feuchtigkeit 103/77 „ der vorderen Lin- senfläche 10 Mm. „ der Krystalllinse 16/11 „ der hintern Lin- senfläche 6 Mm. „ des Glaskörpers 103/77 Die Entfernung der vordern Hornhaut- und vordern Linsenfläche sowie die Dicke der Linse lässt sich zu je 4 Mm. ansetzen. In Fig. 126 (auf S. 270) haben wir unter Zugrundlegung dieser Werthe einen verticalen Durchschnitt der Begrenzungsflächen des Auges in doppelter Grösse dargestellt. H ist die Oberfläche der Hornhaut, L' die vordere, L″ die hintere Linsenfläche und f' f″ die optische Axe des Auges. Beschränken wir uns auf die Betrachtung der Lichtbrechung in der Krystalllinse, so ist dieselbe lediglich nach den Gesetzen der Brechung in einer biconvexen Sammellinse zu beurtheilen, die auf beiden Seiten vom selben Medium umgeben ist. Denken wir uns da- gegen die Krystalllinse weg, um die Brechung zu betrachten, welche

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/287>, abgerufen am 25.04.2024.