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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Veränderungen des Aggregatzustandes.
Siedepunkt. Von dem Schmelzpunkt ist der Gefrierpunkt, d. h.
die Temperatur, bei welcher eine Flüssigkeit erstarrt, nicht merklich
verschieden. So zeigt das Thermometer auf 0°, ob man es in schmel-
zendes Eis oder in gefrierendes Wasser taucht.

Für jeden Körper sind bei constantem Druck Schmelzpunkt
und Siedepunkt unveränderlich
. Trotzdem ist es möglich,
eine Flüssigkeit bei geeigneten Vorsichtsmaassregeln bis zu einer
Temperatur, bei der sie eigentlich schon fest werden sollte, zu er-
kälten, ohne dass sie wirklich gefriert. Wenn man z. B. Wasser vor
jeder Erschütterung bewahrt, so lässt es sich noch weit unter dem
Gefrierpunkt (sogar bis zu -- 20°C.) flüssig erhalten; die geringste
Erschütterung bewirkt dann aber eine augenblickliche Erstarrung der
Masse. Diese Beobachtung bildet jedoch keine Ausnahme von dem
Gesetz der Constanz des Gefrierpunktes. Denn auch hier steigt die
Temperatur im Moment wo das Wasser gefriert stets auf 0°: der Ge-
frier punkt ist also constant, wenn auch das Wasser noch unter ihm
ausnahmsweise flüssig erhalten werden kann.

Schmelz- und Siedepunkt verändern sich, wenn der äussere Druck250
Veränderungen
der Schmelz-
und Siedepunkte
mit dem Druck.

sich verändert, und zwar steigen beide mit der Erhöhung des letztern,
der Siedepunkt aber viel beträchtlicher. Schon bei den gewöhnlichen
Schwankungen des Barometerstandes kann man die Veränderungen
des Siedepunktes wahrnehmen. Nur bei einem Luftdruck von 760 mm.
findet man die Temperatur des Wasserdampfs = 100°. Sinkt das
Barometer auf 730 mm., so siedet das Wasser schon bei 99°, steigt
das Barometer auf 770 mm., so findet man den Siedepunkt bei etwa
100,5°. Mittelst der Luftpumpe lässt sich das Wasser schon bei 0°
zum Sieden bringen. Umgekehrt kann in einem Gefäss, aus welchem
ein schwer bewegliches Ventil das Entweichen der Dämpfe erschwert,
durch den Druck, welchen die Dämpfe ausüben, der Siedepunkt be-
deutend erhöht werden. Ein solches Gefäss ist der s. g. Papiniani'-
sche Topf. Er besteht aus einem dickwandigen eisernen Cylinder
mit einem luftdicht eingeschraubten Deckel, an welchem letzteren
sich ein Ventil befindet, dessen Beweglichkeit man durch Belastung
mit Gewichten mehr oder weniger erschweren kann. Bringt man in
diesem Gefäss Wasser zum Sieden, so steigt die Temperatur dessel-
ben, während die Dämpfe sich ansammeln, bis das Ventil endlich
durch den Dampfdruck gehoben wird: im Moment, wo die Dämpfe
entweichen, sinkt die Temperatur wieder auf 100°, um dann nochmals
zu wachsen, u. s. w. Man wendet den Papiniani'schen Topf nament-
lich an, um Extracte aus organischen Substanzen, z. B. aus Knochen,
herzustellen, welche mit Wasser von 100° weniger concentrirt erhalten
werden können.

Das Steigen des Schmelzpunktes mit dem Druck lässt sich am

Veränderungen des Aggregatzustandes.
Siedepunkt. Von dem Schmelzpunkt ist der Gefrierpunkt, d. h.
die Temperatur, bei welcher eine Flüssigkeit erstarrt, nicht merklich
verschieden. So zeigt das Thermometer auf 0°, ob man es in schmel-
zendes Eis oder in gefrierendes Wasser taucht.

Für jeden Körper sind bei constantem Druck Schmelzpunkt
und Siedepunkt unveränderlich
. Trotzdem ist es möglich,
eine Flüssigkeit bei geeigneten Vorsichtsmaassregeln bis zu einer
Temperatur, bei der sie eigentlich schon fest werden sollte, zu er-
kälten, ohne dass sie wirklich gefriert. Wenn man z. B. Wasser vor
jeder Erschütterung bewahrt, so lässt es sich noch weit unter dem
Gefrierpunkt (sogar bis zu — 20°C.) flüssig erhalten; die geringste
Erschütterung bewirkt dann aber eine augenblickliche Erstarrung der
Masse. Diese Beobachtung bildet jedoch keine Ausnahme von dem
Gesetz der Constanz des Gefrierpunktes. Denn auch hier steigt die
Temperatur im Moment wo das Wasser gefriert stets auf 0°: der Ge-
frier punkt ist also constant, wenn auch das Wasser noch unter ihm
ausnahmsweise flüssig erhalten werden kann.

Schmelz- und Siedepunkt verändern sich, wenn der äussere Druck250
Veränderungen
der Schmelz-
und Siedepunkte
mit dem Druck.

sich verändert, und zwar steigen beide mit der Erhöhung des letztern,
der Siedepunkt aber viel beträchtlicher. Schon bei den gewöhnlichen
Schwankungen des Barometerstandes kann man die Veränderungen
des Siedepunktes wahrnehmen. Nur bei einem Luftdruck von 760 mm.
findet man die Temperatur des Wasserdampfs = 100°. Sinkt das
Barometer auf 730 mm., so siedet das Wasser schon bei 99°, steigt
das Barometer auf 770 mm., so findet man den Siedepunkt bei etwa
100,5°. Mittelst der Luftpumpe lässt sich das Wasser schon bei 0°
zum Sieden bringen. Umgekehrt kann in einem Gefäss, aus welchem
ein schwer bewegliches Ventil das Entweichen der Dämpfe erschwert,
durch den Druck, welchen die Dämpfe ausüben, der Siedepunkt be-
deutend erhöht werden. Ein solches Gefäss ist der s. g. Papiniani’-
sche Topf. Er besteht aus einem dickwandigen eisernen Cylinder
mit einem luftdicht eingeschraubten Deckel, an welchem letzteren
sich ein Ventil befindet, dessen Beweglichkeit man durch Belastung
mit Gewichten mehr oder weniger erschweren kann. Bringt man in
diesem Gefäss Wasser zum Sieden, so steigt die Temperatur dessel-
ben, während die Dämpfe sich ansammeln, bis das Ventil endlich
durch den Dampfdruck gehoben wird: im Moment, wo die Dämpfe
entweichen, sinkt die Temperatur wieder auf 100°, um dann nochmals
zu wachsen, u. s. w. Man wendet den Papiniani’schen Topf nament-
lich an, um Extracte aus organischen Substanzen, z. B. aus Knochen,
herzustellen, welche mit Wasser von 100° weniger concentrirt erhalten
werden können.

Das Steigen des Schmelzpunktes mit dem Druck lässt sich am

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[381/0403] Veränderungen des Aggregatzustandes. Siedepunkt. Von dem Schmelzpunkt ist der Gefrierpunkt, d. h. die Temperatur, bei welcher eine Flüssigkeit erstarrt, nicht merklich verschieden. So zeigt das Thermometer auf 0°, ob man es in schmel- zendes Eis oder in gefrierendes Wasser taucht. Für jeden Körper sind bei constantem Druck Schmelzpunkt und Siedepunkt unveränderlich. Trotzdem ist es möglich, eine Flüssigkeit bei geeigneten Vorsichtsmaassregeln bis zu einer Temperatur, bei der sie eigentlich schon fest werden sollte, zu er- kälten, ohne dass sie wirklich gefriert. Wenn man z. B. Wasser vor jeder Erschütterung bewahrt, so lässt es sich noch weit unter dem Gefrierpunkt (sogar bis zu — 20°C.) flüssig erhalten; die geringste Erschütterung bewirkt dann aber eine augenblickliche Erstarrung der Masse. Diese Beobachtung bildet jedoch keine Ausnahme von dem Gesetz der Constanz des Gefrierpunktes. Denn auch hier steigt die Temperatur im Moment wo das Wasser gefriert stets auf 0°: der Ge- frier punkt ist also constant, wenn auch das Wasser noch unter ihm ausnahmsweise flüssig erhalten werden kann. Schmelz- und Siedepunkt verändern sich, wenn der äussere Druck sich verändert, und zwar steigen beide mit der Erhöhung des letztern, der Siedepunkt aber viel beträchtlicher. Schon bei den gewöhnlichen Schwankungen des Barometerstandes kann man die Veränderungen des Siedepunktes wahrnehmen. Nur bei einem Luftdruck von 760 mm. findet man die Temperatur des Wasserdampfs = 100°. Sinkt das Barometer auf 730 mm., so siedet das Wasser schon bei 99°, steigt das Barometer auf 770 mm., so findet man den Siedepunkt bei etwa 100,5°. Mittelst der Luftpumpe lässt sich das Wasser schon bei 0° zum Sieden bringen. Umgekehrt kann in einem Gefäss, aus welchem ein schwer bewegliches Ventil das Entweichen der Dämpfe erschwert, durch den Druck, welchen die Dämpfe ausüben, der Siedepunkt be- deutend erhöht werden. Ein solches Gefäss ist der s. g. Papiniani’- sche Topf. Er besteht aus einem dickwandigen eisernen Cylinder mit einem luftdicht eingeschraubten Deckel, an welchem letzteren sich ein Ventil befindet, dessen Beweglichkeit man durch Belastung mit Gewichten mehr oder weniger erschweren kann. Bringt man in diesem Gefäss Wasser zum Sieden, so steigt die Temperatur dessel- ben, während die Dämpfe sich ansammeln, bis das Ventil endlich durch den Dampfdruck gehoben wird: im Moment, wo die Dämpfe entweichen, sinkt die Temperatur wieder auf 100°, um dann nochmals zu wachsen, u. s. w. Man wendet den Papiniani’schen Topf nament- lich an, um Extracte aus organischen Substanzen, z. B. aus Knochen, herzustellen, welche mit Wasser von 100° weniger concentrirt erhalten werden können. 250 Veränderungen der Schmelz- und Siedepunkte mit dem Druck. Das Steigen des Schmelzpunktes mit dem Druck lässt sich am

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/403>, abgerufen am 28.03.2024.