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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
andern bekannt sind. Wir fragen uns z. B., wie gross die Kraft ist, die ein Dampf-
wagen erzeugen muss, wenn er nach einer Wegstrecke s in eine Geschwindigkeit v
kommen soll. Hier sind uns s, v und M, letzteres als die Masse des Dampfwagens
und der Lasten, die er etwa noch in Bewegung setzt, gegeben, daraus können wir die
gesuchte Kraft P finden. Oder wir wissen, dass es uns möglich ist, eine Last P ge-
rade noch mit der Hand in die Höhe zu heben, der Weg, den unser Arm bei einer
Wurfbewegung beschreiben kann, ist s, wir sollen bestimmen, mit welcher Geschwin-
digkeit wir eine Kugel von der Masse M fortschleudern können. Hier ist uns P als
die Kraft, die wir im Stande sind auszuüben, gegeben, ebenso s und M, und daraus
können wir die Geschwindigkeit v finden.


26
Bewegungen
unter dem
Einfluss mehre-
rer Kräfte.

Die Bewegung, welche entsteht, wenn mehrere Kräfte auf einen
Punkt oder Körper einwirken, ergibt sich leicht aus den früher gefun-
denen Regeln. Wirken zwei momentane Stosskräfte, die einen Winkel
mit einander einschliessen, auf den Körper, so gibt, wie wir schon ge-
sehen haben, die Diagonale nicht nur die Richtung seines Wegs, son-
dern auch die Grösse der resultirenden Geschwindigkeit an. Wirkt
ein momentaner Stoss in der einen Richtung, z. B. nach a b (Fig. 6)
und eine gleichförmig beschleunigende Kraft in der andern ac, so fin-

[Abbildung] Fig. 6.
den wir in ähnlicher Weise die Resultante: sie
ist in jedem kleinsten Zeittheilchen die Dia-
gonale aus den Wegen, welche der Körper durch
jede Kraft einzeln genommen beschreiben würde.
Aber weil die Wege in der Richtung ac, wel-
che die beschleunigende Kraft den Körper führt,
fortwährend an Grösse zunehmen, so muss auch
jene Diagonale fortwährend ihre Richtung än-
dern. Der Körper beschreibt also eine ge-
krümmte Linie ad, und zwar, wie die nähere
Untersuchung derselben nachweist, eine Para-
bel. Wir werden diese Linie als die Wurflinie später bei Betrachtung
der Schwere kennen lernen, wo sich uns noch weitere Beispiele für
die Anwendung der Bewegungsgesetze auf die gleichzeitige Wirkung
mehrerer Kräfte darbieten werden.

Hier haben wir uns nur noch mit einem einzigen Fall, bei wel-
chem es sich ebenfalls um eine gleichzeitige Wirkung mehrerer Kräfte
handelt, zu beschäftigen, mit dem Fall nämlich, wo bestimmte fortdau-
ernd wirkende Kräfte einen Punkt oder eine Menge von Punkten in
einer gewissen Lage im Raum zu erhalten streben, während andere
Kräfte von mehr oder weniger vorübergehender Wirkung ihn aus die-
ser Lage entfernen. Es führt uns dies zur Betrachtung der Schwin-
gungs- und Wellenbewegungen
, denen wir wegen der wichti-
gen Anwendungen, die sie in den verschiedensten Zweigen der Physik
finden, ein besonderes Capitel widmen wollen.


Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
andern bekannt sind. Wir fragen uns z. B., wie gross die Kraft ist, die ein Dampf-
wagen erzeugen muss, wenn er nach einer Wegstrecke s in eine Geschwindigkeit v
kommen soll. Hier sind uns s, v und M, letzteres als die Masse des Dampfwagens
und der Lasten, die er etwa noch in Bewegung setzt, gegeben, daraus können wir die
gesuchte Kraft P finden. Oder wir wissen, dass es uns möglich ist, eine Last P ge-
rade noch mit der Hand in die Höhe zu heben, der Weg, den unser Arm bei einer
Wurfbewegung beschreiben kann, ist s, wir sollen bestimmen, mit welcher Geschwin-
digkeit wir eine Kugel von der Masse M fortschleudern können. Hier ist uns P als
die Kraft, die wir im Stande sind auszuüben, gegeben, ebenso s und M, und daraus
können wir die Geschwindigkeit v finden.


26
Bewegungen
unter dem
Einfluss mehre-
rer Kräfte.

Die Bewegung, welche entsteht, wenn mehrere Kräfte auf einen
Punkt oder Körper einwirken, ergibt sich leicht aus den früher gefun-
denen Regeln. Wirken zwei momentane Stosskräfte, die einen Winkel
mit einander einschliessen, auf den Körper, so gibt, wie wir schon ge-
sehen haben, die Diagonale nicht nur die Richtung seines Wegs, son-
dern auch die Grösse der resultirenden Geschwindigkeit an. Wirkt
ein momentaner Stoss in der einen Richtung, z. B. nach a b (Fig. 6)
und eine gleichförmig beschleunigende Kraft in der andern ac, so fin-

[Abbildung] Fig. 6.
den wir in ähnlicher Weise die Resultante: sie
ist in jedem kleinsten Zeittheilchen die Dia-
gonale aus den Wegen, welche der Körper durch
jede Kraft einzeln genommen beschreiben würde.
Aber weil die Wege in der Richtung ac, wel-
che die beschleunigende Kraft den Körper führt,
fortwährend an Grösse zunehmen, so muss auch
jene Diagonale fortwährend ihre Richtung än-
dern. Der Körper beschreibt also eine ge-
krümmte Linie ad, und zwar, wie die nähere
Untersuchung derselben nachweist, eine Para-
bel. Wir werden diese Linie als die Wurflinie später bei Betrachtung
der Schwere kennen lernen, wo sich uns noch weitere Beispiele für
die Anwendung der Bewegungsgesetze auf die gleichzeitige Wirkung
mehrerer Kräfte darbieten werden.

Hier haben wir uns nur noch mit einem einzigen Fall, bei wel-
chem es sich ebenfalls um eine gleichzeitige Wirkung mehrerer Kräfte
handelt, zu beschäftigen, mit dem Fall nämlich, wo bestimmte fortdau-
ernd wirkende Kräfte einen Punkt oder eine Menge von Punkten in
einer gewissen Lage im Raum zu erhalten streben, während andere
Kräfte von mehr oder weniger vorübergehender Wirkung ihn aus die-
ser Lage entfernen. Es führt uns dies zur Betrachtung der Schwin-
gungs- und Wellenbewegungen
, denen wir wegen der wichti-
gen Anwendungen, die sie in den verschiedensten Zweigen der Physik
finden, ein besonderes Capitel widmen wollen.


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[32/0054] Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. andern bekannt sind. Wir fragen uns z. B., wie gross die Kraft ist, die ein Dampf- wagen erzeugen muss, wenn er nach einer Wegstrecke s in eine Geschwindigkeit v kommen soll. Hier sind uns s, v und M, letzteres als die Masse des Dampfwagens und der Lasten, die er etwa noch in Bewegung setzt, gegeben, daraus können wir die gesuchte Kraft P finden. Oder wir wissen, dass es uns möglich ist, eine Last P ge- rade noch mit der Hand in die Höhe zu heben, der Weg, den unser Arm bei einer Wurfbewegung beschreiben kann, ist s, wir sollen bestimmen, mit welcher Geschwin- digkeit wir eine Kugel von der Masse M fortschleudern können. Hier ist uns P als die Kraft, die wir im Stande sind auszuüben, gegeben, ebenso s und M, und daraus können wir die Geschwindigkeit v finden. Die Bewegung, welche entsteht, wenn mehrere Kräfte auf einen Punkt oder Körper einwirken, ergibt sich leicht aus den früher gefun- denen Regeln. Wirken zwei momentane Stosskräfte, die einen Winkel mit einander einschliessen, auf den Körper, so gibt, wie wir schon ge- sehen haben, die Diagonale nicht nur die Richtung seines Wegs, son- dern auch die Grösse der resultirenden Geschwindigkeit an. Wirkt ein momentaner Stoss in der einen Richtung, z. B. nach a b (Fig. 6) und eine gleichförmig beschleunigende Kraft in der andern ac, so fin- [Abbildung Fig. 6.] den wir in ähnlicher Weise die Resultante: sie ist in jedem kleinsten Zeittheilchen die Dia- gonale aus den Wegen, welche der Körper durch jede Kraft einzeln genommen beschreiben würde. Aber weil die Wege in der Richtung ac, wel- che die beschleunigende Kraft den Körper führt, fortwährend an Grösse zunehmen, so muss auch jene Diagonale fortwährend ihre Richtung än- dern. Der Körper beschreibt also eine ge- krümmte Linie ad, und zwar, wie die nähere Untersuchung derselben nachweist, eine Para- bel. Wir werden diese Linie als die Wurflinie später bei Betrachtung der Schwere kennen lernen, wo sich uns noch weitere Beispiele für die Anwendung der Bewegungsgesetze auf die gleichzeitige Wirkung mehrerer Kräfte darbieten werden. Hier haben wir uns nur noch mit einem einzigen Fall, bei wel- chem es sich ebenfalls um eine gleichzeitige Wirkung mehrerer Kräfte handelt, zu beschäftigen, mit dem Fall nämlich, wo bestimmte fortdau- ernd wirkende Kräfte einen Punkt oder eine Menge von Punkten in einer gewissen Lage im Raum zu erhalten streben, während andere Kräfte von mehr oder weniger vorübergehender Wirkung ihn aus die- ser Lage entfernen. Es führt uns dies zur Betrachtung der Schwin- gungs- und Wellenbewegungen, denen wir wegen der wichti- gen Anwendungen, die sie in den verschiedensten Zweigen der Physik finden, ein besonderes Capitel widmen wollen.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/54>, abgerufen am 29.03.2024.