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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Allgemeine Eigenschaften der festen Körper.

Da man unter der Elasticität diejenige Kraft versteht, durch46
Elasticität.

welche ein Körper äusseren Kräften gegenüber seine Form beizubehal-
ten strebt, so ist die Elasticität eines Körpers um so grösser, je
grösser die äussere Kraft sein muss, welche eine bestimmte Form-
änderung bewirken soll; und sie ist um so vollkommener, je voll-
kommener der Körper wieder seine ursprüngliche Form annimmt.
Grösse und Vollkommenheit der Elasticität stehen in keinem Zusam-
menhang zu einander. Manche Körper haben eine grosse, aber un-
vollkommene Elasticität, wie das Blei und Silber, andere haben eine
kleine, aber vollkommene Elasticität, wie das Kautschuk, die thieri-
schen Muskeln und Gefässmembranen; noch andere haben eine grosse
und vollkommene Elasticität, wie der Stahl und das Glas. Im ge-
wöhnlichen Leben werden unter sehr elastischen Körpern meistens
solche verstanden, die ähnlich dem Kautschuk, eine vollkommene, da-
bei aber kleine Elasticität besitzen.

Es lassen sich so viele Arten der Elasticität unterscheiden, als
es Arten der Formänderung giebt, die ein Körper erfahren kann, im-
mer aber misst man die Grösse der Elasticität durch die Grösse der
Formänderung, welche eine bestimmte äussere Kraft erzeugt, und die
Vollkommenheit der Elasticität durch die Grösse der bleibenden Form-
änderung, die eine Kraft von bestimmter Grösse nach dem Aufhören
ihrer Wirkung zurücklässt. Die Arten der Formänderung, die sich
unterscheiden lassen, sind: Zug oder Dehnung, Zusammendrückung,
Torsion und Biegung. Davon sind die Formänderungen durch Deh-
nung und Torsion die wichtigsten; die Zusammendrückung verhält
sich, wie es scheint, der Dehnung durchaus analog.

Das Grundgesetz der Zugelasticität besteht darin, dass ein
Körper durch dehnende Gewichte Verlängerungen erfährt, die den Ge-
wichten proportional sind. Doch ist dieses Gesetz nur bis zu einer
gewissen Grenze der Belastung gültig, über sie hinaus wachsen die
Verlängerungen langsamer als die Gewichte; diese Abweichung von
dem Gesetz macht sich bei den leicht dehnbaren Körpern, z. B. dem
Kautschuk, den thierischen Muskeln und Gefässhäuten, schon bei ziem-
lich niedrigen Belastungen geltend. Die Muskeln zeigen überdies eine
mit dem Contractionszustand veränderliche Elasticität: ihre Dehnbar-
keit nimmt zu, ihre Elasticität also ab bei der Contraction.

Torsion bewirkt man an einem elastischen Körper, wenn man
ihn an einem Ende seiner Länge befestigt und am andern Ende einen
Hebelarm anbringt, an welchem eine Kraft wirkt, so dass der Körper
um seine Längsaxe gedreht wird. Die Torsionswinkel nehmen hier-
bei proportional der drehenden Kraft zu. Das Gesetz der Torsions-
elasticität
enspricht also vollkommen demjenigen der Zugelasticität.

Sowohl zur Bestimmung der Grösse wie der Vollkommenheit der
Elasticität bedient man sich am einfachsten der Zugelasticität. Die

Allgemeine Eigenschaften der festen Körper.

Da man unter der Elasticität diejenige Kraft versteht, durch46
Elasticität.

welche ein Körper äusseren Kräften gegenüber seine Form beizubehal-
ten strebt, so ist die Elasticität eines Körpers um so grösser, je
grösser die äussere Kraft sein muss, welche eine bestimmte Form-
änderung bewirken soll; und sie ist um so vollkommener, je voll-
kommener der Körper wieder seine ursprüngliche Form annimmt.
Grösse und Vollkommenheit der Elasticität stehen in keinem Zusam-
menhang zu einander. Manche Körper haben eine grosse, aber un-
vollkommene Elasticität, wie das Blei und Silber, andere haben eine
kleine, aber vollkommene Elasticität, wie das Kautschuk, die thieri-
schen Muskeln und Gefässmembranen; noch andere haben eine grosse
und vollkommene Elasticität, wie der Stahl und das Glas. Im ge-
wöhnlichen Leben werden unter sehr elastischen Körpern meistens
solche verstanden, die ähnlich dem Kautschuk, eine vollkommene, da-
bei aber kleine Elasticität besitzen.

Es lassen sich so viele Arten der Elasticität unterscheiden, als
es Arten der Formänderung giebt, die ein Körper erfahren kann, im-
mer aber misst man die Grösse der Elasticität durch die Grösse der
Formänderung, welche eine bestimmte äussere Kraft erzeugt, und die
Vollkommenheit der Elasticität durch die Grösse der bleibenden Form-
änderung, die eine Kraft von bestimmter Grösse nach dem Aufhören
ihrer Wirkung zurücklässt. Die Arten der Formänderung, die sich
unterscheiden lassen, sind: Zug oder Dehnung, Zusammendrückung,
Torsion und Biegung. Davon sind die Formänderungen durch Deh-
nung und Torsion die wichtigsten; die Zusammendrückung verhält
sich, wie es scheint, der Dehnung durchaus analog.

Das Grundgesetz der Zugelasticität besteht darin, dass ein
Körper durch dehnende Gewichte Verlängerungen erfährt, die den Ge-
wichten proportional sind. Doch ist dieses Gesetz nur bis zu einer
gewissen Grenze der Belastung gültig, über sie hinaus wachsen die
Verlängerungen langsamer als die Gewichte; diese Abweichung von
dem Gesetz macht sich bei den leicht dehnbaren Körpern, z. B. dem
Kautschuk, den thierischen Muskeln und Gefässhäuten, schon bei ziem-
lich niedrigen Belastungen geltend. Die Muskeln zeigen überdies eine
mit dem Contractionszustand veränderliche Elasticität: ihre Dehnbar-
keit nimmt zu, ihre Elasticität also ab bei der Contraction.

Torsion bewirkt man an einem elastischen Körper, wenn man
ihn an einem Ende seiner Länge befestigt und am andern Ende einen
Hebelarm anbringt, an welchem eine Kraft wirkt, so dass der Körper
um seine Längsaxe gedreht wird. Die Torsionswinkel nehmen hier-
bei proportional der drehenden Kraft zu. Das Gesetz der Torsions-
elasticität
enspricht also vollkommen demjenigen der Zugelasticität.

Sowohl zur Bestimmung der Grösse wie der Vollkommenheit der
Elasticität bedient man sich am einfachsten der Zugelasticität. Die

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[63/0085] Allgemeine Eigenschaften der festen Körper. Da man unter der Elasticität diejenige Kraft versteht, durch welche ein Körper äusseren Kräften gegenüber seine Form beizubehal- ten strebt, so ist die Elasticität eines Körpers um so grösser, je grösser die äussere Kraft sein muss, welche eine bestimmte Form- änderung bewirken soll; und sie ist um so vollkommener, je voll- kommener der Körper wieder seine ursprüngliche Form annimmt. Grösse und Vollkommenheit der Elasticität stehen in keinem Zusam- menhang zu einander. Manche Körper haben eine grosse, aber un- vollkommene Elasticität, wie das Blei und Silber, andere haben eine kleine, aber vollkommene Elasticität, wie das Kautschuk, die thieri- schen Muskeln und Gefässmembranen; noch andere haben eine grosse und vollkommene Elasticität, wie der Stahl und das Glas. Im ge- wöhnlichen Leben werden unter sehr elastischen Körpern meistens solche verstanden, die ähnlich dem Kautschuk, eine vollkommene, da- bei aber kleine Elasticität besitzen. 46 Elasticität. Es lassen sich so viele Arten der Elasticität unterscheiden, als es Arten der Formänderung giebt, die ein Körper erfahren kann, im- mer aber misst man die Grösse der Elasticität durch die Grösse der Formänderung, welche eine bestimmte äussere Kraft erzeugt, und die Vollkommenheit der Elasticität durch die Grösse der bleibenden Form- änderung, die eine Kraft von bestimmter Grösse nach dem Aufhören ihrer Wirkung zurücklässt. Die Arten der Formänderung, die sich unterscheiden lassen, sind: Zug oder Dehnung, Zusammendrückung, Torsion und Biegung. Davon sind die Formänderungen durch Deh- nung und Torsion die wichtigsten; die Zusammendrückung verhält sich, wie es scheint, der Dehnung durchaus analog. Das Grundgesetz der Zugelasticität besteht darin, dass ein Körper durch dehnende Gewichte Verlängerungen erfährt, die den Ge- wichten proportional sind. Doch ist dieses Gesetz nur bis zu einer gewissen Grenze der Belastung gültig, über sie hinaus wachsen die Verlängerungen langsamer als die Gewichte; diese Abweichung von dem Gesetz macht sich bei den leicht dehnbaren Körpern, z. B. dem Kautschuk, den thierischen Muskeln und Gefässhäuten, schon bei ziem- lich niedrigen Belastungen geltend. Die Muskeln zeigen überdies eine mit dem Contractionszustand veränderliche Elasticität: ihre Dehnbar- keit nimmt zu, ihre Elasticität also ab bei der Contraction. Torsion bewirkt man an einem elastischen Körper, wenn man ihn an einem Ende seiner Länge befestigt und am andern Ende einen Hebelarm anbringt, an welchem eine Kraft wirkt, so dass der Körper um seine Längsaxe gedreht wird. Die Torsionswinkel nehmen hier- bei proportional der drehenden Kraft zu. Das Gesetz der Torsions- elasticität enspricht also vollkommen demjenigen der Zugelasticität. Sowohl zur Bestimmung der Grösse wie der Vollkommenheit der Elasticität bedient man sich am einfachsten der Zugelasticität. Die

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/85>, abgerufen am 19.04.2024.