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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Schwere.
ihre gegenseitige Lage im Raum. Dagegen wird vermöge der grossen
Cohäsion dieser Körper die relative Lage ihrer Atome zu einander in
der Regel in Folge jener Fernwirkungen nicht bleibend verändert.
Die Gesetze der Schwere treten daher hier in ihrer einfachsten
Form auf.

Jeder Körper hat vermöge der Schwere das Streben zu Boden
zu fallen und fällt in der That, wenn er nicht unterstützt wird. Die-
ses Streben zu fallen nennen wir sein Gewicht. Das Gewicht ist
demnach die Resultante aller der Anziehungen, welche die Erde auf
jeden einzelnen Punkt eines Körpers ausübt. Aus je mehr einzelnen
Massenpunkten ein Körper besteht, um so grösser muss sein Gewicht
sein. Das Gewicht ist daher ein unmittelbares Maass für die Masse
eines Körpers. Dagegen bleibt die Beschleunigung, welche die Kör-
per beim wirklichen Fallen durch die Schwere erfahren, die nämliche,
ob sie eine grösssere oder kleinere Masse haben; und ein einziger
Punkt, wenn wir denselben isolirt beobachten könnten, müsste aus
einer bestimmten Höhe genau in der nämlichen Zeit zur Erde fallen,
in welcher ein schweres Gewicht aus derselben Höhe herabfällt. Denn
ob die Erde gleichzeitig auf wenige oder auf viele Massenpunkte ein-
wirkt, sie wird jedem einzelnen Punkt die gleiche Beschleunigung er-
theilen, und daher werden alle Punkte zusammen die nämliche Be-
schleunigung annehmen, die auch jeder einzelne isolirt angenommen
hätte. Die Beobachtung des Falls von Körpern sehr verschiedenen
Gewichts im luftleeren Raume, in welchem der Widerstand, den die
Luft dem Fall entgegensetzt, möglichst beseitigt ist, hat dies bestätigt;
im luftleeren Raume haben alle Körper die nämliche Fallzeit.

Die Richtung der Schwere muss, da wir die Erde als eine
Kugel von gleichförmiger Dichtigkeit betrachten können, gegen den
Mittelpunkt der Erde gerichtet sein. Denn die Anziehung, welche
irgend ein Punkt über der Erdoberfläche erfährt, ist die Resultirende
aller der Anziehungen, die von sämmtlichen Punkten der Erde auf
ihn ausgeübt werden. Nun hat jeder seitlich von dem angezogenen

[Abbildung] Fig. 27.
Punkt a (Fig. 27) gelegene Punkt m der Erde
einen Punkt n von correspondirender Lage, so
dass die beiden Anziehungen nach den Rich-
tungen m a und n a gegenseitig sich aufheben
und nur die in der Richtung der Geraden c a
gelegenen Anziehungen, die a mit dem Mittel-
punkt c der Erde verbinden, übrig bleiben.
Man nennt die Linie a c das Loth. Dasselbe
lässt sich leicht bestimmen, wenn man ein Ge-
wicht an einem Faden aufhängt, die Richtung
des Fadens gibt dann die Richtung des Lo-
thes an.


Von der Schwere.
ihre gegenseitige Lage im Raum. Dagegen wird vermöge der grossen
Cohäsion dieser Körper die relative Lage ihrer Atome zu einander in
der Regel in Folge jener Fernwirkungen nicht bleibend verändert.
Die Gesetze der Schwere treten daher hier in ihrer einfachsten
Form auf.

Jeder Körper hat vermöge der Schwere das Streben zu Boden
zu fallen und fällt in der That, wenn er nicht unterstützt wird. Die-
ses Streben zu fallen nennen wir sein Gewicht. Das Gewicht ist
demnach die Resultante aller der Anziehungen, welche die Erde auf
jeden einzelnen Punkt eines Körpers ausübt. Aus je mehr einzelnen
Massenpunkten ein Körper besteht, um so grösser muss sein Gewicht
sein. Das Gewicht ist daher ein unmittelbares Maass für die Masse
eines Körpers. Dagegen bleibt die Beschleunigung, welche die Kör-
per beim wirklichen Fallen durch die Schwere erfahren, die nämliche,
ob sie eine grösssere oder kleinere Masse haben; und ein einziger
Punkt, wenn wir denselben isolirt beobachten könnten, müsste aus
einer bestimmten Höhe genau in der nämlichen Zeit zur Erde fallen,
in welcher ein schweres Gewicht aus derselben Höhe herabfällt. Denn
ob die Erde gleichzeitig auf wenige oder auf viele Massenpunkte ein-
wirkt, sie wird jedem einzelnen Punkt die gleiche Beschleunigung er-
theilen, und daher werden alle Punkte zusammen die nämliche Be-
schleunigung annehmen, die auch jeder einzelne isolirt angenommen
hätte. Die Beobachtung des Falls von Körpern sehr verschiedenen
Gewichts im luftleeren Raume, in welchem der Widerstand, den die
Luft dem Fall entgegensetzt, möglichst beseitigt ist, hat dies bestätigt;
im luftleeren Raume haben alle Körper die nämliche Fallzeit.

Die Richtung der Schwere muss, da wir die Erde als eine
Kugel von gleichförmiger Dichtigkeit betrachten können, gegen den
Mittelpunkt der Erde gerichtet sein. Denn die Anziehung, welche
irgend ein Punkt über der Erdoberfläche erfährt, ist die Resultirende
aller der Anziehungen, die von sämmtlichen Punkten der Erde auf
ihn ausgeübt werden. Nun hat jeder seitlich von dem angezogenen

[Abbildung] Fig. 27.
Punkt a (Fig. 27) gelegene Punkt m der Erde
einen Punkt n von correspondirender Lage, so
dass die beiden Anziehungen nach den Rich-
tungen m a und n a gegenseitig sich aufheben
und nur die in der Richtung der Geraden c a
gelegenen Anziehungen, die a mit dem Mittel-
punkt c der Erde verbinden, übrig bleiben.
Man nennt die Linie a c das Loth. Dasselbe
lässt sich leicht bestimmen, wenn man ein Ge-
wicht an einem Faden aufhängt, die Richtung
des Fadens gibt dann die Richtung des Lo-
thes an.


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[66/0088] Von der Schwere. ihre gegenseitige Lage im Raum. Dagegen wird vermöge der grossen Cohäsion dieser Körper die relative Lage ihrer Atome zu einander in der Regel in Folge jener Fernwirkungen nicht bleibend verändert. Die Gesetze der Schwere treten daher hier in ihrer einfachsten Form auf. Jeder Körper hat vermöge der Schwere das Streben zu Boden zu fallen und fällt in der That, wenn er nicht unterstützt wird. Die- ses Streben zu fallen nennen wir sein Gewicht. Das Gewicht ist demnach die Resultante aller der Anziehungen, welche die Erde auf jeden einzelnen Punkt eines Körpers ausübt. Aus je mehr einzelnen Massenpunkten ein Körper besteht, um so grösser muss sein Gewicht sein. Das Gewicht ist daher ein unmittelbares Maass für die Masse eines Körpers. Dagegen bleibt die Beschleunigung, welche die Kör- per beim wirklichen Fallen durch die Schwere erfahren, die nämliche, ob sie eine grösssere oder kleinere Masse haben; und ein einziger Punkt, wenn wir denselben isolirt beobachten könnten, müsste aus einer bestimmten Höhe genau in der nämlichen Zeit zur Erde fallen, in welcher ein schweres Gewicht aus derselben Höhe herabfällt. Denn ob die Erde gleichzeitig auf wenige oder auf viele Massenpunkte ein- wirkt, sie wird jedem einzelnen Punkt die gleiche Beschleunigung er- theilen, und daher werden alle Punkte zusammen die nämliche Be- schleunigung annehmen, die auch jeder einzelne isolirt angenommen hätte. Die Beobachtung des Falls von Körpern sehr verschiedenen Gewichts im luftleeren Raume, in welchem der Widerstand, den die Luft dem Fall entgegensetzt, möglichst beseitigt ist, hat dies bestätigt; im luftleeren Raume haben alle Körper die nämliche Fallzeit. Die Richtung der Schwere muss, da wir die Erde als eine Kugel von gleichförmiger Dichtigkeit betrachten können, gegen den Mittelpunkt der Erde gerichtet sein. Denn die Anziehung, welche irgend ein Punkt über der Erdoberfläche erfährt, ist die Resultirende aller der Anziehungen, die von sämmtlichen Punkten der Erde auf ihn ausgeübt werden. Nun hat jeder seitlich von dem angezogenen [Abbildung Fig. 27.] Punkt a (Fig. 27) gelegene Punkt m der Erde einen Punkt n von correspondirender Lage, so dass die beiden Anziehungen nach den Rich- tungen m a und n a gegenseitig sich aufheben und nur die in der Richtung der Geraden c a gelegenen Anziehungen, die a mit dem Mittel- punkt c der Erde verbinden, übrig bleiben. Man nennt die Linie a c das Loth. Dasselbe lässt sich leicht bestimmen, wenn man ein Ge- wicht an einem Faden aufhängt, die Richtung des Fadens gibt dann die Richtung des Lo- thes an.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/88>, abgerufen am 28.03.2024.