Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 4. [Braunschweig], [1764].

Bild:
<< vorherige Seite

Der Morgen.
Die verhüllende Nacht weit über dem einsamen Erd-
kreis.

Aber auf einmal verjagt, die triumphirende Sonne,
Schatten und Schauder und Schlaf zum Niedergange
zurücke,

Jhre wohlthätige Kraft gießt sich durch alle Geschöpfe-
Und der Puls der Natur fängt an von neuem zu schla-
gen.

O wie war es so leicht; daß Menschen dich göttlich
verehrten,

Gütige Sonne, dich, Quelle des Lichts, dich, Fürstin
des Himmels!

Da ihr erstes Gefühl zu solchen Wundern sie hinriß.
Hätte der Heide dich nicht verehrt, so wäre es dem
Heiden

Zum Verbrechen geworden! Wenn in dem Tempel
von Cusko,

An dem rauschenden Ganges, und an des Hydaspis
Gestaden,

Das lautfeyrende Chor der weißgekleideten Priester
Dich mit Hymnen begrüßt, und dir mit Weyhrauch
geopfert;

Oder der nackende Mohr in frölichgeschlossenen Reihen
Dich mit Tänzen empfieng; war dies nicht Menschen
gemässer,

Als

Der Morgen.
Die verhuͤllende Nacht weit uͤber dem einſamen Erd-
kreis.

Aber auf einmal verjagt, die triumphirende Sonne,
Schatten und Schauder und Schlaf zum Niedergange
zuruͤcke,

Jhre wohlthaͤtige Kraft gießt ſich durch alle Geſchoͤpfe-
Und der Puls der Natur faͤngt an von neuem zu ſchla-
gen.

O wie war es ſo leicht; daß Menſchen dich goͤttlich
verehrten,

Guͤtige Sonne, dich, Quelle des Lichts, dich, Fuͤrſtin
des Himmels!

Da ihr erſtes Gefuͤhl zu ſolchen Wundern ſie hinriß.
Haͤtte der Heide dich nicht verehrt, ſo waͤre es dem
Heiden

Zum Verbrechen geworden! Wenn in dem Tempel
von Cusko,

An dem rauſchenden Ganges, und an des Hydaspis
Geſtaden,

Das lautfeyrende Chor der weißgekleideten Prieſter
Dich mit Hymnen begruͤßt, und dir mit Weyhrauch
geopfert;

Oder der nackende Mohr in froͤlichgeſchloſſenen Reihen
Dich mit Taͤnzen empfieng; war dies nicht Menſchen
gemaͤſſer,

Als
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg>
          <pb facs="#f0022" n="14"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Morgen.</hi> </fw><lb/>
          <l>Die verhu&#x0364;llende Nacht weit u&#x0364;ber dem ein&#x017F;amen Erd-<lb/><hi rendition="#et">kreis.</hi></l><lb/>
          <l>Aber auf einmal verjagt, die triumphirende Sonne,</l><lb/>
          <l>Schatten und Schauder und Schlaf zum Niedergange<lb/><hi rendition="#et">zuru&#x0364;cke,</hi></l><lb/>
          <l>Jhre wohltha&#x0364;tige Kraft gießt &#x017F;ich durch alle Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe-</l><lb/>
          <l>Und der Puls der Natur fa&#x0364;ngt an von neuem zu &#x017F;chla-<lb/><hi rendition="#et">gen.</hi></l><lb/>
          <l>O wie war es &#x017F;o leicht; daß Men&#x017F;chen dich go&#x0364;ttlich<lb/><hi rendition="#et">verehrten,</hi></l><lb/>
          <l>Gu&#x0364;tige Sonne, dich, Quelle des Lichts, dich, Fu&#x0364;r&#x017F;tin<lb/><hi rendition="#et">des Himmels!</hi></l><lb/>
          <l>Da ihr er&#x017F;tes Gefu&#x0364;hl zu &#x017F;olchen Wundern &#x017F;ie hinriß.</l><lb/>
          <l>Ha&#x0364;tte der Heide dich nicht verehrt, &#x017F;o wa&#x0364;re es dem<lb/><hi rendition="#et">Heiden</hi></l><lb/>
          <l>Zum Verbrechen geworden! Wenn in dem Tempel<lb/><hi rendition="#et">von Cusko,</hi></l><lb/>
          <l>An dem rau&#x017F;chenden Ganges, und an des Hydaspis<lb/><hi rendition="#et">Ge&#x017F;taden,</hi></l><lb/>
          <l>Das lautfeyrende Chor der weißgekleideten Prie&#x017F;ter</l><lb/>
          <l>Dich mit Hymnen begru&#x0364;ßt, und dir mit Weyhrauch<lb/><hi rendition="#et">geopfert;</hi></l><lb/>
          <l>Oder der nackende Mohr in fro&#x0364;lichge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Reihen</l><lb/>
          <l>Dich mit Ta&#x0364;nzen empfieng; war dies nicht Men&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#et">gema&#x0364;&#x017F;&#x017F;er,</hi></l><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Als</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0022] Der Morgen. Die verhuͤllende Nacht weit uͤber dem einſamen Erd- kreis. Aber auf einmal verjagt, die triumphirende Sonne, Schatten und Schauder und Schlaf zum Niedergange zuruͤcke, Jhre wohlthaͤtige Kraft gießt ſich durch alle Geſchoͤpfe- Und der Puls der Natur faͤngt an von neuem zu ſchla- gen. O wie war es ſo leicht; daß Menſchen dich goͤttlich verehrten, Guͤtige Sonne, dich, Quelle des Lichts, dich, Fuͤrſtin des Himmels! Da ihr erſtes Gefuͤhl zu ſolchen Wundern ſie hinriß. Haͤtte der Heide dich nicht verehrt, ſo waͤre es dem Heiden Zum Verbrechen geworden! Wenn in dem Tempel von Cusko, An dem rauſchenden Ganges, und an des Hydaspis Geſtaden, Das lautfeyrende Chor der weißgekleideten Prieſter Dich mit Hymnen begruͤßt, und dir mit Weyhrauch geopfert; Oder der nackende Mohr in froͤlichgeſchloſſenen Reihen Dich mit Taͤnzen empfieng; war dies nicht Menſchen gemaͤſſer, Als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften04_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften04_1764/22
Zitationshilfe: Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 4. [Braunschweig], [1764], S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften04_1764/22>, abgerufen am 23.04.2024.