Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 4. [Braunschweig], [1764].

Bild:
<< vorherige Seite

Der Morgen.
Die im Handschuh des Nachts die Farbe noch weisser
gekünstelt.

Jetzo setzt er sich kühn an ihre Seite. Sie blicket
Jhm Ermunterung zu, und eilt, mit siegenden Minen
Jhn zu bezaubern. Wie künstlich weiß sie die Reizun-
gen alle

Zu verrathen, die sie in seinen Augen verschönern.
Bald zeigt sie den blendenden Arm; bald wirft sie im
Sprechen

Jhren Mantel zurück, und alle Schönheit des Busens
Schwillt vor seinem Verlangen empor; sein Auge wird
wilder,

Feuriger wallet sein Blut; die sonst geschwätzige Zunge
Stockt. Sie sieht es, und lacht; der Gott der flüchti-
gen Liebe

Jauchzet; die Keuschheit entflieht, und sie führt ihren
Verehrer

An den Siegeswagen geschlossen, zum stolzen Triumph
fort.

Und am Nachttisch nicht nur empfängt, die entar-
tete Schöne,

Den wildliebenden Jüngling: von Frankreichs Sitten
verdorben,

Nimmt sie oft seinen Besuch noch halb in den Armen
des Schlafs an.

Und

Der Morgen.
Die im Handſchuh des Nachts die Farbe noch weiſſer
gekuͤnſtelt.

Jetzo ſetzt er ſich kuͤhn an ihre Seite. Sie blicket
Jhm Ermunterung zu, und eilt, mit ſiegenden Minen
Jhn zu bezaubern. Wie kuͤnſtlich weiß ſie die Reizun-
gen alle

Zu verrathen, die ſie in ſeinen Augen verſchoͤnern.
Bald zeigt ſie den blendenden Arm; bald wirft ſie im
Sprechen

Jhren Mantel zuruͤck, und alle Schoͤnheit des Buſens
Schwillt vor ſeinem Verlangen empor; ſein Auge wird
wilder,

Feuriger wallet ſein Blut; die ſonſt geſchwaͤtzige Zunge
Stockt. Sie ſieht es, und lacht; der Gott der fluͤchti-
gen Liebe

Jauchzet; die Keuſchheit entflieht, und ſie fuͤhrt ihren
Verehrer

An den Siegeswagen geſchloſſen, zum ſtolzen Triumph
fort.

Und am Nachttiſch nicht nur empfaͤngt, die entar-
tete Schoͤne,

Den wildliebenden Juͤngling: von Frankreichs Sitten
verdorben,

Nimmt ſie oft ſeinen Beſuch noch halb in den Armen
des Schlafs an.

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg>
          <pb facs="#f0044" n="36"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Morgen.</hi> </fw><lb/>
          <l>Die im Hand&#x017F;chuh des Nachts die Farbe noch wei&#x017F;&#x017F;er<lb/><hi rendition="#et">geku&#x0364;n&#x017F;telt.</hi></l><lb/>
          <l>Jetzo &#x017F;etzt er &#x017F;ich ku&#x0364;hn an ihre Seite. Sie blicket</l><lb/>
          <l>Jhm Ermunterung zu, und eilt, mit &#x017F;iegenden Minen</l><lb/>
          <l>Jhn zu bezaubern. Wie ku&#x0364;n&#x017F;tlich weiß &#x017F;ie die Reizun-<lb/><hi rendition="#et">gen alle</hi></l><lb/>
          <l>Zu verrathen, die &#x017F;ie in &#x017F;einen Augen ver&#x017F;cho&#x0364;nern.</l><lb/>
          <l>Bald zeigt &#x017F;ie den blendenden Arm; bald wirft &#x017F;ie im<lb/><hi rendition="#et">Sprechen</hi></l><lb/>
          <l>Jhren Mantel zuru&#x0364;ck, und alle Scho&#x0364;nheit des Bu&#x017F;ens</l><lb/>
          <l>Schwillt vor &#x017F;einem Verlangen empor; &#x017F;ein Auge wird<lb/><hi rendition="#et">wilder,</hi></l><lb/>
          <l>Feuriger wallet &#x017F;ein Blut; die &#x017F;on&#x017F;t ge&#x017F;chwa&#x0364;tzige Zunge</l><lb/>
          <l>Stockt. Sie &#x017F;ieht es, und lacht; der Gott der flu&#x0364;chti-<lb/><hi rendition="#et">gen Liebe</hi></l><lb/>
          <l>Jauchzet; die Keu&#x017F;chheit entflieht, und &#x017F;ie fu&#x0364;hrt ihren<lb/><hi rendition="#et">Verehrer</hi></l><lb/>
          <l>An den Siegeswagen ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, zum &#x017F;tolzen Triumph<lb/><hi rendition="#et">fort.</hi></l>
        </lg><lb/>
        <lg>
          <l>Und am Nachtti&#x017F;ch nicht nur empfa&#x0364;ngt, die entar-<lb/><hi rendition="#et">tete Scho&#x0364;ne,</hi></l><lb/>
          <l>Den wildliebenden Ju&#x0364;ngling: von Frankreichs Sitten<lb/><hi rendition="#et">verdorben,</hi></l><lb/>
          <l>Nimmt &#x017F;ie oft &#x017F;einen Be&#x017F;uch noch halb in den Armen<lb/><hi rendition="#et">des Schlafs an.</hi></l><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0044] Der Morgen. Die im Handſchuh des Nachts die Farbe noch weiſſer gekuͤnſtelt. Jetzo ſetzt er ſich kuͤhn an ihre Seite. Sie blicket Jhm Ermunterung zu, und eilt, mit ſiegenden Minen Jhn zu bezaubern. Wie kuͤnſtlich weiß ſie die Reizun- gen alle Zu verrathen, die ſie in ſeinen Augen verſchoͤnern. Bald zeigt ſie den blendenden Arm; bald wirft ſie im Sprechen Jhren Mantel zuruͤck, und alle Schoͤnheit des Buſens Schwillt vor ſeinem Verlangen empor; ſein Auge wird wilder, Feuriger wallet ſein Blut; die ſonſt geſchwaͤtzige Zunge Stockt. Sie ſieht es, und lacht; der Gott der fluͤchti- gen Liebe Jauchzet; die Keuſchheit entflieht, und ſie fuͤhrt ihren Verehrer An den Siegeswagen geſchloſſen, zum ſtolzen Triumph fort. Und am Nachttiſch nicht nur empfaͤngt, die entar- tete Schoͤne, Den wildliebenden Juͤngling: von Frankreichs Sitten verdorben, Nimmt ſie oft ſeinen Beſuch noch halb in den Armen des Schlafs an. Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften04_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften04_1764/44
Zitationshilfe: Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 4. [Braunschweig], [1764], S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften04_1764/44>, abgerufen am 19.04.2024.