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Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862.

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solche, und abgesehen von dem bestimmten Inhalt un¬
seres Denkens, beziehen; sie soll die Formen und Gesetze
des Denkens darstellen, über die Gegenstände dagegen,
welche mittelst derselben erkannt werden können, nichts
aussagen. Dieser älteren Logik hat sich jedoch in der
neueren Zeit, bei Hegel und seinen Nachfolgern, eine
andere entgegengestellt. Diese will nicht blos eine Er¬
kenntniss der Denkformen, sondern zugleich auch eine
Erkenntniss des Wirklichen, das Gegenstand unseres
Denkens ist, gewähren; sie will nicht blos Logik, son¬
dern zugleich auch Metaphysik sein, und sie selbst
nennt sich desshalb, im Gegensatz zu der gewöhnlichen,
blos formalen Logik, die spekulative. Meiner Ansicht
nach ist diese Gleichstellung der Logik mit der Meta¬
physik oder dem ontologischen Theile der Metaphysik
nicht zulässig. Man sagt zwar, die Form lasse sich vom
Inhalt nicht trennen; blosse Denkformen, die auf jeden
beliebigen Inhalt gleich gut angewandt werden könnten,
wären ohne Wahrheit; nur dann werden die Formen un¬
seres Denkens auf objektive Gültigkeit Anspruch machen
können, wenn in ihnen zugleich die Grundbestimmungen
des Seins erkannt werden, welche als die gegenständ¬
lichen Begriffe das Wesen der Dinge selbst bilden. Gegen
diese Beweisführung lässt sich jedoch Manches einwenden.
Für's Erste nämlich ist es immer uneigentlich gesprochen,
wenn man sagt, die Gedanken seien das Wesen der
Dinge, denn dieses Wesen ist wohl Gegenstand unseres
Denkens, aber nicht unmittelbar an sich selbst Gedanke;

solche, und abgesehen von dem bestimmten Inhalt un¬
seres Denkens, beziehen; sie soll die Formen und Gesetze
des Denkens darstellen, über die Gegenstände dagegen,
welche mittelst derselben erkannt werden können, nichts
aussagen. Dieser älteren Logik hat sich jedoch in der
neueren Zeit, bei Hegel und seinen Nachfolgern, eine
andere entgegengestellt. Diese will nicht blos eine Er¬
kenntniss der Denkformen, sondern zugleich auch eine
Erkenntniss des Wirklichen, das Gegenstand unseres
Denkens ist, gewähren; sie will nicht blos Logik, son¬
dern zugleich auch Metaphysik sein, und sie selbst
nennt sich desshalb, im Gegensatz zu der gewöhnlichen,
blos formalen Logik, die spekulative. Meiner Ansicht
nach ist diese Gleichstellung der Logik mit der Meta¬
physik oder dem ontologischen Theile der Metaphysik
nicht zulässig. Man sagt zwar, die Form lasse sich vom
Inhalt nicht trennen; blosse Denkformen, die auf jeden
beliebigen Inhalt gleich gut angewandt werden könnten,
wären ohne Wahrheit; nur dann werden die Formen un¬
seres Denkens auf objektive Gültigkeit Anspruch machen
können, wenn in ihnen zugleich die Grundbestimmungen
des Seins erkannt werden, welche als die gegenständ¬
lichen Begriffe das Wesen der Dinge selbst bilden. Gegen
diese Beweisführung lässt sich jedoch Manches einwenden.
Für’s Erste nämlich ist es immer uneigentlich gesprochen,
wenn man sagt, die Gedanken seien das Wesen der
Dinge, denn dieses Wesen ist wohl Gegenstand unseres
Denkens, aber nicht unmittelbar an sich selbst Gedanke;

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[6/0010] solche, und abgesehen von dem bestimmten Inhalt un¬ seres Denkens, beziehen; sie soll die Formen und Gesetze des Denkens darstellen, über die Gegenstände dagegen, welche mittelst derselben erkannt werden können, nichts aussagen. Dieser älteren Logik hat sich jedoch in der neueren Zeit, bei Hegel und seinen Nachfolgern, eine andere entgegengestellt. Diese will nicht blos eine Er¬ kenntniss der Denkformen, sondern zugleich auch eine Erkenntniss des Wirklichen, das Gegenstand unseres Denkens ist, gewähren; sie will nicht blos Logik, son¬ dern zugleich auch Metaphysik sein, und sie selbst nennt sich desshalb, im Gegensatz zu der gewöhnlichen, blos formalen Logik, die spekulative. Meiner Ansicht nach ist diese Gleichstellung der Logik mit der Meta¬ physik oder dem ontologischen Theile der Metaphysik nicht zulässig. Man sagt zwar, die Form lasse sich vom Inhalt nicht trennen; blosse Denkformen, die auf jeden beliebigen Inhalt gleich gut angewandt werden könnten, wären ohne Wahrheit; nur dann werden die Formen un¬ seres Denkens auf objektive Gültigkeit Anspruch machen können, wenn in ihnen zugleich die Grundbestimmungen des Seins erkannt werden, welche als die gegenständ¬ lichen Begriffe das Wesen der Dinge selbst bilden. Gegen diese Beweisführung lässt sich jedoch Manches einwenden. Für’s Erste nämlich ist es immer uneigentlich gesprochen, wenn man sagt, die Gedanken seien das Wesen der Dinge, denn dieses Wesen ist wohl Gegenstand unseres Denkens, aber nicht unmittelbar an sich selbst Gedanke;

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Zitationshilfe: Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/10>, abgerufen am 29.03.2024.