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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
Dem gantzen Egiptischen Staht war daran gelegen/
daß die Königlichen Treume recht gründlich ausgele-
get würden. Einer dachte dis/ der andere das. Einer
gab diesen/ der andere jenen raht. Aber aus allen diesen
rahtschlägen ward kein endschlus. Niemand wuste/
wie man in dieser wüchtigen sache verfahren solte. End-
lich ward den Wahrsagern und Traumdeutern ein
tag zur bedenkzeit gegeben. Ja der König befahl ihnen
ausdrüklich/ daß sie vor ihm/ bei verlust ihres lebens/
ohne die deutung seiner treume nicht erscheinen solten.
Und hiermit wanderten sie hin.

Nitokris lag eben im fenster/ als die Egiptischen
Weisen und Traumdeuter vom Könige kahmen. Sie
sahe/ wie heftig sie untereinander stritten. Sie märk-
te es aus ihren gebährden/ daß etwas sonderliches müste
vor handen sein. Geschwinde schikte sie hin zu erfahren/
was es were. Sie bekahm bescheid/ daß der König in
der vergangenen nachnacht zween unterschiedliche Treu-
me gehabt: darüber er sehr entstellet sei. Er hette des-
wegen alle Kaldeer/ samt den Egiptischen Traum-
deutern/ entbohten. Aber keiner wüste sie auszulegen.
Niemand von allen hette einigen bescheid gegeben.
Selbst die Reichsstände weren deswegen überaus be-
stürtzt. Der König hette sie versamlet/ ihr rahtsbeden-
ken einzuziehen. Aber da sei kein raht zu finden.

Nun sahe Nitokris die zeit gebohren/ da sie den
Josef erlösen könte. Nun sahe sie die endliche erfüllung
ihres und der Semesse traumes vor der tühre. Nun
war es keine zeit mehr zu schlafen. Vor drei tagen
hatte sie dem Josef in geheim ein stükke geldes/ mit ei-
nem köstlichen seidenen zeuge zum kleide/ geschikt. Dar-
bei hatte sie schriftlich erinnert/ daß er solches kleid aufs
zierlichste und zur stunde solte verfärtigen laßen. In
zwee tagen würde der König seinen Jahrstag feiren.
Da möchte gelegenheit vorfallen den Josef zu erlösen.

Dar-

Der Aſſenat
Dem gantzen Egiptiſchen Staht war daran gelegen/
daß die Koͤniglichen Treume recht gruͤndlich ausgele-
get wuͤrden. Einer dachte dis/ der andere das. Einer
gab dieſen/ der andere jenen raht. Aber aus allen dieſen
rahtſchlaͤgen ward kein endſchlus. Niemand wuſte/
wie man in dieſer wuͤchtigen ſache verfahren ſolte. End-
lich ward den Wahrſagern und Traumdeutern ein
tag zur bedenkzeit gegeben. Ja der Koͤnig befahl ihnen
ausdruͤklich/ daß ſie vor ihm/ bei verluſt ihres lebens/
ohne die deutung ſeiner treume nicht erſcheinen ſolten.
Und hiermit wanderten ſie hin.

Nitokris lag eben im fenſter/ als die Egiptiſchen
Weiſen und Traumdeuter vom Koͤnige kahmen. Sie
ſahe/ wie heftig ſie untereinander ſtritten. Sie maͤrk-
te es aus ihren gebaͤhrden/ daß etwas ſonderliches muͤſte
vor handen ſein. Geſchwinde ſchikte ſie hin zu erfahren/
was es were. Sie bekahm beſcheid/ daß der Koͤnig in
der vergangenen nachnacht zween unterſchiedliche Treu-
me gehabt: daruͤber er ſehr entſtellet ſei. Er hette des-
wegen alle Kaldeer/ ſamt den Egiptiſchen Traum-
deutern/ entbohten. Aber keiner wuͤſte ſie auszulegen.
Niemand von allen hette einigen beſcheid gegeben.
Selbſt die Reichsſtaͤnde weren deswegen uͤberaus be-
ſtuͤrtzt. Der Koͤnig hette ſie verſamlet/ ihr rahtsbeden-
ken einzuziehen. Aber da ſei kein raht zu finden.

Nun ſahe Nitokris die zeit gebohren/ da ſie den
Joſef erloͤſen koͤnte. Nun ſahe ſie die endliche erfuͤllung
ihres und der Semeſſe traumes vor der tuͤhre. Nun
war es keine zeit mehr zu ſchlafen. Vor drei tagen
hatte ſie dem Joſef in geheim ein ſtuͤkke geldes/ mit ei-
nem koͤſtlichen ſeidenen zeuge zum kleide/ geſchikt. Dar-
bei hatte ſie ſchriftlich erinnert/ daß er ſolches kleid aufs
zierlichſte und zur ſtunde ſolte verfaͤrtigen laßen. In
zwee tagen wuͤrde der Koͤnig ſeinen Jahrstag feiren.
Da moͤchte gelegenheit vorfallen den Joſef zu erloͤſen.

Dar-
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[164/0188] Der Aſſenat Dem gantzen Egiptiſchen Staht war daran gelegen/ daß die Koͤniglichen Treume recht gruͤndlich ausgele- get wuͤrden. Einer dachte dis/ der andere das. Einer gab dieſen/ der andere jenen raht. Aber aus allen dieſen rahtſchlaͤgen ward kein endſchlus. Niemand wuſte/ wie man in dieſer wuͤchtigen ſache verfahren ſolte. End- lich ward den Wahrſagern und Traumdeutern ein tag zur bedenkzeit gegeben. Ja der Koͤnig befahl ihnen ausdruͤklich/ daß ſie vor ihm/ bei verluſt ihres lebens/ ohne die deutung ſeiner treume nicht erſcheinen ſolten. Und hiermit wanderten ſie hin. Nitokris lag eben im fenſter/ als die Egiptiſchen Weiſen und Traumdeuter vom Koͤnige kahmen. Sie ſahe/ wie heftig ſie untereinander ſtritten. Sie maͤrk- te es aus ihren gebaͤhrden/ daß etwas ſonderliches muͤſte vor handen ſein. Geſchwinde ſchikte ſie hin zu erfahren/ was es were. Sie bekahm beſcheid/ daß der Koͤnig in der vergangenen nachnacht zween unterſchiedliche Treu- me gehabt: daruͤber er ſehr entſtellet ſei. Er hette des- wegen alle Kaldeer/ ſamt den Egiptiſchen Traum- deutern/ entbohten. Aber keiner wuͤſte ſie auszulegen. Niemand von allen hette einigen beſcheid gegeben. Selbſt die Reichsſtaͤnde weren deswegen uͤberaus be- ſtuͤrtzt. Der Koͤnig hette ſie verſamlet/ ihr rahtsbeden- ken einzuziehen. Aber da ſei kein raht zu finden. Nun ſahe Nitokris die zeit gebohren/ da ſie den Joſef erloͤſen koͤnte. Nun ſahe ſie die endliche erfuͤllung ihres und der Semeſſe traumes vor der tuͤhre. Nun war es keine zeit mehr zu ſchlafen. Vor drei tagen hatte ſie dem Joſef in geheim ein ſtuͤkke geldes/ mit ei- nem koͤſtlichen ſeidenen zeuge zum kleide/ geſchikt. Dar- bei hatte ſie ſchriftlich erinnert/ daß er ſolches kleid aufs zierlichſte und zur ſtunde ſolte verfaͤrtigen laßen. In zwee tagen wuͤrde der Koͤnig ſeinen Jahrstag feiren. Da moͤchte gelegenheit vorfallen den Joſef zu erloͤſen. Dar-

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/188>, abgerufen am 25.04.2024.