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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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Landkreise, den Kreistagen. Jm Wahlverband der größeren Grund-
besitzer, der Vertreter von Bergwerks- und Gewerbebetrieben wählen die
Frauen die Kreistagsabgeordneten direkt, in den Landgemeinden aber
indirekt, da dort die Gemeindeversammlungen oder Gemeinderäte nicht
diese Vertreter selbst wählen, vielmehr nur Wahlmänner. Es versteht
sich, daß die Frauen auch in diesem Falle das Stimmrecht durch Stell-
vertreter ausüben müssen. Da die Kreistage Abgeordnete für die Pro-
vinziallandtage wählen, so kann die kleine Zahl wahlberechtigter Frauen
indirekt einen äußerst bescheidenen Einfluß auf die Verwaltung der
Provinz ausüben.

Von der Wählbarkeit zu den Gemeindevertretungen sind die Frauen
überall ausgeschlossen. Jn den letzten Jahren werden dagegen die
Frauen in immer größerer Zahl und mit bestem Erfolg zur Armen- und
Waisenpflege herangezogen, in manchen Städten auch zu Schul-
kommissionen. Die Krankenversicherung ist das einzige öffentliche Ge-
biet, auf dem die Frauen das aktive und passive Wahlrecht besitzen; das
Wahlrecht zu den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten ist ihnen versagt
geblieben.

Jn Deutschland ist die Sozialdemokratie noch heute die einzige
Partei, die geschlossen für die volle politische Gleichberechtigung des weib-
lichen Geschlechts eintritt. Wohl wird diese Forderung noch von einzel-
nen bürgerlichen Politikern verfochten, jedoch steht keine einzige bürger-
liche Partei in ihrer Gesamtheit und konsequent hinter ihr.

A. Br. und C. Z.



Anhang III.
Eine sozialistische Enquete über die sofortige Einführung
des politischen Frauenwahlrechts.

Bei der letzten französischen Parlamentswahl 1906 hatten die Par-
teien der unverhüllten Reaktion schlecht abgeschnitten. Die Niederlage
ließ sie nach Mitteln ausschauen, ihrer Wiederholung in der Zukunft
möglichst vorzubeugen. Not bricht leichter als Eisen auch Grundsätze, die
nicht aus der Gegenwart Lebenskraft saugen, sondern nur noch geistige
Ueberlebsel, Gespenster versunkener oder versinkender sozialer Zustände
sind. Unter den Konservativen, besonders aber unter den ausgesprochen
Klerikalen, wurden trotz aller bisherigen grundsätzlichen Gegnerschaft
gegen die volle soziale Emanzipation des weiblichen Geschlechts Stimmen
laut, welche die sofortige Einführung des Frauenwahlrechts befür-
worteten. Das Warum der plötzlichen Erleuchtung war klar. Die Re-
aktion hoffte, die politische Emanzipation des weiblichen Geschlechts als
brauchbare Magd in ihren Dienst nehmen zu können. Sie wünschte,
die Rückständigkeit großer Kreise der weiblichen Bevölkerung politisch
auszubeuten, dank der Stimmen unaufgeklärter Frauen ihre Herrschaft
zu stärken. Die wachsende Sympathie der Klerikalen für das
Frauenstimmrecht übte auf die Republikaner der bürgerlichen Linken
bis zu den radikalsten hinauf die Wirkung eines Steines aus,
der in einen Froschteich geworfen wird. Es erhob sich ein heftiges
Gequake, das Gequake des Spießbürgers, welcher der geschichtlichen
Entwickelung und den Erscheinungen, welche sie an die Oberfläche des

Landkreise, den Kreistagen. Jm Wahlverband der größeren Grund-
besitzer, der Vertreter von Bergwerks- und Gewerbebetrieben wählen die
Frauen die Kreistagsabgeordneten direkt, in den Landgemeinden aber
indirekt, da dort die Gemeindeversammlungen oder Gemeinderäte nicht
diese Vertreter selbst wählen, vielmehr nur Wahlmänner. Es versteht
sich, daß die Frauen auch in diesem Falle das Stimmrecht durch Stell-
vertreter ausüben müssen. Da die Kreistage Abgeordnete für die Pro-
vinziallandtage wählen, so kann die kleine Zahl wahlberechtigter Frauen
indirekt einen äußerst bescheidenen Einfluß auf die Verwaltung der
Provinz ausüben.

Von der Wählbarkeit zu den Gemeindevertretungen sind die Frauen
überall ausgeschlossen. Jn den letzten Jahren werden dagegen die
Frauen in immer größerer Zahl und mit bestem Erfolg zur Armen- und
Waisenpflege herangezogen, in manchen Städten auch zu Schul-
kommissionen. Die Krankenversicherung ist das einzige öffentliche Ge-
biet, auf dem die Frauen das aktive und passive Wahlrecht besitzen; das
Wahlrecht zu den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten ist ihnen versagt
geblieben.

Jn Deutschland ist die Sozialdemokratie noch heute die einzige
Partei, die geschlossen für die volle politische Gleichberechtigung des weib-
lichen Geschlechts eintritt. Wohl wird diese Forderung noch von einzel-
nen bürgerlichen Politikern verfochten, jedoch steht keine einzige bürger-
liche Partei in ihrer Gesamtheit und konsequent hinter ihr.

A. Br. und C. Z.



Anhang III.
Eine sozialistische Enquete über die sofortige Einführung
des politischen Frauenwahlrechts.

Bei der letzten französischen Parlamentswahl 1906 hatten die Par-
teien der unverhüllten Reaktion schlecht abgeschnitten. Die Niederlage
ließ sie nach Mitteln ausschauen, ihrer Wiederholung in der Zukunft
möglichst vorzubeugen. Not bricht leichter als Eisen auch Grundsätze, die
nicht aus der Gegenwart Lebenskraft saugen, sondern nur noch geistige
Ueberlebsel, Gespenster versunkener oder versinkender sozialer Zustände
sind. Unter den Konservativen, besonders aber unter den ausgesprochen
Klerikalen, wurden trotz aller bisherigen grundsätzlichen Gegnerschaft
gegen die volle soziale Emanzipation des weiblichen Geschlechts Stimmen
laut, welche die sofortige Einführung des Frauenwahlrechts befür-
worteten. Das Warum der plötzlichen Erleuchtung war klar. Die Re-
aktion hoffte, die politische Emanzipation des weiblichen Geschlechts als
brauchbare Magd in ihren Dienst nehmen zu können. Sie wünschte,
die Rückständigkeit großer Kreise der weiblichen Bevölkerung politisch
auszubeuten, dank der Stimmen unaufgeklärter Frauen ihre Herrschaft
zu stärken. Die wachsende Sympathie der Klerikalen für das
Frauenstimmrecht übte auf die Republikaner der bürgerlichen Linken
bis zu den radikalsten hinauf die Wirkung eines Steines aus,
der in einen Froschteich geworfen wird. Es erhob sich ein heftiges
Gequake, das Gequake des Spießbürgers, welcher der geschichtlichen
Entwickelung und den Erscheinungen, welche sie an die Oberfläche des

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[73/0083] Landkreise, den Kreistagen. Jm Wahlverband der größeren Grund- besitzer, der Vertreter von Bergwerks- und Gewerbebetrieben wählen die Frauen die Kreistagsabgeordneten direkt, in den Landgemeinden aber indirekt, da dort die Gemeindeversammlungen oder Gemeinderäte nicht diese Vertreter selbst wählen, vielmehr nur Wahlmänner. Es versteht sich, daß die Frauen auch in diesem Falle das Stimmrecht durch Stell- vertreter ausüben müssen. Da die Kreistage Abgeordnete für die Pro- vinziallandtage wählen, so kann die kleine Zahl wahlberechtigter Frauen indirekt einen äußerst bescheidenen Einfluß auf die Verwaltung der Provinz ausüben. Von der Wählbarkeit zu den Gemeindevertretungen sind die Frauen überall ausgeschlossen. Jn den letzten Jahren werden dagegen die Frauen in immer größerer Zahl und mit bestem Erfolg zur Armen- und Waisenpflege herangezogen, in manchen Städten auch zu Schul- kommissionen. Die Krankenversicherung ist das einzige öffentliche Ge- biet, auf dem die Frauen das aktive und passive Wahlrecht besitzen; das Wahlrecht zu den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten ist ihnen versagt geblieben. Jn Deutschland ist die Sozialdemokratie noch heute die einzige Partei, die geschlossen für die volle politische Gleichberechtigung des weib- lichen Geschlechts eintritt. Wohl wird diese Forderung noch von einzel- nen bürgerlichen Politikern verfochten, jedoch steht keine einzige bürger- liche Partei in ihrer Gesamtheit und konsequent hinter ihr. A. Br. und C. Z. Anhang III. Eine sozialistische Enquete über die sofortige Einführung des politischen Frauenwahlrechts. Bei der letzten französischen Parlamentswahl 1906 hatten die Par- teien der unverhüllten Reaktion schlecht abgeschnitten. Die Niederlage ließ sie nach Mitteln ausschauen, ihrer Wiederholung in der Zukunft möglichst vorzubeugen. Not bricht leichter als Eisen auch Grundsätze, die nicht aus der Gegenwart Lebenskraft saugen, sondern nur noch geistige Ueberlebsel, Gespenster versunkener oder versinkender sozialer Zustände sind. Unter den Konservativen, besonders aber unter den ausgesprochen Klerikalen, wurden trotz aller bisherigen grundsätzlichen Gegnerschaft gegen die volle soziale Emanzipation des weiblichen Geschlechts Stimmen laut, welche die sofortige Einführung des Frauenwahlrechts befür- worteten. Das Warum der plötzlichen Erleuchtung war klar. Die Re- aktion hoffte, die politische Emanzipation des weiblichen Geschlechts als brauchbare Magd in ihren Dienst nehmen zu können. Sie wünschte, die Rückständigkeit großer Kreise der weiblichen Bevölkerung politisch auszubeuten, dank der Stimmen unaufgeklärter Frauen ihre Herrschaft zu stärken. Die wachsende Sympathie der Klerikalen für das Frauenstimmrecht übte auf die Republikaner der bürgerlichen Linken bis zu den radikalsten hinauf die Wirkung eines Steines aus, der in einen Froschteich geworfen wird. Es erhob sich ein heftiges Gequake, das Gequake des Spießbürgers, welcher der geschichtlichen Entwickelung und den Erscheinungen, welche sie an die Oberfläche des

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/83>, abgerufen am 25.04.2024.