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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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II.
Die Schriftlehre vom Arstande.

Wozu das bisherige lange Verweilen bei den kirchlichen Lehr-
meinungen über unsren Gegenstand? Warum in den trüben Ge-
wässern der Tradition lange herumrühren, wenn der Zutritt zum
lauteren Brunnen der Schrift freisteht? -- Es sind nicht blos die
principiellen Traditionsfeinde unter unsern Lesern, die Vertreter
eines einseitigen Biblicismus, die so fragen werden. Auch bei
manchem Leser kirchlichen Standpunktes ist vielleicht einige Ermüdung
entstanden ob unserer Umständlichkeit im Aufzählen von theils
flüchtig hingeworfenen Meinungsäußerungen, theils ausgebildeteren
Hypothesen, um welche sich längst Niemand mehr kümmert, die
wenigstens beträchtlicher Umbildungen, Modificationen und Reduc-
tionen bedürftig erscheinen, falls sie Gegenstand ernsthafter wissen-
schaftlicher Erörterung werden sollen.

Wir gestehen diesen Bedenken principiell eine gewisse Berech-
tigung zu, glauben aber dennoch nichts Ueberflüssiges gethan zu
haben, wenn wir den aus dem Schriftgrunde im Lauf der Jahr-
hunderte hervorgesproßten und theilweise zu üppigem Buschwerk und
Gestrüppe emporgewucherten Aeußerungen und Muthmaaßungen kirch-
licher Lehrer und Schriftsteller über unser Gebiet einige Aufmerksam-
keit widmeten. Dem durch die labyrinthischen Jrrgänge menschlicher
Speculationen Ermüdeten mundet das frische Quellwasser der bib-
lischen Wahrheit desto erquicklicher. Es sind aber nicht einmal
schlechtweg Labyrinthe oder verworrene und verwickelte Lehrsätze,

II.
Die Schriftlehre vom Arſtande.

Wozu das bisherige lange Verweilen bei den kirchlichen Lehr-
meinungen über unſren Gegenſtand? Warum in den trüben Ge-
wäſſern der Tradition lange herumrühren, wenn der Zutritt zum
lauteren Brunnen der Schrift freiſteht? — Es ſind nicht blos die
principiellen Traditionsfeinde unter unſern Leſern, die Vertreter
eines einſeitigen Biblicismus, die ſo fragen werden. Auch bei
manchem Leſer kirchlichen Standpunktes iſt vielleicht einige Ermüdung
entſtanden ob unſerer Umſtändlichkeit im Aufzählen von theils
flüchtig hingeworfenen Meinungsäußerungen, theils ausgebildeteren
Hypotheſen, um welche ſich längſt Niemand mehr kümmert, die
wenigſtens beträchtlicher Umbildungen, Modificationen und Reduc-
tionen bedürftig erſcheinen, falls ſie Gegenſtand ernſthafter wiſſen-
ſchaftlicher Erörterung werden ſollen.

Wir geſtehen dieſen Bedenken principiell eine gewiſſe Berech-
tigung zu, glauben aber dennoch nichts Ueberflüſſiges gethan zu
haben, wenn wir den aus dem Schriftgrunde im Lauf der Jahr-
hunderte hervorgeſproßten und theilweiſe zu üppigem Buſchwerk und
Geſtrüppe emporgewucherten Aeußerungen und Muthmaaßungen kirch-
licher Lehrer und Schriftſteller über unſer Gebiet einige Aufmerkſam-
keit widmeten. Dem durch die labyrinthiſchen Jrrgänge menſchlicher
Speculationen Ermüdeten mundet das friſche Quellwaſſer der bib-
liſchen Wahrheit deſto erquicklicher. Es ſind aber nicht einmal
ſchlechtweg Labyrinthe oder verworrene und verwickelte Lehrſätze,

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[[54]/0064] II. Die Schriftlehre vom Arſtande. Wozu das bisherige lange Verweilen bei den kirchlichen Lehr- meinungen über unſren Gegenſtand? Warum in den trüben Ge- wäſſern der Tradition lange herumrühren, wenn der Zutritt zum lauteren Brunnen der Schrift freiſteht? — Es ſind nicht blos die principiellen Traditionsfeinde unter unſern Leſern, die Vertreter eines einſeitigen Biblicismus, die ſo fragen werden. Auch bei manchem Leſer kirchlichen Standpunktes iſt vielleicht einige Ermüdung entſtanden ob unſerer Umſtändlichkeit im Aufzählen von theils flüchtig hingeworfenen Meinungsäußerungen, theils ausgebildeteren Hypotheſen, um welche ſich längſt Niemand mehr kümmert, die wenigſtens beträchtlicher Umbildungen, Modificationen und Reduc- tionen bedürftig erſcheinen, falls ſie Gegenſtand ernſthafter wiſſen- ſchaftlicher Erörterung werden ſollen. Wir geſtehen dieſen Bedenken principiell eine gewiſſe Berech- tigung zu, glauben aber dennoch nichts Ueberflüſſiges gethan zu haben, wenn wir den aus dem Schriftgrunde im Lauf der Jahr- hunderte hervorgeſproßten und theilweiſe zu üppigem Buſchwerk und Geſtrüppe emporgewucherten Aeußerungen und Muthmaaßungen kirch- licher Lehrer und Schriftſteller über unſer Gebiet einige Aufmerkſam- keit widmeten. Dem durch die labyrinthiſchen Jrrgänge menſchlicher Speculationen Ermüdeten mundet das friſche Quellwaſſer der bib- liſchen Wahrheit deſto erquicklicher. Es ſind aber nicht einmal ſchlechtweg Labyrinthe oder verworrene und verwickelte Lehrſätze,

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. [54]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/64>, abgerufen am 28.03.2024.