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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IX.
Das Alter des Menschengeschlechts.

Wie weit liegt die paradiesische Urzeit sammt dem Makrobier-
thum im Hause Seths als ihrer Abendröthe jetzt hinter uns? Sind
die Angaben des biblischen Berichts, aus welchen sich das Verstrichen-
sein von etwa sechs Jahrtausenden seit jener und von 41/2--5 Jahr-
tausenden seit dieser ergibt, als genau zu betrachten, oder hat man
darin Lücken zu muthmaaßen, ja vielleicht gar ihren mythischen
Charakter anzunehmen? Hat man mit Chalmers, Prichard, de Sacy,
le Hir, Hamy, Lenormant, Malet und andren zwar bibelfreundlichen,
zugleich aber auch der modernen Naturforschung Rechnung tragenden
Gelehrten sich bei dem Satze zu beruhigen: daß die Bibel ein be-
stimmtes chronologisches System nicht habe und daß deßhalb ein An-
schluß an die neuerdings beliebten Altersschätzungen dem schriftgläubigen
Christen durch Nichts verwehrt sei?1) Oder ist bei den 4004 Jahren

1) "Il n'y a pas de chronologie biblique", pflegte der berühmte Orien-
talist Sylvestre de Sacy zu sagen; ähnlich le Hir: "La chronologie biblique
flotte indecise; c'est aux sciences humaines qu'il appartient de retrouver
la date de la creation de notre espece."
Wesentlich so schon Chalmers
in seiner "Kritik von Cuviers Erdbildungstheorie" (1814): "The sacred writings
do not fix the antiquity of the Globe".
Ferner Prichard in seiner "Natürl.
Geschichte des Menschengeschlechts", sowie neuerdings Hamy und Lenormant
in des Letzteren "Les premieres civilisations" (Par. 1874). I, 53; auch der
biblische Jesuit Bellynck, Etudes religieuses, 4. Serie, I, 1868, sowie der
Engländer H. P. Malet, The age of the earth (im Lond. Geogr. Magazine,
Febr. 1877).
Zöckler, Urstand. 19
IX.
Das Alter des Menſchengeſchlechts.

Wie weit liegt die paradieſiſche Urzeit ſammt dem Makrobier-
thum im Hauſe Seths als ihrer Abendröthe jetzt hinter uns? Sind
die Angaben des bibliſchen Berichts, aus welchen ſich das Verſtrichen-
ſein von etwa ſechs Jahrtauſenden ſeit jener und von 4½—5 Jahr-
tauſenden ſeit dieſer ergibt, als genau zu betrachten, oder hat man
darin Lücken zu muthmaaßen, ja vielleicht gar ihren mythiſchen
Charakter anzunehmen? Hat man mit Chalmers, Prichard, de Sacy,
le Hir, Hamy, Lenormant, Malet und andren zwar bibelfreundlichen,
zugleich aber auch der modernen Naturforſchung Rechnung tragenden
Gelehrten ſich bei dem Satze zu beruhigen: daß die Bibel ein be-
ſtimmtes chronologiſches Syſtem nicht habe und daß deßhalb ein An-
ſchluß an die neuerdings beliebten Altersſchätzungen dem ſchriftgläubigen
Chriſten durch Nichts verwehrt ſei?1) Oder iſt bei den 4004 Jahren

1) „Il n’y a pas de chronologie biblique‟, pflegte der berühmte Orien-
taliſt Sylveſtre de Sacy zu ſagen; ähnlich le Hir: „La chronologie biblique
flotte indécise; c’est aux sciences humaines qu’il appartient de retrouver
la date de la création de notre espèce.‟
Weſentlich ſo ſchon Chalmers
in ſeiner „Kritik von Cuviers Erdbildungstheorie‟ (1814): „The sacred writings
do not fix the antiquity of the Globe‟.
Ferner Prichard in ſeiner „Natürl.
Geſchichte des Menſchengeſchlechts‟, ſowie neuerdings Hamy und Lenormant
in des Letzteren „Les premières civilisations‟ (Par. 1874). I, 53; auch der
bibliſche Jeſuit Bellynck, Études religieuses, 4. Série, I, 1868, ſowie der
Engländer H. P. Malet, The age of the earth (im Lond. Geogr. Magazine,
Febr. 1877).
Zöckler, Urſtand. 19
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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. [289]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/299>, abgerufen am 28.03.2024.