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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IX. Das Alter des Menschengeschlechts.
des Erzbischofs Usher als der verbreitetsten biblisch-orthodoxen
Abschätzung des Zeitraums zwischen Adams Erschaffung und Christi
Geburt stehen zu bleiben, oder auch die rabbinisch-jüdische Ziffer von
5640 Jahren als "seit Erschaffung der Welt" verstrichen blindlings
zu adoptiren?

Die vollständige Erledigung der Frage mit Allem, was sie in
sich schließt, würde ein besondres Buch erfordern. Glücklicherweise
liegt das Altersproblem als solches nicht unmittelbar am Wege der
uns beschäftigenden Untersuchung. Wir übergehen zunächst alle der-
artige Vorfragen, wie die ob die eben genannte jüdische Weltära
des Rabbi Hillel ha Rassi (um 350) Ansprüche auf hervorragende
Geltung habe, oder ob jener Usherschen Fixirung des Zwischenraums
zwischen Adam und Christus auf 4004 Jahre eine der vielen mit
ihr rivalisirenden andrer neuerer Chronologen vorzuziehen sei, z. B.
die des Scaliger und Calvisius (3950 II.), oder Keplers und
Petau's (3984), oder Bengels (3943), oder Jdeler's (4006)? Das
ungefähre Uebereinkommen aller auf die Basis des hebräischen Textes
gegründeter Berechnungen bei der runden Summe von 4000 Jahren
genügt uns. Eine völlig exakte Uebereinstimmung läßt sich bei den
mancherlei Unbestimmtheiten der biblischen Angaben und dem wieder-
holten Vorkommen unbekannter Größen in der Reihe der von ihnen
umspannten Zeiträume schlechterdings nicht erwarten; das mehr oder
weniger Unbestimmte der biblischen Geschlechtsregister überhaupt
eignet selbstverständlich auch den Patriarchen-Genealogieen (vgl. unten).
-- Jn der etwa anderthalb Jahrtausende Verlängerung für die
Zwischenzeit zwischen dem Paradies und der Erlösung ergebenden
Aera der alexandrinischen Bibel können wir keine derartige Berich-
tigung der Angaben des Grundtextes erblicken, welche aus historisch-
kritischen Gründen, oder auch wegen größerer Annäherung an die
Altersberechnungen der modernen Wissenschaft, bevorzugt zu werden
verdiente. Ein starkes Schwanken zwischen höheren und niederen
Ziffern findet ja auch überall da, wo diese Septuaginta-Chronologie
zu Grunde gelegt wird, statt; man vergleiche nur die 5624 Jahre

IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts.
des Erzbiſchofs Uſher als der verbreitetſten bibliſch-orthodoxen
Abſchätzung des Zeitraums zwiſchen Adams Erſchaffung und Chriſti
Geburt ſtehen zu bleiben, oder auch die rabbiniſch-jüdiſche Ziffer von
5640 Jahren als „ſeit Erſchaffung der Welt‟ verſtrichen blindlings
zu adoptiren?

Die vollſtändige Erledigung der Frage mit Allem, was ſie in
ſich ſchließt, würde ein beſondres Buch erfordern. Glücklicherweiſe
liegt das Altersproblem als ſolches nicht unmittelbar am Wege der
uns beſchäftigenden Unterſuchung. Wir übergehen zunächſt alle der-
artige Vorfragen, wie die ob die eben genannte jüdiſche Weltära
des Rabbi Hillel ha Raſſi (um 350) Anſprüche auf hervorragende
Geltung habe, oder ob jener Uſherſchen Fixirung des Zwiſchenraums
zwiſchen Adam und Chriſtus auf 4004 Jahre eine der vielen mit
ihr rivaliſirenden andrer neuerer Chronologen vorzuziehen ſei, z. B.
die des Scaliger und Calviſius (3950 II.), oder Keplers und
Petau’s (3984), oder Bengels (3943), oder Jdeler’s (4006)? Das
ungefähre Uebereinkommen aller auf die Baſis des hebräiſchen Textes
gegründeter Berechnungen bei der runden Summe von 4000 Jahren
genügt uns. Eine völlig exakte Uebereinſtimmung läßt ſich bei den
mancherlei Unbeſtimmtheiten der bibliſchen Angaben und dem wieder-
holten Vorkommen unbekannter Größen in der Reihe der von ihnen
umſpannten Zeiträume ſchlechterdings nicht erwarten; das mehr oder
weniger Unbeſtimmte der bibliſchen Geſchlechtsregiſter überhaupt
eignet ſelbſtverſtändlich auch den Patriarchen-Genealogieen (vgl. unten).
— Jn der etwa anderthalb Jahrtauſende Verlängerung für die
Zwiſchenzeit zwiſchen dem Paradies und der Erlöſung ergebenden
Aera der alexandriniſchen Bibel können wir keine derartige Berich-
tigung der Angaben des Grundtextes erblicken, welche aus hiſtoriſch-
kritiſchen Gründen, oder auch wegen größerer Annäherung an die
Altersberechnungen der modernen Wiſſenſchaft, bevorzugt zu werden
verdiente. Ein ſtarkes Schwanken zwiſchen höheren und niederen
Ziffern findet ja auch überall da, wo dieſe Septuaginta-Chronologie
zu Grunde gelegt wird, ſtatt; man vergleiche nur die 5624 Jahre

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[290/0300] IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts. des Erzbiſchofs Uſher als der verbreitetſten bibliſch-orthodoxen Abſchätzung des Zeitraums zwiſchen Adams Erſchaffung und Chriſti Geburt ſtehen zu bleiben, oder auch die rabbiniſch-jüdiſche Ziffer von 5640 Jahren als „ſeit Erſchaffung der Welt‟ verſtrichen blindlings zu adoptiren? Die vollſtändige Erledigung der Frage mit Allem, was ſie in ſich ſchließt, würde ein beſondres Buch erfordern. Glücklicherweiſe liegt das Altersproblem als ſolches nicht unmittelbar am Wege der uns beſchäftigenden Unterſuchung. Wir übergehen zunächſt alle der- artige Vorfragen, wie die ob die eben genannte jüdiſche Weltära des Rabbi Hillel ha Raſſi (um 350) Anſprüche auf hervorragende Geltung habe, oder ob jener Uſherſchen Fixirung des Zwiſchenraums zwiſchen Adam und Chriſtus auf 4004 Jahre eine der vielen mit ihr rivaliſirenden andrer neuerer Chronologen vorzuziehen ſei, z. B. die des Scaliger und Calviſius (3950 II.), oder Keplers und Petau’s (3984), oder Bengels (3943), oder Jdeler’s (4006)? Das ungefähre Uebereinkommen aller auf die Baſis des hebräiſchen Textes gegründeter Berechnungen bei der runden Summe von 4000 Jahren genügt uns. Eine völlig exakte Uebereinſtimmung läßt ſich bei den mancherlei Unbeſtimmtheiten der bibliſchen Angaben und dem wieder- holten Vorkommen unbekannter Größen in der Reihe der von ihnen umſpannten Zeiträume ſchlechterdings nicht erwarten; das mehr oder weniger Unbeſtimmte der bibliſchen Geſchlechtsregiſter überhaupt eignet ſelbſtverſtändlich auch den Patriarchen-Genealogieen (vgl. unten). — Jn der etwa anderthalb Jahrtauſende Verlängerung für die Zwiſchenzeit zwiſchen dem Paradies und der Erlöſung ergebenden Aera der alexandriniſchen Bibel können wir keine derartige Berich- tigung der Angaben des Grundtextes erblicken, welche aus hiſtoriſch- kritiſchen Gründen, oder auch wegen größerer Annäherung an die Altersberechnungen der modernen Wiſſenſchaft, bevorzugt zu werden verdiente. Ein ſtarkes Schwanken zwiſchen höheren und niederen Ziffern findet ja auch überall da, wo dieſe Septuaginta-Chronologie zu Grunde gelegt wird, ſtatt; man vergleiche nur die 5624 Jahre

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/300>, abgerufen am 25.04.2024.