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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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diesen auf die Linse fallenden Strahlen, deren Menge man aus
der Größe und Entfernung der Linse berechnen kann, sind nur
in dem Bilde ab angekommen, und so hat man alles, was zu Be-
rechnung der Erleuchtung in ab erforderlich ist, nur die Weiße des
Papieres AB nicht. Ergiebt nun das Experiment die Größe der
Erleuchtung in ab derjenigen gleich, welche die Tafel bc unmit-
telbar erhält, so findet man, wie viele der auffallenden Strahlen
das Papier AB zurückgiebt, oder welche Weiße dieses hat. Lam-
bert findet, daß nur 2/5 der Strahlen, selbst vom weißesten Pa-
piere, zurückgeworfen werden, -- eine Bestimmung, die wohl
nicht weit von der Wahrheit entfernt sein kann.

Das Auge.

Der Gebrauch dieser Linsengläser ist ein sehr vielfacher, aber
ehe ich angeben kann, wie sie uns dienen, besser zu sehen, deut-
licher zu sehen, die Gegenstände vergrößert zu sehen, muß ich das
wunderbare Organ, wodurch wir überhaupt sehen, beschreiben. --
Wodurch wir sehen! -- ohne welches alle diese Erscheinungen des
Lichtes nicht für uns da wären, ohne welches die Verbindung mit
der Außenwelt fast auf die Entfernung, welche unsre Hand erreicht,
beschränkt, und selbst die regste Thätigkeit unsers Geistes gehemmt
wäre. O Glück des Sehens! -- So wenig es dem ernsten Fort-
schreiten eines wissenschaftlichen Vortrages angemessen sein mag,
Empfindungen auszusprechen, so ist doch der Gedanke, was alles
wir dem Auge verdanken, ein zu wichtiger und großer, um ihm
nicht einige Augenblicke zu widmen. Selbst der Blinde lernt nicht
ganz die Noth und Beschränktheit kennen, die uns drücken würde,
wenn wir der Augen ganz beraubt wären, denn fremde Augen,
mögen sie auch nur einen geringen Theil dessen ersetzen, was ihm
fehlt, sehen doch für ihn. Selbst die dunkelste Nacht giebt uns
nur in den seltensten Fällen auf wenige Augenblicke einen Begriff
vom Nichtsehen, und doch klagen wir, daß die Nacht keines Men-
schen Freund ist, daß tausend Gefahren uns, von uns unbemerkt,
bedrohen können, denen wir durch Klugheit oder Entschlossenheit
am Tage leicht entgehen würden, wenn wir sie nur wenige Augen-
blicke vorher sähen. Ein einziger Blick führt uns unzählige neue
Vorstellungen zu. Ein einziger Blick bestimmt unsern Entschluß

dieſen auf die Linſe fallenden Strahlen, deren Menge man aus
der Groͤße und Entfernung der Linſe berechnen kann, ſind nur
in dem Bilde ab angekommen, und ſo hat man alles, was zu Be-
rechnung der Erleuchtung in ab erforderlich iſt, nur die Weiße des
Papieres AB nicht. Ergiebt nun das Experiment die Groͤße der
Erleuchtung in ab derjenigen gleich, welche die Tafel bc unmit-
telbar erhaͤlt, ſo findet man, wie viele der auffallenden Strahlen
das Papier AB zuruͤckgiebt, oder welche Weiße dieſes hat. Lam-
bert findet, daß nur ⅖ der Strahlen, ſelbſt vom weißeſten Pa-
piere, zuruͤckgeworfen werden, — eine Beſtimmung, die wohl
nicht weit von der Wahrheit entfernt ſein kann.

Das Auge.

Der Gebrauch dieſer Linſenglaͤſer iſt ein ſehr vielfacher, aber
ehe ich angeben kann, wie ſie uns dienen, beſſer zu ſehen, deut-
licher zu ſehen, die Gegenſtaͤnde vergroͤßert zu ſehen, muß ich das
wunderbare Organ, wodurch wir uͤberhaupt ſehen, beſchreiben. —
Wodurch wir ſehen! — ohne welches alle dieſe Erſcheinungen des
Lichtes nicht fuͤr uns da waͤren, ohne welches die Verbindung mit
der Außenwelt faſt auf die Entfernung, welche unſre Hand erreicht,
beſchraͤnkt, und ſelbſt die regſte Thaͤtigkeit unſers Geiſtes gehemmt
waͤre. O Gluͤck des Sehens! — So wenig es dem ernſten Fort-
ſchreiten eines wiſſenſchaftlichen Vortrages angemeſſen ſein mag,
Empfindungen auszuſprechen, ſo iſt doch der Gedanke, was alles
wir dem Auge verdanken, ein zu wichtiger und großer, um ihm
nicht einige Augenblicke zu widmen. Selbſt der Blinde lernt nicht
ganz die Noth und Beſchraͤnktheit kennen, die uns druͤcken wuͤrde,
wenn wir der Augen ganz beraubt waͤren, denn fremde Augen,
moͤgen ſie auch nur einen geringen Theil deſſen erſetzen, was ihm
fehlt, ſehen doch fuͤr ihn. Selbſt die dunkelſte Nacht giebt uns
nur in den ſeltenſten Faͤllen auf wenige Augenblicke einen Begriff
vom Nichtſehen, und doch klagen wir, daß die Nacht keines Men-
ſchen Freund iſt, daß tauſend Gefahren uns, von uns unbemerkt,
bedrohen koͤnnen, denen wir durch Klugheit oder Entſchloſſenheit
am Tage leicht entgehen wuͤrden, wenn wir ſie nur wenige Augen-
blicke vorher ſaͤhen. Ein einziger Blick fuͤhrt uns unzaͤhlige neue
Vorſtellungen zu. Ein einziger Blick beſtimmt unſern Entſchluß

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[124/0138] dieſen auf die Linſe fallenden Strahlen, deren Menge man aus der Groͤße und Entfernung der Linſe berechnen kann, ſind nur [FORMEL] in dem Bilde ab angekommen, und ſo hat man alles, was zu Be- rechnung der Erleuchtung in ab erforderlich iſt, nur die Weiße des Papieres AB nicht. Ergiebt nun das Experiment die Groͤße der Erleuchtung in ab derjenigen gleich, welche die Tafel bc unmit- telbar erhaͤlt, ſo findet man, wie viele der auffallenden Strahlen das Papier AB zuruͤckgiebt, oder welche Weiße dieſes hat. Lam- bert findet, daß nur ⅖ der Strahlen, ſelbſt vom weißeſten Pa- piere, zuruͤckgeworfen werden, — eine Beſtimmung, die wohl nicht weit von der Wahrheit entfernt ſein kann. Das Auge. Der Gebrauch dieſer Linſenglaͤſer iſt ein ſehr vielfacher, aber ehe ich angeben kann, wie ſie uns dienen, beſſer zu ſehen, deut- licher zu ſehen, die Gegenſtaͤnde vergroͤßert zu ſehen, muß ich das wunderbare Organ, wodurch wir uͤberhaupt ſehen, beſchreiben. — Wodurch wir ſehen! — ohne welches alle dieſe Erſcheinungen des Lichtes nicht fuͤr uns da waͤren, ohne welches die Verbindung mit der Außenwelt faſt auf die Entfernung, welche unſre Hand erreicht, beſchraͤnkt, und ſelbſt die regſte Thaͤtigkeit unſers Geiſtes gehemmt waͤre. O Gluͤck des Sehens! — So wenig es dem ernſten Fort- ſchreiten eines wiſſenſchaftlichen Vortrages angemeſſen ſein mag, Empfindungen auszuſprechen, ſo iſt doch der Gedanke, was alles wir dem Auge verdanken, ein zu wichtiger und großer, um ihm nicht einige Augenblicke zu widmen. Selbſt der Blinde lernt nicht ganz die Noth und Beſchraͤnktheit kennen, die uns druͤcken wuͤrde, wenn wir der Augen ganz beraubt waͤren, denn fremde Augen, moͤgen ſie auch nur einen geringen Theil deſſen erſetzen, was ihm fehlt, ſehen doch fuͤr ihn. Selbſt die dunkelſte Nacht giebt uns nur in den ſeltenſten Faͤllen auf wenige Augenblicke einen Begriff vom Nichtſehen, und doch klagen wir, daß die Nacht keines Men- ſchen Freund iſt, daß tauſend Gefahren uns, von uns unbemerkt, bedrohen koͤnnen, denen wir durch Klugheit oder Entſchloſſenheit am Tage leicht entgehen wuͤrden, wenn wir ſie nur wenige Augen- blicke vorher ſaͤhen. Ein einziger Blick fuͤhrt uns unzaͤhlige neue Vorſtellungen zu. Ein einziger Blick beſtimmt unſern Entſchluß

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/138>, abgerufen am 29.03.2024.